Tichys Einblick

Coronavirus: Die Spanier fliehen aufs Land

Spanien ist nach Italien das Land mit den relativ meisten Coronavirus-Infizierten in der EU. Eine Kultur, die auf sozialen Kontakten beruht, muss nun den Stillstand praktizieren. Hotels und Restaurants sind schon zum großen Teil geschlossen - eine Katastrophe für die große Tourismusbranche des Landes. 

Eine geschlossene Bibliothek in Madrid

Ramon Costa/SOPA Images/LightRocket via Getty Images

Als Sergí Martinez am Mittwoch mit dem Hochgeschwindigkeitszug AVE von Barcelona nach Madrid fährt, wird er auf dem Bahnsteig in Atocha von Polizisten überrascht, die ihm sagen, dass die Stadt bald unter Quarantäne stehen wird. Martinez ist Koch und hat gerade ein Gourmet-Restaurant in der spanischen Hauptstadt eröffnet. Er wollte alle Vorbereitungen treffen, um am Wochenende seine Gäste zu bedienen, die bereits vor langem reserviert hatten: „Der Zeitpunkt ist äussert schlecht. Wir haben bereits Umsatz gemacht, aber jetzt bricht natürlich alles ein. Ich hatte gerade noch Zeit, einen Kaffee zu trinken am Bahnhof und bin dann wieder zurück nach Barcelona,“ erzählt der 49jährige mehrfache spanische Koch-Champion. 

Madrid kurz vor dem Ausnahmezustand 

Am Ende war zwar alles nur ein Missverständnis, so scheint es, aber der Schaden ist da: „Ich musste wie viele andere ein neues Ticket kaufen und alles umdisponieren“. Die Präsidentin der Autonomen Region Madrid, Isabel Ayuso, sagte am Abend des gleichen Tages, sie selber könne nicht darüber entscheiden, wann die Stadt evakuiert wird und bittet die zentrale Regierung um Hilfe. Die zögert noch vor diesem Schritt, der Spanien auf die gleiche Panik- und Schock-Stufe wie Italien stellen und Kettenreaktionen auslösen könnte. Am Donnerstag läuft in Madrid wieder alles normal, halbwegs. Aber die Zahlen machen weiter Angst: 1000 Infizierte und 31 Tote werden bereits in der autonomen Region registriert. Zivile Hochzeiten dürfen nur noch hinter verschlossenen Türen stattfinden. Viele Restaurants müssen die Annulierungen einfach hinnehmen, wer die Verluste bezahlt, ist unklar: „Es ist eine Katastrophe, weil alles so plötzlich geschieht“, sagt Martínez. Gerade wurden die Häfen für Kreuzfahrtschiffe bis Ende März geschlossen, nachdem am Donnerstag auf Palma noch Tourismusboote einliefen, auch aus Italien. Die Regierung versuchte lange, die wirtschaftlichen Schäden zu begrenzen.

Rede an die Nation:
Die Bundeskanzlerin möchte das Coronavirus mit Steuergeld ersticken
Nach Wochen der Gelassenheit, regiert jetzt wilde Panik unter den Spaniern, während einige versuchen davon zu profitieren: „Mein Mitarbeiter berichtet, dass in den Gastronomie-Einkaufsketten wie Makro Chinesen die Regale leer kaufen und dann auf dem Parkplatz alles wieder für höhere Preise verkaufen. Also Hamsterkäufe werden in Madrid vor allem von Geschäftemachern getätigt wie es scheint“, sagt Martínez, der sich darüber aufregt, dass das niemand verbietet. Er versteht auch nicht, dass es nicht mehr Gesundheits-Kontrollen gibt: „Wo sind unsere Polizisten? Warum wurde mir nicht das Fieber gemessen am Bahnhof? Wir sollten uns ein Beispiel an den Chinesen nehmen“. Da jetzt auch die spanische Ministerin für Gleichstellung von dem Virus betroffen ist, wird befürchtet, dass es nun viele in den politischen Reihen treffen wird. Pressekonferenzen finden bereits seit Tagen per Streaming statt. Journalisten werden wegen ihrer Reisetätigkeit als Gefahrenpotentiale betrachtet. 
Spaniens Tourismus wird dieses Jahr nicht vergessen 

