Die Lage in Europa ist angespannt und auch brenzlig. Das Coronavirus verändert unsere Gesellschaft gerade nachhaltig – besonders in unserer Freizeitgestaltung und Bewegungsfreiheit. Es scheint so, als hätte viele Leute, die mit sich selbst nichts anzufangen wissen, in Zeiten von Ausgangs- und Kontaktsperren, auch das Virus der Unruhe und Rastlosigkeit befallen. Die eigene Wohnung (wohl dem, der zumindest Hausbesitzer samt Garten ist) ist in 15 Tagen der Quarantäne schnell abgeschritten.
In Italien soll der komplette Shutdown noch fast bis zum Sommer dauern. Kann das denn noch lange so gut gehen? Viele wundern sich besonders in Deutschland, dass es ausgerechnet die so freiheitsliebenden Italiener, deren Leben sich in und vor den Bars sowie auf der Piazza abspielt, so ganz diszipliniert aushalten in der Massenisolation. Das Land geht allerdings schon jetzt am Stock.
Und die Italiener wiederum wundern sich über das Verhalten der Deutschen, die in dieser großen Pandemie, quasi nur halbherzig Konsequenzen ziehen, während ihre Regierung in Rom Land und Leute komplett abschottet. Haben die Deutschen etwa einen Pakt mit dem Teufel, sorry, Virus, geschlossen?
Es scheint aber auch so, als sei in dieser Krise abermals ein Wettkampf der Länder und Experten ausgebrochen, bei dem vor allem die deutsche Seite keine Gelegenheit im Fernsehen auslässt, um zu betonen, nein, eine Situation wie in Italien, würde in Deutschland nicht eintreten, man sei gut vorbereitet, selbst wenn Chefärzte wie zum Beispiel Bernadett Erdmann vom Wolfsburger Klinikum, bereits jetzt vor einen „Kollaps in den Krankenhäusern“ warnen.
Was aber Italiener wie Deutsche in Zeiten des grassierenden Virus vereint? Das ist die Liebe zum Fußball und das Leiden über dessen Abwesenheit, ja, Unwichtigkeit. So war das schließlich mit der schönsten Nebensache der Welt nicht gemeint.
Und des Weiteren, vereint beide Länder der akute Mangel an Teststreifen, um das Corona-Virus Covid-19 bei den Bürgern überhaupt flächendeckend verifizieren zu können. In letzterem Fall wirken Deutschland und Italien fast wie absolute Pflegefälle. Unvorbereitet, unkoordiniert, und vielleicht ein Stück weit auch diskriminierend beim Einsatz?
Der Fußball in der Serie A sowie die deutsche 1. Bundesliga setzen jährlich Milliarden Euro um. Es ist ein Wirtschaftszweig für sich. Interessen und Arbeitsplätze hängen dran, und nicht zu knapp.
Jetzt, wo das Corona-Virus das beliebte Spiel bis auf weiteres (bis Mitte, Ende April, oder noch länger?) abgepfiffen hat, werden viele Clubpräsidenten und Eigner sowie Sponsoren nervös. Die laufenden Kosten und Gehälter fallen weiter an. Auch wenn ein paar Stars medienwirksam (Eigen-PR zählt viel) auf Teile ihres Millionengehalts verzichten, einige Vereine werden wohl Konkurs anmelden müssen, je länger diese Krise andauert und der Fußball im Abseits steht. Statt des Video-Assistenten entscheiden nun das Robert Koch Institut oder die Johns Hopkins University über Brot und Spiele. Das Volk möchte besonders in schweren Zeiten unterhalten werden.
Es scheint, als wollen die Serie A und auch die Bundesliga in Bälde wieder starten, wenn auch vor leeren Zuschauerrängen. Ist das Virus denn wirklich (nicht) so gefährlich? So kommt es, dass die Clubs wohl durch die Bank weg alle ihre Spieler auf Corona getestet haben. Nur Wenige bisher, die positiv aufgefallen sind und in Quarantäne mussten. Aber doch fast in jedem Land gab es bisher Profis mit Corona-Infektion. Den obligatorischen Dopingtest nimmt man meist nur widerwillig und ehrkäsig an, bei Corona jedoch langte man schnell zu den Testkits, die sonst aber überall fehlen.
