Mit Chris Veber, Firmengründer und Unternehmer sprach ich über seine Erfahrungen mit den österreichischen Grünen, über den Zeitgeist und seine Fragen.
Ihre Autorenzeile lautet: Chris Veber, Ex-Philosoph, Ex-Grüner, Unternehmer, freier Journalist, Innsbruck. Bitte sagen Sie unseren Lesern, was tat und tut Christian Veber diesseits von Politik?
Chris Veber: Das Übliche. Leben, sich um die Familie kümmern, arbeiten, ein wenig nachdenken. Nach der Matura hab’ ich kurz Betriebswirtschaftslehre studiert, das klassische Studium für Alle, die noch nicht wissen, was sie wollen. Es war schrecklich langweilig. Aber zur Finanzierung des Studiums habe ich mit einem Freund und 2.000 Euro eine Firma gegründet, die eigentlich nur als befristetes Projekt gedacht war. Das Studium ist gegangen, die Firma geblieben. So hatte BWL doch noch einen positiven Einfluss auf mein Leben. Anfangs importierten wir Videospiele aus Japan (wir schreiben das Jahr 1989), später programmierten wir mit 17 Angestellten Software, bauten Computer, entwickelten 3D Anwendungen. Unsere Partner bzw. Kunden waren unter anderem die NASA, das Fraunhofer Institut und das Schweizer Militär (für Historiker, die Namen waren Funware, R2 Reality Two & FW Computer Systems;). Leider war die Eigenkapitalbasis zu schwach für so langfristige und kapitalintensive Entwicklungen und Fremdkapital kam in Europa nur von Banken: für 17% Zinsen. Nach dem lehrreichen Konkurs 1995 konzentrierten wir uns auf den Vertrieb von Videogames, speziell per Versand, den wir seit 1998 auch online im gesamten deutschen Sprachraum betreiben. Vor etwa 12 Jahren brauchte ich geistige Abwechslung zum Geschäft und begann ein Philosophiestudium, welches ich nach einem Disput über die Freiheit des Denkens (“eigene Gedanken dürfen Sie in der Doktoratsarbeit äußern”) wieder beendete. Seitdem denke ich unlizenziert und unkontrolliert, ab und an werden die Gedanken sogar gedruckt. Zukunftsprojekt, wenn´s Zeit und Familie zulassen, wäre ein Sciencefiction Buch. Mal sehen, ob´s klappt.
Wie kamen Sie zu den Grünen und warum sind Sie nicht mehr bei ihnen?
Ich wurde grün sozialisiert, meine Mutter wählte Grün, seit ich mich erinnern kann, daheim lagen grüne Medien wie „Der Standard“ am Tisch. Als ich mich dann 2012 dazu entschied, einer Partei beizutreten, waren die Grünen eine nicht hinterfragte erste, quasi logische Wahl. Vor allem mit meinem Hauptthema „Gerechtigkeit“. Dachte ich zumindest. Aber der Reihe nach. Für einen Menschen, der seine intellektuelle Freiheit schätzt, ist die Diskussionskultur bei den Grünen ein erster kleiner Schock. Wortmeldungen werden strikt nach Gender (damals hieß es noch Geschlecht) gereiht, Frauen immer zuerst, nach einem Mann unbedingt eine Frau. Was eine Diskussion nicht zwingend interessanter macht. Die eingeladenen Teilnehmer von Vorträgen oder Gesprächen werden auf ideologische Reinheit abgeklopft. Wer irgendwann einmal etwas gesagt hat, was der grünen Weltsicht nicht passt, ist draußen, auch wenn er etwas beizutragen hätte. Eigentlich hätte mir das schon zu denken geben sollen, aber offensichtlich bin ich in politischen Dingen ein langsamer Lerner. Ich dachte immer noch, ich könnte mit meinem Thema „gleiche Regeln für Alle“ (was ich unter Gerechtigkeit verstehe) etwas Positives erreichen. Für handfestere Irritationen sorgte bei mir unter anderem die Weigerung der Tiroler Vizelandeshauptfrau Ingrid Felipe, geringer verdienende Arbeiter und Angestellte mittels Zuschüssen aus der Sozialhilfe auf das Einkommensniveau von reinen Sozialhilfebeziehern zu heben. Angesichts einer Diskussion über Sozialhilfeempfänger, die monatlich tausende Euro erhielten, dachte ich, es würde bei den Leuten die Akzeptanz des Sozialhilfesystems steigern, wenn sie am Ende des Jahres auch für sich selbst Vorteile erkennen würden. Frau Felipe sah das anders. Auf meine Nachfrage, warum sie gleiche Mindesteinkommensniveaus für Arbeitende und reine Sozialhilfebezieher ablehne, sagte sie „darum“. Wir reden hier von Zahlungen zur Angleichung der erarbeiteten Einkommen an reine Unterstützungsbezieher, zur Erinnerung …
… bei diesem Dissens blieb es nicht?
