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Star der flämischen Sozialisten

Conner Rousseau: Fühle mich in Molenbeek nicht wie in Belgien

Im flämischen Teil Belgiens hat ein junger Sozialist nachgedacht: Im marokkanisierten Viertel Molenbeek fühlt er sich nicht erst seit der Fußball-WM nicht mehr zu Hause. Helfen sollen Bildungsprogramme. Daneben schielt Conner Rousseau offenbar auf die Stimmen von Vlaams Belang und Neu-Flämischer Allianz.

Der Vorsitzende von Vooruit, Conner Rousseau, während des Kongresses der flämischen Sozialisten Vooruit in Gent, 3.12.22

IMAGO / Belga

Dieser Satz erregt noch immer eine Menge Aufsehen in Belgien und seinen Zeitungen: „Ich fühle mich dort nicht zu Hause“, sagte der junge Vorsitzende der flämisch-sozialistischen Partei Vooruit („Vorwärts“), Conner Rousseau, in diesen Tagen erneut über die Brüsseler Stadtgemeinde Sint-Jans-Molenbeek. Rousseau kann nichts Schlimmes an seiner Aussage finden, vielmehr werde sie von vielen Flamen geteilt. Zum ersten Mal hatte der Sozialist seine Ansichten im vergangenen April in einem Interview geäußert: „Wenn ich durch Molenbeek fahre, fühle ich mich nicht wie in Belgien“, sagte er da dem flämischen Radio-, Fernseh- und Musikmagazin Humo.

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Das Brüsseler Viertel ist stark durch die Massenzuwanderung der letzten Jahrzehnte geprägt. Inzwischen bilden Marokkaner dort die Mehrheit. Im Zuge der Fußballweltmeisterschaft hatten die Erfolge und Niederlagen der marokkanischen Mannschaft immer wieder zu Unruhen und Chaos in belgischen, niederländischen und französischen Städten geführt. Bei den Terrortaten von Paris im November 2015 (unter anderem auf das Bataclan-Theater) und Brüssel vom März 2016 führten Spuren nach Molenbeek. Laut einem arabischstämmigen Ex-Polizisten in der Kommune schreitet die Parallelgesellschaft weiter voran. In zunehmendem Maße diktiert der Koran das Zusammenleben der Menschen.

Im April hatte Rousseau behauptet, dass in der belgischen Hauptstadt aufgrund des Lehrermangels sogar Arabisch als Unterrichtssprache zum Einsatz komme, weil die angeworbenen Lehrkräfte manchmal nicht gut genug Französisch sprächen. „Inakzeptabel“ war das für den erst 30 Jahre alten Parteivorsitzenden. Die Bildungsministerin Caroline Désir vom wallonischen PS widersprach umgehend: Das sei eine falsche Behauptung. Doch war sie wirklich ganz aus der Luft gegriffen? Nun legte Rousseau mit dem ehrenamtlichen Übersetzer für Elternabende nach. Aber das gilt angeblich nur für ukrainische und syrische Eltern.

Neu-flämische Allianz: „Diese Jungs fühlen sich unantastbar. Dagegen muss die Justiz vorgehen“

Jetzt war Rousseau in Molenbeek, nicht nur mit dem Auto auf Durchfahrt, sondern beim Ortstermin zu Fuß. Der Vooruit-Schöffe des Viertels hatte Rousseau ob seiner „deplazierten Bemerkung“ eingeladen. Aber der Besuch in dem international bekannten Problemviertel hat den Parteichef nur in seinen Ideen bestärkt: „Der Besuch in Molenbeek hat es bestätigt: ich fühle mich nicht zu Hause.“ Eine „persönliche Attacke“ gegen die Menschen, die dort leben, sei das aber nicht.

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Vielmehr hält Rousseau an seiner Lösungskompetenz als sozialdemokratischer Politiker fest: „Ich habe ein Gefühl zum Ausdruck gebracht, das viele Flamen teilen, und ich habe eine Lösung angeboten: Stellen Sie sicher, dass jeder unsere Sprache spricht und dass es mehr Bildungsmöglichkeiten gibt.“ Dazu gehörten auch mehr und bessere Kindertagesstätten. An einer Schule, die er besucht habe, hätten ihm Lehrer gesagt, dass sie „dringend Freiwillige suchen, die bei Elternabenden dolmetschen“. Die Unruhestifter der Fußball-WM nannte er „schwarze Schafe“, denen man „mehr Chancen und Perspektiven“ einräumen müsse.