Hier kommt nun der erwähnte Brief von Chefarzt Nicola Mumoli aus der Abteilung für Innere Medizin der Klinik in Magenta, einer Stadt der Metropolregion Mailand, ins Spiel. Gleich in der Überschrift klagt der Chefarzt an (man stelle sich vor, dies passierte in Deutschland), „Test-Abstriche für Fußballer sind möglich, für Ärzte jedoch nicht! Das ist diskriminierend“.
Dottore Mumoli belässt es aber nicht bei dieser Kritik am Fußballprofi allein, nein, er geht für sein Krankenhausteam in die Offensive, springt für seine Mitarbeiter in dieser schwierigen Zeit in die Bresche.
Der Chefarzt: „Eine Kollegin von uns, stets ganz nah bei den Patienten, ist bei der Arbeit mit Covid-19 Patienten selbst krank geworden. Aber selbst nach vielen Anrufen bei nationalen Nummern, wurde ihr ein Testkit verweigert, während Fußballspielern, Schauspielern und Politikern, denen es an sich gut geht, immer geholfen wird.“
Weiter erklärt der Chefarzt der Inneren, die Ärztin habe die typischen Symptome des Virus angezeigt und konnte nicht getestet werden.
An die „Sehr geehrte Redaktion“, schreibt der frustrierte Arzt Nicola Mumoli weiter, er habe als Mediziner und Leiter der Abteilung der Inneren und seit zwei Jahren auch für die medizinischen Operationen im Klinkum Magenta verantwortlich, so eine Krise noch nie erlebt. Seit Wochen haben er und sein Team mit großem und konstantem Einsatz mehr als 130 Patienten mit Covid19 behandelt.
Das Engagement und der Einsatz eines jeden von ihnen, so der Chefarzt, nehme schon die Form von Arbeitstagen an, „die bekanntlich die Zeitpläne, die Ruhepausen und die Erholung missachten“, die sich aber vor allem und fast unerklärlicherweise aus jenem großzügigen Wahnsinn nähren, der seine Mitarbeiter und ihn selbst täglich dem gleichen Risiko aussetzen lasse, selbst infiziert zu werden.
Gegenwärtig, schreibt er im Brief an den Corriere, sind 2.629 Mitarbeiter des Gesundheitswesens infiziert. Das seien 8,3% der Gesamtzahl der betreffenden Personen – und unter ihnen wurden bereits 14 Todesopfer gezählt.
Jeder, nun ein bisschen emotionaler formuliert, habe seine Identität unter einer Maske versteckt, niemand von den Mitarbeitern habe jemals Sichtbarkeit gesucht, niemand hat bisher über sie gesprochen, weil solche Nachrichten nicht viel mehr Lärm machen, „als Gras, das wächst.“
Nicola Mumoli spricht im Brief dann das an, was man auch in Deutschland vermutet, man könne somit doch gar nicht wissen und dokumentieren, wer denn alles infiziert sei. Es nicht zu wissen, sondern nur die Hypothese einer Ansteckung mit dem Corona-Virus bei sich selbst festzustellen, gebe jedem, aber besonders Mumolis Kollegin, Anlass zur Sorge.
Es wächst zudem die Besorgnis darüber, der Arbeit nicht mehr nachgehen zu können, und außerdem verhindere die Richtlinie zudem, eine mögliche Einnahme antiretroviraler Medikamente anzuwenden. Ohne den wahren Befund geht man also viele Risiken ein und schade womöglich nicht nur sich, sondern auch der Gesellschaft und dem Hilfesystem, indem man auf Verdacht nicht arbeiten kann und soll.
Nicola Mumoli vom Klinikum in Magenta schließt den Brief mit der Behauptung, wenn man die Wahl zwischen einem Fußballer und einem Arzt habe, gäbe es (für ihn) keine Zweifel (also, dass die Menge dem Fußballer den Vorzug geben würde), und „wir wären wieder dazu verurteilt, unter der Maske zu verschwinden“, die Mumoli und alle Mitarbeiter im medizinischen Bereich, jeden Tag mit großem Stolz tragen würden, und die einen Beruf ausüben, den „wir noch nie als Privileg, sondern als Pflicht betrachtet haben.“