Ein anderer Knackpunkt war das Bevölkerungswachstum. In Tirol ist Grund und Boden beschränkt verfügbar, die Berge sind da irgendwie im Weg. In einer Diskussion mit dem damaligen Landessprecher Hubert Weiler-Auer bestritt dieser, dass die Bevölkerung sich binnen einer Generation verdoppeln würde, wenn jedes Paar vier Kinder bekommen würde. Darum dürfe es auch keinerlei Einschränkungen bei der Unterstützung besonders kinderreicher Familien geben. Auch die Mathematik gehört zu den Bösen, wenn´s der grünen Ideologie widerspricht. Darum werden in Innsbruck unter einem grünen Bürgermeister auch Grünflächen zubetoniert und Wohneinheiten nachverdichtet, dass es eine Freude ist. „Wir wachsen, und das ist gut so.“ Eine Wunschzielgröße für die Stadt vorzugeben wäre absolut undenkbar. Da räsonieren die Grünen in Form des ehemaligen Planungsstadtrats Gerhard Fritz lieber darüber, dass 40 qm Wohnraum pro Kopf genug seien. Das grüne Wohnideal ist offensichtlich eben die Käfighaltung des Menschen, die sie bei Hühnern ablehnen.
Eine Anekdote, die gut zeigt, wie Grüne das Verhältnis zwischen Bürger und Staat sehen, war meine Diskussion mit der jetzigen Vizelandeshauptfrau Ingrid Felipe über leistbares Wohnen. Ich plädierte vorrangig für Unterstützung bei der Eigentumsschaffung. Ein Bürger, dem seine Wohnung gehört, ist ein unabhängiger Bürger. Angstfrei und mündig. Frau Felipe war für Sozialwohnungen. Da ist der Bürger ständig vom Staat abhängig. Darf er bleiben? Bekommt jemand anders seine Wohnung? Er bleibt unmündig und kontrollierbar. Angstfreie Bürger stehen nicht auf der grünen Wunschliste. Sehr gut zu sehen ist das auch in der Art, wie Umweltpolitik betrieben wird. Mit dem Schüren der Angst vorm Weltuntergang und Klimapanik. Im Übrigen hat Frau Felipe meines Wissens nach sich zuallererst eine Eigentumswohnung gekauft, als sie Vizelandeshauptfrau wurde (Gehalt 17.000 Euro, 14x jährlich).
… da schließt das Thema Zuwanderung von Menschen mit Großfamilien-Tradition wohl direkt an?
