Tichys Einblick
Hochkritische Fragen

Brennt Griechenland um Platz für Windparks zu schaffen?, fragen Zeitungen

Gibt es einen Zusammenhang zwischen den verheerenden Bränden in Griechenland und den Windkraftplänen der Regierung? Auf Euböa glauben das viele Bürger und auch namhafte Medien berichten darüber.

IMAGO / NurPhoto

Seit bald zehn Tagen halten sich die Brände in Griechenland, vor allem im Süden des Landes; erst in den letzten Tag löschte Regen viele Brände. Dass es sich bei dem Geschehen um eine nationale Katastrophe handelt, wird von niemandem bezweifelt. Zugleich reißen die Augenzeugenberichte nicht ab, die von Auto- und Motorradfahrern erzählen, die jeweils eine Spur der Flammen hinterlassen hätten. Eine Augenzeugin im großflächig abgebrannten nördlichen Euböa hat solches beobachtet und ist überzeugt, dass man die Täter fassen werde. Andere sind da weniger zuversichtlich und sehen eine richtiggehende Verschwörung am Werk, mindestens aber eine Massierung mehrerer unglücklicher Umstände.

In einer Nachrichtensendung berichtet die Euböerin M. Stamatoula von ihren Erfahrungen in der ersten Woche der Brände und verspricht jenen, die die Katastrophe angerichtet haben, den erbitterten Widerstand der Euböer: »Wir sind im Schock. Wir sind nicht nur wütend. In diesem Moment sind wir alle vereint. Die, die uns das angetan haben, werden es sehr teuer bezahlen. Das wird nicht einfach so vorbeigehen. Es ist ausgeschlossen, dass wir ihnen erlauben, das zu tun, was sie vorhaben.« Tagelang waren die Anwohner ohne fließendes Wasser, ohne Strom, ohne Nahrung, auch weil der Körper die Aufnahme verweigert, der dichte Rauch überall.

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Was die Inselbewohnerin auf Alert TV berichtet, wäre – wenn sich als wahr erwiese – die Bestätigung, dass Euböa brennen musste, um Platz für neue Windkraftanlagen zu schaffen. »Es begann alles mit einem kleinen Feuer am Euböischen Golf«, erzählt M. Stamatoula, und das habe sich in Windeseile bis zur Ägäis (auf der anderen Seite der Insel) ausgebreitet, ohne dass irgendjemand einen Löschversuch unternommen hätte.

Der Leiter der örtlichen Feuerwehr soll quasi offiziell verkündet haben, dass die Bewohner ihre Dörfer räumen müssten: »Das ganze nördliche Euböa wird verbrennen.« Die Feuerwehr habe Anweisungen, nicht zu löschen, bevor die Brände nicht die Häuser erreichten. Negativer Gipfelpunkt der unfassbaren Erzählung: Erst als die TV-Teams zum Drehen kamen, sei schließlich ein Feuerwehrfahrzeug in die brennende Region gekommen – allein, es kam ohne Wasser, um nach wenigen Minuten unverrichteter Dinge wieder abzufahren. In dem Moment brannten bereits Häuser.

Am 22. Juli sprach sich der Gemeinderat gegen den Windpark aus

Doch M. Stamatoula ist noch immer nicht fertig. Sie selbst habe mit Feuerwehrleuten gesprochen, die angaben, das Feuer seit Stunden zu beobachten, ohne einzugreifen. Währenddessen kämpften die einfachen Bürger, sogar freiwillige Helfer vom Festland mit Zweigen und verbrannten Händen gegen die Flammen, die sich auf mehrere Dörfer zubewegten. Die Bewohner lebten bis jetzt von den Pinien, von den Olivenbäumen, der Imkerei und dem Tourismus. Es wird ein harter Winter werden, und das Land wird nicht aufnahmefähig sein für den Regen – als nächstes sagt M. Stamatoula Überschwemmungen voraus.