Spaniens Tourismuswirtschaft erlebt derweil ein Desaster. Der IWF hat gerade deswegen die Wachstumsaussichten für Spaniens Wirtschaft auf unter 1,6 Prozent gesenkt. Das Land wurde bereits durch eine sich anbahnende Rezession geschwächt. Die ökonomischen Belastungen durch die Bekämpfung des Klimawandels haben die Lage Anfang des Jahres weiter verschärft. Die aktuellen restriktiven Auflagen durch den Coronavirus wirken jetzt wie ein Dolchstoss. Gerade wurden die Frühlingsumzüge von Valencia, die „Fallas“ abgesagt, welche Einnahmen von 700 Mio. Euro bringen sollten. „Eine Freundin von mir hat gerade 50.000 Euro verloren, weil sie schon für ihr Restaurant eingekauft hatte und jetzt die Kundschaft komplett ausbleibt“, berichtet Martínez. Auch in der gastronomischen Hochburg Baskenland und in vielen der weiteren 17 autonomen Regionen wurden Schulen und  Universitäten geschlossen und Veranstaltungen verboten. 

Der Tourismusmagnet Barcelona ist auch kurz davor, alle Aktivitäten abzublasen. Spaniens zuständige Ministerien haben ein Hilfspaket für die Branche verabschiedet, das auch den Umgang mit dem Personal regeln soll, das vielerorts auf Urlaub geschickt wird. Die Kosten für die vielen Wochen, in denen die Restaurants und Hotels geschlossen sein werden oder nur geringen Umsatz machen, sollen von der Sozialversicherung getragen werden. Tourismusexperte Enrique Sancho animiert trotz der derzeit desolaten Lage zu Optimismus: „Wir erleben derzeit auch eine Angstepedimie. Die Leute stecken sich gegenseitig mit ihren Befürchtungen und wirtschaftlichen Horrorvisionen an. Gott sei Dank, ist der Tourismus eine Branche, die sich, wenn das ganze vorbei ist, schnell wieder anpassen kann“. Aber bis dahin werden vor allem kleine Hotels und Restaurants auf der Strecke bleiben, angesichts von bereits fast 4000 Angesteckten und 90 Toten in Spanien. „Ohne Zweifel wird das vielen dauerhaft die gute Laune verderben“, sagt Martínez, der befürchtet, dass es zu eine Reihe von Pleiten im Sektor kommen wird. 

Der Staat greift einigen unter die Arme 

Die spanische Regierung hat versprochen, die Branche zu stützen, aber Spanien ist bereits zu fast 100 Prozent seines BIPs verschuldet und hat wenig Marge für weitere Ausgaben. Die Hoffnungen liegen nun darauf, dass Brüssel die Defizit-Auflagen lockert. Bis jetzt wurde angeboten, die Steuerschulden später zu zahlen und günstige Kredite zu vergeben. Das Land hat lange gewartet, bis es zu Massnahmen gegen die Ausbreitung des Virus griff, auch um keine Panik zu erzeugen. Aber jetzt rollt der Coronavirus wie ein Panzer über das Land. Metzgereien, Supermärkte und Amazon machen das Geschäft ihres Lebens, während kleine Event-Agenturen und Gastronomie-Dienstleister vor dem Aus stehen: „Ich weiss nicht, wie wir das überleben werden“, sagt Álvaro Rodríguez, Besitzer des Moose Foodtrucks in Madrid, dem bereits zahlreiche Gourmet-Events gestrichen wurde. Der 47jährige alleinstehende Vater berichtet, dass in den meisten Verträgen stand, dass bei „höherer Gewalt“, keiner auf Rückzahlungen der Standmieten hoffen könne. Er hat bereits 25.000 Euro Vorkasse geleistet: „Wir werden wochenlang keine Einnahmen haben, gleichzeitig aber Fixkosten. Das wird sehr schwierig für uns“. 