Es ging bei allen diesen Themen natürlich unterschwellig schon um das Thema Migration, das meiner Erfahrung nach das absolut wichtigste Thema auf der grünen Agenda ist. Weit vor dem Umweltthema, mit dem die Grünen immer werben. Im Migrationsjahr 2015 zeigte sich dies unter anderem darin, dass die grüne Soziallandesrätin Christine Baur langjährige unkündbare Mietverträge für Flüchtlingsheime abschloss. Die unkontrollierte Zuwanderung Zehntausender war kein Notstand, der möglichst rasch wieder der Normalität weichen sollte. Die Zuwanderung WAR die lang erwartete und ersehnte neue Normalität. Dass dies in Tirol schlicht und ergreifend physikalisch nicht möglich war (Sie erinnern sich, wenig Grund und Boden), wurde ignoriert. Die Ideologie schlägt bei den Grünen immer die Realität. Was 2018 dann zum finalen Showdown zwischen mir und den Grünen führte.
Am Grünen Bundeskongress 2018 (kurz BuKo, auf dem der jetzige Vizekanzler Werner Kogler zum Bundessprecher gewählt wurde) habe ich als einziger Grüner einen inhaltlichen Antrag gestellt: zu den Themen Gerechtigkeit bei der Einkommensbesteuerung, Gerechtigkeit bei der Firmenbesteuerung, Immobilienpreise/Mietpreise u.a. durch Spekulationssteuer senken, Regelung der Migration.
Wie sind Sie Delegierter des Bundeskongresses geworden?
Kurz nach meinem Parteieintritt fanden Wahlen für die Innsbrucker Funktionen bei den Grünen statt. Offiziell ist der Bundeskongress das höchste Gremium der Grünen, dort werden die Richtlinien der Politik erstellt. Zumindest in der Theorie. In der Praxis ist der BuKo ein Akklamationsorgan, welches abnickt, was die Parteiführung vorgibt. Nicht unähnlich der gelebten Praxis der parlamentarischen Demokratie in Österreich, in der ja auch das Parlament die Gesetze beschließen sollte, welche dann von der Regierung vollzogen werden. Auf alle Fälle hat mich der Job interessiert und weil´s dafür keine Entlohnung gibt, war der Konkurrenzdruck bewältigbar und ich wurde gewählt. Später bin dann draufgekommen, dass ein braver BuKo-Delegierter höchstens zur Solidarität mit Irgendwem oder der Verurteilung von Irgendwas aufrufen sollte. Streng nach Grüner Ideologie, natürlich. Aber zurück zum 2018er BuKo.
Was dann passierte: Der damalige Geschäftsführer der Tiroler Grünen Thimo Fiesl rief mich an, ob ich den Antrag nicht zurückziehen wolle. Ich erklärte, speziell im Hinblick auf die kommenden EU-Wahlen sollte der Antrag diskutiert und abgestimmt werden. Anschließend wurde die Antragsfrist verlängert und die Grünenchefin Ingrid Felipe et al. stellten einen Antrag, über meinen Antrag nicht abzustimmen. Dann kam der Tag des BuKo, ich reiste nach Wien und stellte verwundert fest, ich stand nicht mehr auf der Delegiertenliste. Thimo Fiesl wies mich erstaunt darauf hin, ich sei ja ersetzt worden, ob mich keiner informiert hätte. Ich war meinerseits erstaunt, vor allem, weil Fiesl mich ja zum BuKo angemeldet hatte. Man wollte mich den Saal nicht betreten lassen. Nach Drohung mit der anwesenden Presse war nach zwei Stunden wenigstens sichergestellt, ich dürfe den Saal betreten und meinen Antrag vorstellen.
… was nicht passt, wird passend gemacht?
Der Kongress begann um 09:00. Mein Antrag, der als Einziger rechtzeitig eingereicht war und in den Unterlagen stand, wurde zum Schluss behandelt. Ganz zum Schluss. Nach allen anderen Anträgen und Resolutionen, als die Leute müde und die Kameras abgeschaltet waren. Es wurde trotzdem spannend. Die ersten drei Punkte wurden nicht erwähnt, es ging ausschließlich um geregelte Migration. Kein einziger Delegierter unterstützte mich offen (nur im Halbdunkel des Saalendes kamen Schulterklopfer vorbei), die Wortmeldungen waren u.a., ich wolle die Genfer Flüchtlingskonvention abschaffen, sei zynisch und rassistisch. Meine Lieblingsmeldung folgte auf meinen Hinweis, wir begünstigten Migration von jungen Männern auf Kosten von besonders schutzwürdigen Frauen und Kindern. Der von mir nach dem Verhältnis von weiblichen und männlichen Lehrlingen gefragte Kurzzeit-Gesundheits- und Sozialminister Rudi Anschober schwieg, dafür kassierte ich die Antwort eines Delegierten “Fakten sind das Narrativ der Rechten”.
