Tichys Einblick
Es sterbe Frankreich?

Corona: das Desaster des Emmanuel Macron

In der Krise zeigt ein Mensch sein wahres Gesicht. Das Corona-Virus legt endgültig frei, worum es dem Präsidenten der Grande Nation tatsächlich geht: nicht um das Land, sondern um sein eigenes Bild in der Öffentlichkeit. Chronik eines brutalen Versagens.

imago images / Hans Lucas

„Das Verhalten unserer Anführer ist durch fehlende Vorbereitung, Gleichgültigkeit und Zynismus gekennzeichnet; und viele ihrer Handlungen sind wohl strafrechtlich relevant. Es ist offensichtlich, dass hier absichtlich Menschenleben gefährdet wurden. (…) Der Präsident und andere Verantwortliche wissen das sehr genau.“
(Regis de Castelnau, Rechtsanwalt: Essay im Magazin “Marianne”, 04. April 2020)

Kleine Münze ist nicht die Währung von Emmanuel Macron.

Der mit 42 Jahren jüngste Präsident in Frankreichs Geschichte sieht eher die großen Dinge kommen. Im druckfrischen Interview mit der „Financial Times“ prognostiziert er, dass nach der Corona-Krise weder die Globalisierung noch der Kapitalismus so bleiben werden, wie sie sind. Auch Europa stehe am Scheideweg:

„Wir müssen uns entscheiden, ob die Europäische Union ein politisches Projekt ist oder nur ein wirtschaftliches. Ich denke, es ist ein politisches. (…) Wir brauchen Finanztransfers und Solidarität.“

Man spürt in jeder Antwort, dass es den Mann in die Sphären der Weltpolitik drängt. Womöglich hängt das damit zusammen, dass der einstige Überflieger zuhause in Frankreich derzeit nicht mehr ganz so wohlgelitten ist.

Nach einer neuen Umfrage denken 70 Prozent der Franzosen, dass ihre Regierung ihnen nicht die Wahrheit sagt. Sogar 79 Prozent meinen, Präsident Emmanuel Macron und seine Regierung wüssten nicht, was sie tun.

Wenn Sie sich jetzt fragen, warum die Franzosen so schlecht über ihren einstigen Hoffnungsträger denken – hier sind ein paar Antworten.

Die Gesichtsmasken

Den wohl wichtigsten Gebrauchsgegenstand beim professionellen Umgang mit dem Virus hat Frankreich selbst zur Mangelware gemacht.

2013 hatte Paris mehrere Millionen (!) medizinische Atemschutzmasken als eiserne Reserve eingelagert – aber die Regierung ließ sie vernichten (!!), um Lagerkosten (!!!) zu sparen. Trotzdem sind noch im Januar 2020 mehrere hunderttausend Stück im Land verfügbar.

Obwohl es da schon europaweit Warnungen vor einer möglichen Masken-Knappheit gibt, entscheidet Emmanuel Macron am 19. Februar, den gesamten Restbestand nach Wuhan zu schicken – und lobt seinen Schritt dann publikumswirksam als „Geste der Solidarität mit dem chinesischen Volk“.

Als Ende Februar das Absehbare passiert und in den französischen Kliniken Masken knapp werden, mahnen Ärzte und Pflegepersonal ebenfalls die Solidarität ihrer Regierung an. Die lässt verlauten, Nachschub sei auf dem Weg. Doch am 20. März erklärt Regierungssprecherin Sibeth N’Diaye, Masken seien „im Wesentlichen nutzlos“ (was nachweislich falsch ist).

Ende März sind bei den meisten Ärzten und Pflegern noch keine Masken angekommen, dafür gibt es immer mehr Infektionen von Krankenhauspersonal. Bis zum 10. April sind acht Ärzte an COVID-19 gestorben, weitere sind in kritischem Zustand.

Die Tests

Ende Februar hat Frankreich so gut wie keine Test-Kits und auch keine Produktionskapazitäten, um sie herzustellen. Paris kauft Tests: in China. Doch noch am 19. März bestätigt ein Regierungsvermerk, dass es immer noch zu wenig Tests gibt. Während in Deutschland 500.000 Tests per Woche durchgeführt werden, sind es in Frankreich 50.000.

Da gibt die Regierung kein gutes Bild ab. Und Macron reagiert. Er schickt seinen Gesundheitsminister Olivier Veran vor. Der räumt aber keineswegs ein, dass es nicht genügend Tests gibt und dass man die Lage nicht im Griff hat – stattdessen erklärt er, Massentests seien nutzlos. Frankreich gehe „einen anderen Weg“.

Die Krankenhäuser

Fast alle Krankenhäuser in Frankreich sind überfüllt.