Doch hier widerspricht ihm die flämische Justizministerin Zuhal Demir von der liberal-konservativen Neu-Flämischen Allianz (Nieuw-Vlaamse Alliantie, N-VA): „Diese Jugendlichen haben viele Möglichkeiten. Das Problem ist, dass diese Jungs sich unantastbar fühlen. Dagegen muss die Justiz vorgehen.“ Rousseau erwiderte ihr, dass selbst in einem reichen Land wie Belgien der „Geburtsort immer einen großen Unterschied macht“: „Wenn du einen Migrationshintergrund hast, zu Hause nicht Niederländisch sprichst und deine Eltern nie um Hilfe bei einer Hausaufgabe bitten kannst, hast du weniger Möglichkeiten.“

„Soziale Sicherungssysteme besser schützen“

Rousseau macht damit einen großen Schritt auf seine Kritiker zu. So fordert die ehemalige Bürgermeisterin des Viertels, Françoise Schepmans vom liberalen Mouvement réformateur (MR): „Conner Rousseau verschafft sich mit seinem Molenbeek-Bashing billige Werbung. Heute beharrt er undifferenziert auf seinen Äußerungen. Sicherlich gibt es reale Probleme, die gelöst werden müssen, aber Molenbeek braucht Stärke und kein Bashing!“ Aber ist es Bashing, wenn ein Politiker existierende Probleme anspricht?

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In Sachen Zuwanderung vertritt Rousseau einen Kurs der Verminderung, zumal die Flucht in Belgien nicht immer in Massenunterkünften endet: „Mein Herz blutet, wenn ich diese Menschen auf der Straße am Boden liegen sehe. Aber anstatt darüber zu reden, müssen wir handeln. Der Zustrom muss zurückgehen, denn wir stoßen an unsere Grenzen. Wir müssen dafür sorgen, dass es weniger attraktiv wird, nach Belgien zu kommen, vor allem indem wir unsere soziale Sicherheit besser schützen. Einige Systeme erzeugen eine Sogwirkung.“ Das Erziehungsgeld für unbegleitete Minderjährige habe man in Flandern zuletzt um zwei Drittel gekürzt, „weil es zu viele ausländische Jugendliche anzog“.

Rousseau bleibt ein rotes Tuch auch und vor allem für viele seiner Parteigenossen in beiden großen Landesteilen, freut sich aber über die gestiegenen Verkaufszahlen von Humo dank seinen politisch und medial kontroversen Interviews. Humo nahm auch das neue Interview – nach dem Ortstermin in Molenbeek – entgegen. Der Fraktionschef der frankophonen Sozialisten, Ahmed Laaouej, tweetete daraufhin: „Auch wenn man ihn wiederholt: Unsinn bleibt Unsinn. Schande über dich, Conner Rousseau.“ Laaouej benutzte dabei das Wort „connerie“, das an den Vornamen Rousseaus anklingt.

Rousseau sät Zweifel am multikulturellen Dogma

Der Vorsitzende der wallonischen Sozialisten, Paul Magnette, schweigt zu all dem sehr beredt. Auch ihm könnte es um die Verbesserung des sozialistischen Stimmenanteils bei künftigen Wahlen gehen. Das ist auch Rousseaus unverhohlenes Ziel, der ganz offen mit dieser Absicht umgeht. Er will dem Vlaams Belang und anderen wie der Neu-Flämischen Allianz (N-VA), die zuletzt deutlich zulegen konnten und in Umfragen auf zusammen 45 Prozent kommen, Stimmen abluchsen. Zusammen könnten die Nationalisten so die absolute Mehrheit der Sitze in Flandern erringen. Gewählt wird planmäßig 2024.

Mit dem N-VA-Chef Bart De Wever versteht sich Rousseau angeblich gut, nur über manche Aussagen runzle er die Stirn. Das gilt anscheinend nicht für die föderale Finanzpolitik, wo Rousseau Brüssel und den Wallonen Reformen für das flämische Geld abverlangen will. Die Umgestaltung des Königreichs zu einer Konföderation, wie sie de Wevers Partei anstrebt, lehnt Rousseau allerdings als „Science-Fiction“ ab.

So umstritten Rousseaus Äußerungen über die linke Mitte hinaus sein mögen, so zeigt sich der Vorwärts-Sozialist dennoch bemüht, die sozialdemokratische Fortschrittserzählung zu befestigen. Implizit bleibt er dabei, dass jahrzehntelange Massenzuwanderung aus fremden und, genau genommen, antagonistischen Kulturen möglich sei, wenn man nur die richtige Bildungspolitik betreibt. Zugleich säen seine Kommentare aber Zweifel an genau diesem Dogma, das viele Belgier innerlich bereits aufgegeben haben mögen. Und genau das stört einen Teil des belgischen Establishments.

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