Tichys Einblick
Aleppo von Dschihadisten erobert

„Christen, Alawiten, Schiiten und nicht-gläubige Sunniten leben in Angst“

Die Einnahme Aleppos durch Dschihadisten ist das jüngste Gewaltdrama im globalen Machtkampf. Sie ist zugleich eine existenzielle Bedrohung für die verbliebenen Christen. TE dokumentiert das Schreiben von John Eibner, Chef der christlichen Hilfsorganisation CSI, die vor Ort tätig ist.

Aleppo, Syrien, 1. Dezember 2024

picture alliance / Anadolu | Abdulfettah Huseyin

John Eibner ist der Präsident der christlichen Hilfsorganisation Christian Solidarity International (CSI). Eibner selbst war mehrfach in Syrien vor Ort und hat ein genaues Bild von der dortigen Lage und den im Konflikt befindlichen Parteien. Im Vorstoß der syrischen „Rebellen“ erkennt er islamistisch motivierte Kämpfer. Der Westen ist an deren Erstarken mitverantwortlich. Tichys Einblick dokumentiert die Stellungnahme in Gänze:

Der dschihadistische Al-Qaida-Ableger Hayat Tahrir al-Sham (HTS, früher al-Nusra-Front) hat Aleppo erobert. Die Offensive der Dschihadisten gegen die einst blühende und religiös vielfältige Stadt ähnelt der plötzlichen Eroberung Mossuls durch den Islamischen Staat (IS) im Jahr 2014.

Christen, Alawiten, Schiiten und nicht-gläubige Sunniten leben in Angst. Sie wissen, dass die HTS von einer religiösen Ideologie geleitet wird, die darauf abzielt, „Ungläubige“ zu unterwerfen und zu unterdrücken. Aleppiner erinnern sich in diesen Tagen an die brutale religiöse Verfolgung, die sunnitische Kämpfer nach dem Aufstand des sogenannten „Arabischen Frühlings“ damals über sie gebracht hatten.

Exekutionen, Folter, sexuelle Gewalt und willkürliche Verhaftungen waren laut der UN-Untersuchungskommission für Syrien charakteristisch für die Herrschaft von Hayat Tahrir al-Sham. Ich habe selbst die weit verbreitete Schändung von Kirchen gesehen und die Berichte vieler Christen und anderer Menschen in Aleppo angehört, die die Schrecken der Besetzung der Stadt durch die HTS und verbündete dschihadistische Milizen in den Jahren 2012–2016 miterlebt haben.

Die neuerliche Einnahme Aleppos durch sunnitische Dschihadisten hat eine Bedeutung, die über die Stadt, Syrien und den Nahen Osten selbst hinausgeht. Es ist das jüngste Gewaltdrama im globalen Machtkampf, den Papst Franziskus seit 2014 zu Recht als Dritten Weltkrieg bezeichnet, der „in Raten ausgetragen wird“.

Die sichtbarsten blutigen Kriegsschauplätze sind heute die Ukraine und der Nahe Osten. Aber andere Fronten schwelen im Dunstkreis der neu entstehenden neo-osmanischen Welt, die sich von Bergkarabach im Osten bis zu radikalisierten islamistischen Moscheen in Deutschland im Westen erstreckt.

Washington und seine Verbündeten unterhalten weiterhin enge Beziehungen zu HTS und ihren dschihadistischen Verbündeten, wobei die islamistische Türkei, Deutschlands Nato-Partner, ihr wichtigster Förderer ist. Im Jahr 2014 räumte der damalige Vizepräsident Joe Biden ein, dass Washingtons regionale Partner – die Türkei, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate – „Millionen von Dollar und Zehntausende von Tonnen Waffen in … al-Qaida und die extremistischen Elemente der Dschihadisten, die aus anderen Teilen der Welt kamen“ gepumpt hätten, um die syrische Regierung zu stürzen.

Präsident Trumps Sonderbeauftragter für Syrien, Botschafter James Jeffrey, räumte 2021 ein, dass die HTS trotz ihrer Einstufung als terroristische Organisation verdeckt als „Werkzeug“ der Nahostpolitik Washingtons fungiert habe.

Die Zerschlagung des syrischen Staates ist das gemeinsame Ziel der Regierungen Obama, Trump und Biden, seit die Aufstände des „Arabischen Frühlings“ eine neue Ära der gewaltsamen Instabilität im Nahen Osten eingeleitet haben. Dschihadistische Stellvertreter wie die Hayat Tahrir al-Sham (HTS) waren die wichtigsten Instrumente dieser Politik. Sie werden unter der Bedingung eingesetzt und belohnt, dass sie nicht gegen US-amerikanische geopolitische Interessen handeln. Washingtons Unterstützung für die afghanischen Mudschaheddin gegen die Sowjetunion in Afghanistan in den 1980er Jahren hat ein Modell für den Einsatz dschihadistischer Armeen gegen Gegner geschaffen.

Drakonische Wirtschaftssanktionen sind ein weiteres zerstörerisches Instrument in Washingtons Werkzeugkasten zur Destabilisierung des syrischen Staates. Durch die völlige Umsetzung der EU- Wirtschaftssanktionen gegen Syrien im Tandem mit Washington hat Berlin eine wichtige Rolle bei der Zerschlagung des syrischen Staates und der Stärkung seiner dschihadistischen Feinde gespielt.

Die wichtigsten Unterstützer der syrischen Regierung, Russland und Iran, stehen derzeit an der ukrainischen bzw. libanesischen Front dieses globalen Kampfes unter enormem Druck. Die Hayat Tahrir al-Sham (HTS) hat jetzt von ihren internationalen Förderern grünes Licht für die Offensive gegen Aleppo erhalten. Der lediglich feigenblattartige Aufruf zur Deeskalation seitens der Regierungen der USA, von Deutschland, Frankreich und Großbritannien ist bezeichnend für die Haltung der atlantischen Allianz zur Eroberung Aleppos durch die Dschihadisten.

Kurz vor dem Wahltag warnte der designierte Präsident Trump: „Christen auf der ganzen Welt werden nicht sicher sein, wenn Kamala Harris Präsidentin der Vereinigten Staaten ist.“ Er fuhr fort: „Wenn ich Präsident bin, werde ich verfolgte Christen schützen. Ich werde mich dafür einsetzen, dass die Gewalt und die ethnischen Säuberungen aufhören.“

Der neue Präsident hat nun die einmalige Gelegenheit, sein Versprechen einzulösen. Amerikanische und deutsche Christen und jene, die die Religionsfreiheit und andere grundlegende Menschenrechte hochhalten, sollten darauf bestehen, dass dieses Wahlversprechen eingelöst wird. Die Atlantische Allianz muss dazu gebracht werden, sich für Religionsfreiheit und Menschenwürde einzusetzen, wenn sie eine Zukunft haben soll, die ihrer Gründungsprinzipien würdig ist.

Das bedeutet, dass gewalttätige Dschihadisten weder verdeckt noch offen unterstützt werden dürfen.


Dr. John Eibner
Internationaler Präsident
CHRISTIAN SOLIDARITY INTERNATIONAL (CSI)

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