Der Ablehnung (!) einer geheimen Abstimmung folgte dann zu 100%, ohne eine Gegenstimme, die Annahme des Antrages von Frau Felipe, über meinen Antrag möge nicht abgestimmt werden. Stalinistische Gesinnungskontrolle im 21. Jahrhundert, dein Name ist Grün.
Da wusste ich dann, mit dieser Partei wird’s nichts mehr mit meinem Leibthema „Gerechtigkeit“. Oder Nachhaltigkeit. Oder rationalem Denken. Im Jänner 2019 bin ich bei den Grünen ausgetreten.
Aber die Geschichte hat auch eine Medienkomponente, wie Sie mal erwähnten?
Im November 2019 gab Werner Kogler als Spitzenkandidat der Grünen der Zeitung „Der Standard“ ein Interview, in dem er behauptete: “Wir (die Grünen) haben immer Migrationskonzepte gehabt, die durchaus an den kanadischen Modellen angelehnt sind.” Warum er das sagte, ist klar, die Migrationsproblematik ist eine Schwachstelle der Grünen bei den österreichischen Wählern und war einer der Hauptgründe für den zwischenzeitlichen Rauswurf aus dem Parlament. Hier Realismus und Besonnenheit zu zeigen, ist vor einer Wahl nicht unklug. Das Problem ist nur, die Behauptung war glatt gelogen. Die Grünen sind Vieles, aber keine Vertreter des kanadischen Modells. Ich weiß es, ich habe den abgelehnten Antrag zur Migration nach kanadischem Modell gestellt. Werner Kogler weiß es auch, er war an Ort und Stelle. Warum Kogler den Wählern etwas Anderes erzählt hat, ist klar. Er wollte die Grünen wieder ins Parlament führen. Es ist nur unredlich. Und die Aufgabe von Journalisten wäre es, solche Widersprüche aufzuzeigen und zu hinterfragen. Also habe ich Frau Sterkl, die Redakteurin, die das Interview geführt hat, per mail kontaktiert und ihr den Sachverhalt berichtet. Zuerst erfolgte keine Reaktion, nach mails bis zum Chefredakteur und Herausgeber kam dann nach einem Arbeitstag eine Rückmeldung, die Grünen seien kontaktiert und mit dem Vorwurf konfrontiert worden. Auch die Grünen brauchten einen Tag zum Reagieren. Und teilten Frau Sterkl mit, das Kanada-Modell sei bereits seit Terezija Stoisits (langjährige Nationalratsabgeordnete ab 1990) Teil des grünen Programms. Trotz des offensichtlichen Widerspruchs, trotz der sehr ungewöhnlichen Vorgangsweise vor und während des Bundeskongresses, beschloss Frau Sterkl, die Grüne Position nicht zu hinterfragen. Wortwörtlich fragte sie mich “Warum sollte Werner Kogler lügen?” Hätte sie mich das auch gefragt, wenn der Interviewpartner ein „rechter“ Politiker gewesen wäre? Ich verstehe das Problem von Frau Sterkl, die von ihr favorisierten Grünen haben zum leidigen Thema Migration keine der Öffentlichkeit präsentierbare Haltung. Aber die Bürger haben das Recht, über die wahre Position einer Partei vor einer Wahl aufgeklärt zu werden, nur dann können sie sich eine fundierte Meinung bilden und entsprechend handeln. Das ist das Einmal Eins des Journalismus und der Politik.