Von der fiesta zur siesta 

Das traditionell ausgeprägte Sozialleben der Spanier hat wie in Italien zu einer rasanten Verbreitung des Coronavirus in den vergangenen Tagen beigetragen, was auch das ansonsten exzellente Gesundheitssystem Spaniens an seine Grenzen treibt. Es fehlt an Masken, an Desinfektionsmittel und in Madrid werden für dieses Wochenende bereits Sondermassnahmen in den Krankenhäusern eingeleitet, weil mit einer neuen Welle von Infektionen gerechnet wird. Personal wird aus anderen Regionen in die Stadt gebracht.

Die Perspektiven für die Urlaubswirtschaft sind damit mehr als abschreckend. Die IATA rechnet damit, dass die Einnahmen des internationalen Flugverkehrs um 5 Prozent zurückgehen werden in diesem Jahr. In Spanien Regierung denkt man offenbar auch schon über die Sperrung von Flughäfen nach. 

Klartext
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Die ersten Pleiten sind bereits aufgereiht, darunter die britische Flybe und der spanische Touroperator Trapsatur. Der gesamte Sektor erlebt Kursstürze an der Börse. Am meisten davon betroffen sind in Spanien unter anderem die Hotelketten Meliá, NH und die Rerservierungplattform Amadeus. Die Welttourismus-Organisation rechnet weltweit mit Banchenverlusten von 45 Mrd. Euro in in diesem Jahr. Gloria Guevara, Präsidentin des Weltreiseverbandes (WTTC) kritisiert jedoch auch, dass einige Airlines nicht aus Gefahr vor dem Virus, sondern wegen fehlender Nachfrage canceln. Verriegelung bringe ihrer Meinung nach nichts. Guevara fürchtet die Auswirkungen der aktuellen Panik, welche zur Annulierung von vielen Events führt. Einige Reiseplattformen wie Edreams bieten nun an, die Flug- oder Hoteldaten gratis zu ändern, während Ryanair seinen Kunden per email dazu rät, vorsichtshalber eine Reiseversicherung abzuschliessen, falls der Flug gecancelt wird. 
Madrid und Barcelona im Ausnahmezustand

Der katalanische Koch Martínez ist zur Zeit noch zuversichtlich was sein eigenes Geschäft betrifft: „Ich habe nicht viel eingekauft, weil nichts da war bei den Groβhändlern und ich schon damit gerechnet habe, dass es passieren könnte. Reserven für einen Monat Quarantäne habe ich, aber die Frage ist schon, wie diese ganze Geschichte langfristig unsere Psyche verändern wird“. Gerade wurden in Madrid die öffentlichen Theater geschlossen, die Schulen und Unis für 15 Tage und auch einige Hotels wie die Roommate-Kette, die ihre Angestellten schon vor ein paar Tagen nach Hause schickte.

In der Zwischenzeit erlebt der Landurlaub eine neue Bedeutung. Nach Hause kommandierte Mitarbeiter flüchten mit ihren Kindern, die schulfrei haben, ins Haus in den Bergen oder mieten eins. Wer auf einem Dorf lebt, der wird die de facto Quarantäne weniger spüren als die Bewohner von Madrid, wo am Sonntag noch die Frauendemo stattgefunden hat, bei der auch die jetzt infizierte Ministerin dabei war.

Andere, nur wenige, sind direkt auf die kanarischen Inseln in die Wärme gepflogen, wo der Coronavirus bisher noch nicht eingeschlagen ist. Auf Hitze, welche den Virus killen könnte, hoffen derzeit alle. In Madrid sind die Temperaturen in diesen Tagen auf fast 30 Grad gestiegen. Die spanische Regierung jedenfalls rät, keine touristischen Reisen zu unternehmen, auch nicht im eigenen Land.

Martínez ist erstmal wieder zurück zu seinem Restaurant nach Granollers gefahren, ein Dorf in Katalonien, wo die Panik noch nicht so stark um sich gegriffen hat wie in den groβen Städten: „Eigentlich bin ich froh, dass ich wieder hier bin bei meiner Familie. In so einem Moment will ich nicht alleine in Madrid sein, sondern bei meinen Kindern“. Er wäre auch nicht mehr zurückgekommen, weil die Metropole inzwischen  fast komplett abgeriegelt ist.  

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