Die neue Große Koalition in Berlin weiß, was Prioritäten sind. Den 15. März wollen Union und SPD als „Internationalen Tag gegen Islamfeindlichkeit“ öffentlich thematisieren und würdigen. Ein mutiges Unterfangen, angesichts der um sich greifenden Islamophobie in Deutschland, wo sich bekanntlich muslimische Frauen nicht mehr in christlich geprägte Viertel wagen können, wenn sie Kopftuch tragen. Dabei sollte der heutige Karfreitag eigentlich den Blick auf die wirklich bedrohte Religionsgemeinschaft dieses Planeten richten.
Denn tagtäglich tragen unzählige Christen in der Welt ihr Kreuz, sind Opfer von Verfolgung und erleiden das Martyrium im Namen des Herrn. Die größte Christenverfolgung der Geschichte habe nicht im Römischen Reich stattgefunden, sondern finde aktuell, in der Gegenwart, statt – so Josef Pühringer von der kirchlichen Stiftung Pro Oriente. Eine neue Entwicklung sei in Südamerika zu beobachten, wo autoritäre Regime wie in Nicaragua gezielt Christen wegen ihres Glaubens töteten. Der sozialistische Diktator Daniel Ortega habe sogar die Prozessionen an den Kar- und Ostertagen verboten.
Doch sollte man Christenverfolgung nicht als reines Phänomen muslimisch-traditioneller Staaten abtun. Denn Platz 1 der Liste belegt das atheistisch-kommunistische Nordkorea. Auch die Volksrepublik China belegt mit Rang 16 einen nennenswerten Platz, angesichts seiner gewaltigen Bevölkerungszahl und der dort bestehenden Untergrundkirche. Indien, das in westlichen Medien so gut wie gar keine Erwähnung findet, belegt Rang 11. Das Image als „größte Demokratie der Welt“ kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Politik der hindu-nationalistischen Regierung fruchtet. Davon sind übrigens nicht nur Christen, sondern auch Muslime betroffen.
Einen speziellen Fall stellt das zwischen muslimischem Norden und christlichem Süden zerrissene Nigeria dar, das mit 213 Millionen Einwohnern zu den größten Ländern des Globus zählt. Die dortige Jagd islamischer Milizen auf christliche Bewohner hat es nur im Zuge des Pfingstmassakers in einer Kirche in die Medien geschafft. Ansonsten bleibt die Berichterstattung karg. Rund 100 Millionen Nigerianer bekennen sich zum christlichen Glauben.
Dass am 1. März mit Bola Tinubu ein Vertreter der Regierungspartei gewonnen hat, weckt wenig Hoffnungen für eine Änderung der Verhältnisse. Schon sein Vorgänger Muhammadu Buhari stand den Christenverfolgungen indifferent gegenüber. Wie Buhari ist er Muslim. Zwischen Oktober 2021 und September 2022 wurden laut Open Doors weltweit 5.621 Christen ihres Glaubens wegen ermordet – 5.014 davon allein in Nigeria. Weitere 4.726 Christen wurden als entführt gemeldet. Die Dunkelziffern liegen vermutlich höher. Die Organisation spricht von einer „gezielten Vertreibung und Auslöschung der christlichen Bevölkerung“.
Dass Nigeria dennoch nicht auf Platz 1 der Weltrangliste liegt, hängt mit der Art der Christenverfolgung zusammen. Sie ist in Nigeria nicht staatlich organisiert, sondern akzentuiert sich durch Übergriffe von islamischen Gruppierungen.
Dieses autoritäre Modell herrscht auch in Ländern wie Myanmar, Malaysia, Algerien und der Türkei vor. Zu Letzterer berichtet Open Doors: „Während des Berichtszeitraums wurden etliche Kirchengebäude beschädigt, entweiht, in Moscheen umgewandelt oder anderweitig angegriffen. Insbesondere christliche Asylbewerber und Flüchtlinge (einschließlich Konvertiten vom Islam) aus Ländern wie Iran, Afghanistan und Syrien waren erheblicher Diskriminierung und Misshandlung ausgesetzt.“ Während eine Organisation wie Ditib hierzulande die Macht des türkischen Staates im Namen der Religionsfreiheit ausbaut, zeigt sich derselbe Staat gegenüber den eigenen Minderheitsreligionen unbarmherzig.
Neben Nigeria konstatiert das Hilfswerk auch für andere Staaten Afrikas eine Zunahme von Gewalt gegen Christen. Christliche Dörfer werden dort regelrecht terrorisiert. Die muslimische Bevölkerung solidarisiert sich in vielen Fällen mit anti-christlichen Milizen. Dabei bestehen keine Skrupel, auch geschützte Bereiche anzugreifen. Am 7. Juli 2022 griffen Milizen der „Allied Democratic Forces“ in der Demokratischen Republik Kongo ein von Christen geführtes Krankenhaus an und töteten 13 Menschen.
Afghanistan ist nach der Taliban-Übernahme von Rang 1 auf Rang 9 gefallen. Das mag zuerst verwundern, hängt aber nicht mit der Toleranz der Taliban, sondern vielmehr mit den unbekannten Umständen seit dem Abzug westlicher Truppen zusammen. Zudem sind zahlreiche Christen geflohen; ein Punkt, der für viele islamische Länder zutrifft. Dass der Christenverfolgungswert in manchen dieser Länder sinkt, hängt demnach damit zusammen, dass es dort schlicht keine Christen mehr gibt. Der Exodus im Nahen Osten hält an. Neben den internen Verfolgungsmechanismen spielt die Türkei auch hier als auswärtige Macht eine unrühmliche Rolle. Zitat zu Syrien:
„Christen im Nordosten Syriens sind den Angriffen der Türkei auf ihre Dörfer ausgesetzt, bei denen Dutzende von Kirchen, christliche Friedhöfe, Schulen und andere wichtige Gebäude schwer beschädigt wurden. Deshalb verlassen viele ihre überwiegend von Christen bewohnte Region.“
Die einzige potenzielle Lobby der verfolgten Christenheit kann daher nur in den zumindest historisch christlich geprägten Staaten liegen. Deren bequeme Flucht in Relativismus und Gleichmacherei ist eher Hypothek denn Hilfe für die Märtyrer, die ganz im Sinne der frühen Kirchen das eigentliche Rückgrat des Christentums bilden. Denn: „Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden; wer aber bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet.“
Im sicheren Berlin, wo Diskussionen über ein Tanzverbot an Ostern die größte spirituelle Herausforderung darstellt, indes woanders christliche Dörfer niedergebrannt werden, ist die Thematisierung von Islamophobie ein ideologisch komfortabler Modus, um das, was in der Welt wirklich vor sich geht, auszuklammern. Da wäre die Einführung eines Internationalen Tages gegen die Christenverfolgung, wie ihn im Januar der AfD-Abgeordnete Jürgen Braun im Bundestag vorgeschlagen hat, wesentlich zielführender.