Woran denken Sie noch zurück bei den Grünen?
Die grüne Sicht auf Gerechtigkeit illustriert eine Debatte über die früher 22 Sozialversicherungsträger in Österreich. Je nach Zugehörigkeit (Angestellter, Beamter, Bauer usw.) wird die eigene Pensionsbeitragsleistung sehr unterschiedlich vom Staat unterstützt. Wir reden hier von extremen Unterschieden, Angestellte etwa erhalten nur 18% staatliche Unterstützung, Bauern am anderen Ende der Skala 79%. Die Bauernpensionen verdienen angesichts ihrer niedrigen Durchschnittshöhe jeden Euro Zuschuss, bei den sehr hohen und ebenfalls stark geförderten Beamtenpensionen sieht das schon ganz anders aus. Ich regte eine Reduktion der Sozialversicherungsträger auf zwei und die prozentuale Angleichung der staatlichen Zuschüsse an. Wie soll ich sagen, die grüne Community war not amused. Viele Grüne arbeiten im Staatsdienst und haben Beamtenstatus, der Verzicht auf eigene Privilegien steht nicht prominent auf ihrer Agenda. Jetzt haben wir einen grünen Sozialminister, an der Pensionsungerechtigkeit hat sich Nichts geändert.
Wie schaut Ihr heutiger Blick auf die österreichischen Grünen aus?
Seit meinem Abgang haben sich die Grünen weiter radikalisiert. Bei ihrer Studentenorganisation GRAS hat zum Beispiel ein Mann, der sich als Mann fühlt und Frauen liebt, den Raum zu verlassen, wenn dies von einer LGBTQ*Person_Frau gefordert wird, weil sie sich in seiner Gegenwart unwohl fühlt. Aber in Österreich wird ihre Radikalität vom größeren Regierungspartner ÖVP im Zaum gehalten, dessen Programm die Antithese zur Grünen Ideologie darstellt. Solange die Grünen aus Gehaltsgründen in einer Koalition mit der ÖVP regieren, können sie ihre staatsgefährdenden Visionen nicht umsetzen. Übrigens eine weitere Lehre aus meiner Zeit bei den Grünen, persönlicher finanzieller Vorteil schlägt Ideologie, immer. Aber sollten die Grünen jemals in die Nähe der Kanzlerschaft kommen, wäre ihr erster Schritt die Einladung aller Menschen des „globalen Südens“ nach Österreich. Wirklich Aller, wortwörtlich. Das würde Österreich nicht überleben, das würde auch die EU nicht überleben.
Die Grünen halten sich bei dem Thema öffentlich aus taktischen Gründen zurück?
Natürlich werden die Grünen das immer bestreiten, sie wollen ja Kanzler werden. Aber allein die logische Kette der grünen Forderungen „keine Zurückweisungen an den Grenzen“, „Rettung aller Menschen nach Europa“ und „keine Deportationen“ (laut Grünen sind überspitzt formuliert praktisch nur die Schweiz und Deutschland sichere Drittländer) zeigt, auf welche Konsequenzen Österreich und Europa sich gefasst machen müssen, sollten die Grünen jemals an die Macht kommen.
Sehen Sie zwischen den österreichischen und den deutschen Grünen Unterschiede?
Ja. Aber nicht zum Guten. Die deutschen Grünen sind noch mehr vom Furor der ideologischen Reinheit beseelt. 2014 sprach zum Beispiel die deutsche Grüne und EU-Abgeordnete Ska Keller als „Einpeitscherin“ (so hab ich´s empfunden) am BuKo der österreichischen Grünen. Dagegen sind die österreichischen Grünen warmduschende moderate Realos. Die Extremisierung der Grünen ist in Deutschland deutlich weiter fortgeschritten als in Österreich. Andere politische Positionen werden noch ausdrücklicher als Feindbild verstanden, nicht als andere Sicht der Dinge. Und Vertreter dieser Positionen als Feind, der robust bekämpft werden muss. Es fehlt noch mehr das Verständnis, dass Demokratie immer auch abweichende Meinungen beinhalten darf und muss.