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Die Insulanerin bemüht sich, wie sie glaubwürdig versichert, im Fernsehen ruhig und gesittet Bericht zu erstatten, um von allen, die es angeht, ernst genommen zu werden. Den verbalen Ausbruch des Sturms, der in ihr tobt, gestattet sie sich nicht, um ihre Sache, ihr Recht, für das sie kämpfen will, nicht aufs Spiel zu setzen. Am 22. Juli, zwei Wochen vor Ausbruch der ersten Brände, hatte sich der Gemeinderat der Orte Limni, Mantoudi und Agia Anna im Norden der Insel eindeutig gegen die Windkraftpläne der Regierung ausgesprochen. Ein Vertreter sagte, es gebe nur zwei Möglichkeiten: »Entweder halten wir sie auf, oder sie stoppen jede Perspektive für den Windkraftanlagenbau in der Region, für uns und unsere Kinder.« 65 Windkraftanlagen waren zu diesem Zeitpunkt in Nord- und Zentraleuböa geplant.

Auch die abwägend schreibende Website Militaire spricht von vielen »Zufällen«. So waren gerade die Grundstücke im Norden Euböas, auf denen man Windkraftanlagen bauen will, von dichten Wäldern bewachsen, die unter Naturschutz standen. Zur Erschließung als Windpark hätte man nicht nur die Fläche für die riesigen Plattformen (jede aus 500 Kubikmeter Beton) roden müssen, sondern auch zahlreiche Zufahrtstraßen anlegen müssen. Auch die Windkraftanlagen, so sie erbaut werden, werden eine Brandgefahr darstellen.

Durch die Feuer fühlen sich viele Insulaner nun bestätigt. Laut dem von EU-Kommission betriebenen »Klimawandel-Service« Copernicus sind in Nord- und Zentraleuböa bis zu diesem Mittwoch rund 50.000 Hektar Land verbrannt, davon etwa die Hälfte Wald. Und noch immer brennt es auf der Insel. Für die Windkraftanlagen gehen die Planer über Leichen, so der Eindruck der Anwohner. Die Euböerin M. Stamatoula sagt es explizit: Die Entscheidung des Gemeinderats ist in der Frage der Windräder ohne jeden Belang. Geschehen wird, was die Regierung in Athen beschlossen hat – ob die Bürger wollen oder nicht. Das ist die konservative Ökodiktatur auf die griechische Art.

Ein General musste seinen Hut nehmen

Der Ortsvorsteher des Küstendorfs Roviés, Thodoris Keris, bestätigt die Schilderung von M. Stamatoula in praktisch allen Punkten: »Die Regierung hat Euböa absichtlich brennen lassen. Drei Tage lang kam kein Flugzeug her, nicht einmal eine Drohne, alles, damit sie hier wie in ganz Griechenland Windkraftanlagen bauen können.« Feuerwehrleute hätten ausgesagt, sie hätten Anweisung, die Lage zu beobachten, aber nicht einzugreifen – und im Angesicht der Flammen Selfies gemacht. Das gelte nicht für alle Feuerwehrleute, schiebt Keris nach, einige Löschzüge hätten Blut und Wasser geschwitzt, um die Brände zu löschen. Der Ortsvorsteher fordert die Staatsanwaltschaft zum Handeln auf. Er, der diese Regierung einst gewählt habe, sei nun zum äußersten enttäuscht von ihr. Nur mit mehreren Spezialkräfte-Einheiten könnten sich der Premier oder seine Minister heute noch auf die Insel trauen.

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Zusammengenommen sind das schwere Vorwürfe. Experten widersprechen ihnen in der denkbar allgemeinsten Weise: Ein Abbrennen der Wälder sei keineswegs notwendig für die Bauprojekte, es sei sogar kontraproduktiv, verhindere die Bauten eher, als sie zu ermöglichen. Vielleicht bemerken die Bürger aber auch einfach, wie das Feuernarrativ bruchlos in das Klima- und Windkraftnarrativ übergeht. Inzwischen musste ein hoher General, der für den Hubschraubereinsatz gegen die Brände verantwortlich war, seinen Hut nehmen, weil entweder nicht genug Hubschrauber einsatzbereit waren oder nicht genug Löschflüge geflogen wurden.