Patienten liegen auf den Fluren. Am 18. März hat das Land mit 67 Millionen Einwohnern lächerliche 5.000 Beatmungsgeräte. Die Ärzte sind zur „Triage“ gezwungen: Sie müssen entscheiden, wer beatmet wird und überlebt – und wen sie sterben lassen.

Ein Skandal zeichnet sich ab. Agnes Buzyn amtiert bis 16. Februar als Gesundheitsministerin, dann tritt sie – als Macrons Kandidatin – bei den Bürgermeisterwahlen in Paris am 15. März an. Sie verliert. Am 18. März erklärt sie:

„Ich wusste, dass ein Tsunami Frankreich treffen würde.“

Das habe sie Macron schon im Januar gesagt, fügt sie hinzu. Frankreichs Opposition läuft Sturm.

Und nicht nur die. Ex-Gesundheitsminister Philippe Douste Blazy nennt das Verhalten von Macron und dessen Regierung „kriminell“. In einem Erlass erlaubt der Präsident am 28. März den Einsatz des Mittels Rivotril (Clonazepam), um „das Leiden von Patienten mit Atemnot zu lindern“. Der Wirkstoff verlangsamt die Atmung und kann zu Atemstillstand führen.

Der renommierte Anästhesist Dr. Christian Coulon macht aus seinem Entsetzen keinen Hehl:

„Euthanasie unserer Alten, deren Atmung versagt. Ja, sie haben entschieden, das zu tun. Als Arzt leide ich sehr.“

Am 3. April schildert ein anderer Arzt, Dr. Serge Rader, dass viele an COVID-19 erkrankte Bewohner von Altenheimen gar nicht mehr in die überfüllten Krankenhäuser gebracht werden. Stattdessen wird ihnen Rivotril gespritzt – und man lässt sie allein in ihren Zimmern sterben. Andere Mediziner bestätigen die Berichte auf den Sozialen Medien – und zeigen sich gleichermaßen entsetzt wie machtlos.

Die Wahlen

Am 15. März lässt Macron die Kommunalwahlen durchführen – gegen die dringenden Warnungen zahlreicher Ärzte, die Wahllokale seien ideale Ansteckungszentren. Wie eine selbsterfüllende Prophezeiung füllen sich in den folgenden Tagen die Krankenhäuser mit Wahlhelfern.

Schon am 16. März erklärt Macron, Frankreich befinde sich „im Krieg“. Am 17. März wird eine landesweite Ausgangssperre verhängt.

Die Ausgangssperre

Der Lockdown ist inzwischen auf unabsehbare Zeit verlängert worden. Er ist strikter als in den meisten anderen Ländern: Die Bürger dürfen sich von ihren Häusern und Wohnungen nur maximal einen Kilometer entfernen – und das nur für maximal eine Stunde täglich, um Lebensmittel einzukaufen. Selbst dafür müssen sie ständig eine schriftliche Erlaubnis bei sich tragen und auf Anforderung den ständig präsenten Polizeipatrouillen vorzeigen.

Jedes Zusammensein mit anderen als den Mitbewohnern der eigenen Wohnung ist verboten. Bei mehrfachem Verstoß gegen die Auflagen kann man für bis zu sechs Monate inhaftiert werden.

Ganz Gallien hält sich an die Vorgaben. Ganz Gallien? Nein: In den armen, meist muslimisch geprägten Vororten der Städte – den sogenannten Banlieus – wird die Ausgangssperre oft bis sehr oft ignoriert. Medien berichten, dass die Polizei informell angewiesen wurde, in diesen No-go-Areas wegzusehen. In Seine-Saint-Denis tötet COVID-19 anteilig 63 Prozent mehr Menschen als im Rest des Landes.

Die Wirtschaft

Schon lange vor dem Virus hatte Macron Frankreichs Wirtschaft an den Rand des Ruins geführt.

Das Wachstum lag nahe null, die Arbeitslosigkeit – obwohl ohnehin schon auf hohem Niveau – stieg schnell. Jetzt, in der Corona-Krise, stehen Frankreichs Maschinen praktisch still – und keiner mag sich vorstellen, wie es danach weitergehen soll.

Die Wirtschaftsinstitute sehen das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal 2020 im freien Fall. Star-Ökonom Emmanuel Lechypre warnt:

„Frankreich wird eine sehr tiefe Rezession erleben. (…) Was gerade passiert, haben wir noch nie erlebt. Das Land wird nie wieder so sein, wie es war.“

Die Grenzen

Emmanuel Macron verzichtet absichtlich und konsequent auf die Waffe, die sich weltweit als die wirksamste im Kampf gegen das Virus erwiesen hat.