Migration ist Ihrer Erfahrung nach „das absolut wichtigste Thema auf der grünen Agenda weit vor dem Umweltthema, mit dem die Grünen immer werben“. Wie weit ist das den Mitgliedern der grünen Partei bewusst oder den Delegierten zum Bundeskongress?
Bei den einfachen Mitgliedern, deren Engagement sich im Zahlen des Mitgliedsbeitrages erschöpft, würde ich dieses Bewusstsein bei deutlich über 50% ansiedeln. Das sind ja auch diejenigen, die auf „Wir haben Platz“-Demos gehen, in steuerfinanzierten NGOs mitarbeiten, Gender- und Sozialwissenschaften studiert haben usw., Grüne Kernklientel. Bei den Funktionären würde ich auf 80% tippen, für die unregulierte Migration mit Abstand das wichtigste Thema ist. Ich traue mich, das deshalb so genau zu sagen, weil ich beim spontanen Antreten gegen die Tiroler Vizelandeshauptfrau Ingrid Felipe in geheimer Wahl über 20% der Stimmen bekommen habe. Der Hauptpunkt meiner aus dem Stegreif gehaltenen Rede war Migration und deren Regulierung. Bewusst ist aber ALLEN Funktionären, also auch allen BuKo-Delegierten, dass ungehinderte Migration causa prima ist. Darum traut sich ja Niemand, offen die Stimme zu erheben, wenn er anderer Meinung ist. Siehe meine BuKo Erfahrung.
Warum ist für so viele Grüne „ungehinderte Migration causa prima“? Wie erklären Sie sich das?
Der Grüne sieht sich selbst als guten Menschen. Eigentlich als den besten Menschen. Er ist hypermoralistisch, präsentiert sich seiner historischen Schuld für den Kolonialismus und der Verantwortung für die Rettung des Planeten bewusst. Vor allem aber ist er unfähig zur Differenzierung. Komplexität und Uneindeutigkeit vertragen sich ganz schlecht mit Moralismus. Im Falle Migration bedeutet das, es ist denkunmöglich, einem Menschen die „Rettung“ nach Europa abzusprechen. Am Bundeskongress wurde ich von einem Abgeordneten angesprochen, der mir mitteilte, er sei enttäuscht von mir. Er sei aus Ghana, ob ich den Menschen dort verweigern wolle, nach Europa zu kommen. Nun ja, genau das will ich. Ich war in Ghana. Es gibt keine Hungersnöte, die Regierung ist zwar korrupt, aber übt kein Terrorregime aus. Es gibt dort nicht mal nennenswerte Aktivitäten islamischer Terroristen. Warum also sollten die Menschen aus Ghana ein naturgegebenes Recht haben, in Europa oder Österreich zu leben? Oder ein Recht laut Menschenrechts- oder Flüchtlingskonvention? Aber für Grüne ist es eben unmöglich, Unterscheidungen zu machen. Moralismus ist immer absolut. Da kann es keine Kompromisse geben. Und warum Migration die Umweltrettung in der Priorisierung schlägt? Ich glaube, es ist einfach ein „menschlicheres“ Thema. Sich mit einem Migranten zu solidarisieren, ist gefühlsmäßig befriedigender, als sich mit einem komplexen physikalisches Phänomen wie dem Wandel des planetaren Klimas zu beschäftigen. Mitgefühl ist ja auch eine zutiefst menschliche Eigenschaft. Es taugt nur nicht als alleinige Handlungsanleitung für Politiker, Mitgefühl ohne Rationalität löst keine Probleme. Aber speziell seit dem Aufkommen des Wokeismus ist Rationalität abgemeldet. Da ist dann auch die Argumentation für geregelte Migration sehr schnell rassistisch, kolonialistisch und weiß der Teufel was sonst noch. Der „weiße Mann“ schuldet dem „globalen Süden“ das Einwanderungsrecht in grüner Sicht schon aus Wiedergutmachungsgründen.