Es ist auch der altgewohnte Konflikt zwischen der Hauptstadt und dem Land, der so in die nächste Runde geht. Seit je wirft das ländliche Griechenland den Regierenden in Athen vor, die Hauptstadtregion zu bevorzugen und den Rest zu vernachlässigen. Sogar die Anzahl der Feuerwehrleute und Löschzüge ist an dieser Stelle umstritten: Offizielle Stellen geben hohe Zahlen an, die Bürger glauben, sie aus ihrer eigenen Beobachtung widerlegen zu können.

Ein alter Konflikt geht in die nächste Runde

Der Vorwurf ist nicht neu, dass die Herrscherkaste des Landes den ersten Blick auf den eigenen Wohnort wirft, und das ist meist Athen. Knapp die Hälfte aller Griechen leben in der Agglomeration, was den Einsatz von größeren Ressourcen zum Teil rechtfertigen mag. Dennoch klagen die Landbewohner nur ihr Recht ein, wenn sie im Tausch für ihre Steuern angemessene staatliche Dienste erwarten. Es gibt freilich eine langfristige Erfahrung im Lande, dass dieser Tausch nicht funktioniert. Auch heute noch lassen die öffentlichen Leistungen in vielem zu wünschen. Und klar ist (das schreiben auch einzelne Journalisten): Die Bürger wollten nicht evakuiert, sondern wirksam vor ausbrechenden Feuern geschützt werden.

Behördenversagen
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Auch wo es nicht um Windkraft geht, kommen alte Konflikte erneut ans Tageslicht. Ein fassungsloser älterer Mann aus den Bergen der Peloponnes berichtet im Vor-Ort-Interview von seinem Anruf bei einem örtlichen Verantwortungsträger, dem er die Situation in seinem Dorf schilderte und den er dringend bat, die Feuerwehr zur Unterstützung zu schicken. Die Antwort beraubte den Bürger, der in jenem Moment schon genug Schlimmes erlebt hatte, jedes Trostes: Der Mann am anderen Ende der Leitung fragte ihn, ob er einen Politiker oder sonst ein hohes Tier kenne, das sich für ihn einsetzen könnte. Das ist das alte, klientelistische System in Reinform und mit seiner hässlichsten Fratze. In der Stunde der höchsten Not soll wichtig sein, was einer gewählt hat, bei wem er sich lieb Kind machte, um sich im Dickicht widerspenstiger Bürokraten und unzureichender Gesetze Schutz zu verschaffen.

Der sich ergebende Dschungel einer gezüchteten Recht- und Gesetzlosigkeit erhöht die Unsicherheit, führt aber ebenso zur Widerstandsfähigkeit der Bewohner, die meist wissen, dass vom Staat wenig zu erwarten ist und dass man folglich selbst für sein Recht kämpfen muss. Daneben gibt es allerdings noch einen anderen Weg, den Defätismus, der die Bürger die immer gleichen Parteien wählen lässt – nicht in der Hoffnung, dass sich irgendetwas ändert, sondern in dem Bewusstsein, dass jede neue Partei genauso korrupt wäre wie die alten.

Man bräuchte also mehr, vielleicht bessere Gründe als nur jene Unzufriedenheit, die sich im eigenen Hamsterrad dreht, wenn man eine wirklich neue politische Bewegung gründen und etablieren wollte. Im übrigen sind alle Versuche dazu seit dem Aufstieg von Syriza – der auch keine neue Partei war und das sozialistische Pasok im Grunde nur ersetzt hat – gescheitert. Zwischenzeitlich hat es sich die Nea Dimokratia zur Aufgabe gemacht, die von ihr abgespaltenen Protestparteien wieder ins eigene Boot zurückzuholen – natürlich um den Preis des Klientelismus. Doch der sichere Sitz der Regierungspartei rührt heute auch aus dieser Wiedervereinigung der Konservativen und Nationaldenkenden. In dem Maße, in dem die Fehlleistungen der Regierung zunehmen, wird aber auch diese Allianz für den Raum rechts der Mitte brüchig.

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