Frankreich hat seine Landesgrenzen nie geschlossen. Im Gegenteil: Es lässt große Mengen potenzieller Virusträger ins Land. Selbst als klar wird, dass sich die Epidemie in Italien zu einer veritablen Katastrophe ausweitet, bleibt die französisch-italienische Grenze geöffnet.

Allerdings nur in eine Richtung: Seit 10. März lässt Italien niemanden aus Frankreich mehr einreisen. Reisende aus Italien nach Frankreich werden auf der französischen Seite unverändert nicht kontrolliert.

Andere Grenze, dasselbe Bild: Am 16. März hat das bekannt europafreundliche Deutschland Einreisen aus Frankreich verboten. Frankreich weigert sich beharrlich, die Grenze auch in die andere Richtung zu schließen.

Nirgendwo in Europa wütet das Corona-Virus so schlimm wie in Spanien. Seit dem 17. März ist es praktisch unmöglich, von Frankreich aus auf die iberische Halbinsel zu kommen. In die andere Richtung geht es aber immer noch kinderleicht: Man zeigt an der Grenze einfach seinen Personalausweis vor, wünscht dem französischen Polizisten einen schönen Tag und fährt – wohin auch immer man will.

Frankreich hat nie seine Flughäfen geschlossen. Es dürfen immer noch alle Staatsangehörigen “aus Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums, der Schweiz und Großbritannien” einreisen – dazu Menschen mit einer französischen Aufenthaltserlaubnis (egal aus welchem Land sie kommen) sowie Angehörige von Gesundheitsberufen.

Als das Militär französische Staatsbürger aus Wuhan ausfliegt – der Stadt, in der die Virus-Krise begann – müssen diese Menschen in Quarantäne. Aber bis Ende März müssen sich alle anderen Reisenden aus China keinerlei Gesundheitsprüfungen unterziehen (ein völlig unverständliches Versäumnis, das man auch Deutschland vorwerfen muss).

Am 30. Januar setzt Air France alle Flüge NACH China aus. Flüge AUS China (aus Peking und aus Schanghai, von chinesischen und von anderen Airlines) dürfen weiter in Frankreich landen.

“Dieses Virus hat keinen Reisepass.”
(Emmanuel Macron: TV-Ansprache am 13. März 2020)

Der Satz wird zum Mantra der französischen Regierung. Kritiker des Präsidenten – und davon gibt es täglich mehr – merken an, dass das Virus sich mit Menschen bewegt. Die haben Reisepässe – und können an Grenzen aufgehalten werden. Dass Grenzen somit die wichtigste Waffe im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus sind – das stößt bei Macron aber auf taube Ohren.

Warum nur? Macron liefert die Erklärung selbst: Er erklärt, dass die Grenzen im Schengen-Raum (in dem 26 Staaten alle Grenz- und Passkontrollen abgeschafft haben) nicht geschlossen werden dürften. Er beschimpft Staats- und Regierungschefs, die das anders sehen. Er sagt:

“Das Überleben des europäischen Projekts steht auf dem Spiel.”

Das ist seine Sorge. Über die Millionen von Menschenleben, die auf dem Spiel stehen, sagt er – nichts.

*****

Es ist wohl keine Übertreibung zu sagen, dass Frankreich vor Ausbruch des Virus an der Schwelle zum Chaos steht.

Die Protestbewegung der „Gelbwesten“ demonstriert 70 Wochen lang. Keine Woche vergeht ohne Aufmärsche, die nicht selten in massiver Gewalt enden. Im Dezember 2019 beginnt ein Streik gegen Macrons Pläne für eine Reform des bankrotten französischen Rentensystems. Der Ausstand dauert noch an, als die Pandemie ausbricht.

Am 27. März erklärt Macron, Kritik an seinem Umgang mit der Corona-Krise sei „unverantwortlich“. Er werde sich „an jene erinnern, die seinen Erwartungen nicht entsprachen“.

Ivan Riofol von „Le Figaro“ kommentiert das am 1. April so:

„Der Präsident liegt nicht nur falsch, sondern er hat gelogen und andere lügen lassen. Er und seine Mannschaft sind schuldig. Die offizielle Rede hat dem Ernst der Lage nicht entsprochen. Sie leugnete bis zur Absurdität die Nützlichkeit von Landesgrenzen. (…) Es war die Regierung, die – bevor sie dann das Gegenteil behauptete – wiederholt hat, dass Masken und Tests nutzlos seien. (…) Das Gesetz des Schweigens, das Macron gerne durchsetzen würde, ist völlig unhaltbar.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.


Dieser Text enthält Material von Guy Millière

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