Grüne, denen es gerade in einem Land mit objektiv begrenztem Raum wie Tirol und seinen Nachbarn um einen vernünftigen Umgang der Zivilisation mit der Kulturlandschaft geht, gibt es nicht mehr? Oder sind solche Leute in anderen Bereichen aktiv geworden?
Diese Leute gibt´s noch. Aber entweder haben sie die Grünen inzwischen verlassen und versuchen sich anderswo einzubringen. Oder sie halten den Mund und hoffen, dass der Wahnsinn vorübergeht. Was meiner Meinung nach eine vergebliche Hoffnung ist. Die Führungskader und Funktionärskaste der Grünen haben sich ideologisch dermaßen im Wokeismus eingebunkert, dass eine Rückbesinnung auf das Bewahrende des grünen Gedankens nicht mehr vorstellbar ist. Statt vernünftigem Umgang mit den natürlichen Ressourcen gibt’s jetzt die Maximierung der Zuwanderung, statt Gerechtigkeit Genderismus und statt einer aufrichtigen Benennung von Problemen die ewige Erzählung vom weißen Rassismus.
Wohin geht es, worauf müssen wir gefasst sein?
Hätten Sie mich das früher gefragt, wäre meine Antwort klar gewesen. Neben dem Untergang des Mittelstandes hätte ich die größte Bedrohung unserer Freiheit und Demokratie in der Unterwanderung durch den Islamofaschismus (vulgo: Der politische Islam) gesehen. Aber seitdem ich miterlebt habe, wie die Grundrechte handstreichartig in der „Corona-Krise“ abgeschafft wurden, um eine Hygienedemokratur einzuführen, wird der Kampf um die Freiheit in Zukunft vorrangig gegen den Ökostalinismus zu führen sein. Die Grünen argumentieren jetzt schon ident zur „Corona-Krise“. Das Klima verhandelt nicht. Die Klimarettung ist alternativlos. Die Wissenschaft sagt, wir müssen. Das Ziel ist ein „starker Staat“, der Grundrechte nach Belieben vergeben oder entziehen kann, und die totale Kontrolle über alle Lebensaspekte seiner Bürger hat. Natürlich nur zu unser Aller Besten. Dabei streng woke, politisch korrekt und gendergerecht. Nur leider hat die Geschichte gezeigt, gelenkte Demokratie ist keine. Sie bringt ausschließlich desaströse Ergebnisse.
Die Erfahrungen mit den Modellierern und „der Wissenschaft“ in der „Pandemie“ sollten uns lehren, absolut vorgetragenen Wahrheiten mit Skepsis zu begegnen. Wenn die Covid-Modellierer mit allen (und zwar wirklich allen) Voraussagen zur Entwicklung der „Fallzahlen“ und „Inzidenzen“ falsch lagen, in einem kleinen Land mit einer sehr überschaubaren Bevölkerung, dann fehlt mir der Glaube, dass die wesentlich komplexere Entwicklung des globalen Klimas unter zusätzlicher Berücksichtigung der Sonnenaktivität über 30 oder 70 Jahre prognostiziert werden kann. Oder der menschliche Anteil daran quantifiziert. Das Klima war immer im Wandel begriffen und der Mensch tut gut daran, seine Umwelt zu bewahren. Darüber hinaus gibt es wenig Gewissheiten, auch wenn von der Politik handverlesene „Experten“ uns vom Gegenteil überzeugen wollen. Ein wahrhaft demokratischer Staat mit mündigen Bürgern und einer freien, unbeeinflussten Forschung wird auf alle Fälle besser kommende Herausforderungen bewältigen als eine ökostalinistische „Klimademokratur“, die bei allem Elend, das sie produziert, dabei auch die Umwelt mehr schädigen wird als eine freie Demokratie.
Danke für das Gespräch!