Tichys Einblick
Keine Aussicht auf Realismus

Brüsseler Ängste und Berliner Reiselust

Ziehen ohnehin schon dunkle Wolken über Brüssel auf, perlt bei dem Ergebnis der Parlamentswahlen in der Slowakei Angstschweiß von den Stirnen Brüsseler Funktionäre. Nur Baerbock gibt die paneuropäische Nike. Die Wahlen ein Lokalereignis: doch der Effekt könnte Hebelwirkung entfalten.

IMAGO

Die slowakische Nationalversammlung hat 150 Sitze. Gewonnen hat die Wahl am Wochenende der Sozialdemokrat Robert Fico mit seiner Partei „Richtung-Slowakische Sozialdemokratie (Smer-SSD) mit 22,94 % und kann damit 42 Plätze im Parlament besetzen. Für eine Regierungsmehrheit benötigt Fico 76 Stimmen. Als zweitstärkste Partei etablierte sich die Partei Progressive Slowakei (PS), die in der letzten Legislaturperiode nicht dem Parlament angehörte. Allerdings siegte die stellvertretende Parteivorsitzende Zuzana Čaputová bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2019. Sie ließ ihre Parteimitgliedschaft ruhen und trat die Präsidentschaft an.

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Es gilt als nicht sehr wahrscheinlich, dass Ficos Smer-SSD mit der PS von Michal Šimečka koaliert. Auch wenn PS und Smer-SSD eher linke Parteien sind, PS linksliberal, Smer-SSD sozialdemokratisch, verlaufen die Bruchlinien in der slowakischen Politik nicht zwischen rechts und links. Fico gewann auch mit der Wahlaussage, zwar die Ukraine weiter unterstützen zu wollen, aber nicht mit Waffen, während PS weiter für Waffenlieferungen ist. Sowohl PS als auch Smer-SSD müssen Koalitionspartner suchen, PS allerdings mehr als Smer-SSD. In den deutschen Medien, so auch im Zweiten Deutschen Propaganda-Fernsehen wird Fico deshalb als pro-russisch verschrien, was aber nicht stimmt. Aber für die Herren und Damen des Lerchenbergs ist jeder, der nicht bedingungslos der Ukraine folgen will, der in seinen politischen Entscheidungen die Interessen des eigenen Volkes rational einbezieht, prorussisch. Fico hat immer wieder betont, dass er nicht „pro-russisch“, sondern „pro-slowakisch“ ist, was für einen Teil der deutschen Medien in ihrer staunenswerten Kunst der Unterscheidung auf das gleiche hinauslaufen dürfte. Sie urteilen nach dem primitiven Schema, wer nicht unserer Meinung ist, der ist pro-russisch, ein Anhänger Putins. Fico befürchtet, dass durch Waffenlieferungen die Slowakei zum russischen Angriffsziel werden könnte. Zumal die Slowakei zu den ersten europäischen Staaten gehörte, die der Ukraine Waffensysteme wie Jagdflugzeug, aber auch Munition geliefert hat – und dadurch ihr Waffenarsenal in bedenklichen Maße leerte, so wie das eine zweifelhafte Koalition in Deutschland von Annalena Baerbock von den Grünen, über Marie-Agnes Starck-Zimmermann von der FDP bis zu dem nostalgiegeplagten Roderich Kiesewetter von der CDU, der laut Wikipedia 2015 aus„dem aktiven Dienst verabschiedet“ wurde, doch sehr wünscht. Am liebsten würden sie außer den Taurus-Raketen noch die letzte eiserne Ration, noch den letzten Stiefel nach Kiew tragen. Die Bundeswehr steht Dank Merkel und Scholz jetzt schon blank dar. Deutschland ist nicht verteidigungsbereit und dürfte es immer weniger werden.

Dass die EU alles unternehmen wird, um einen Regierung Fico zu verhindern, lässt sich vermuten, schon aus dem Grund, weil der Linke Robert Fico politisch dem Rechten Viktor Orbán nahesteht. Es geht zwar auch, aber nicht nur um die Ukraine. Möglich indes scheint, dass Fico ein Bündnis mit der anderen sozialdemokratischen Partei, mit Hlas – sociálna demokracia (Stimme Sozialdemokratie), mit Peter Pellegrini eingeht, der 27 Stimmen in die Koalition einbringen würde. Doch zur Mehrheit würden noch 7 Stimmen fehlen. Möglich auch, dass Richard Sulik und die liberale Sloboda a Solidarita (SASKA) dazu kommt. Jedenfalls werden mindestens drei Parteien, wenn Fico ein Bündnis schmiedet, zusammenkommen müssen, vier wenn überraschend Michal Šimečka eine Regierungs-Koalition auf die Beine stellt. Was die Slowaken vor allem wünschen, ist eine stabile Regierung – und das weiß auch die Präsidentin, die der EU-Administration und Michal Šimečka nahesteht.

Fakt ist, dass sieben Parteien in das neue Parlament einziehen, von rechts bis links, die 10, 11, 12 oder 16 Abgeordnete stellen dürfen, während Smer-SSD, PS und Hlas – sociálna demokracia 42, 32 oder 27 Mandate gewonnen haben.

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In Brüssel wünscht man wohl kaum, dass Robert Fico Ministerpräsident wird. Bang und bänglicher fragt das ZDF deshalb: „Ein weiterer Orban in Europa?“. Dass das ZDF kurzerhand Fico zum „Kreml-Freund“ ernennt und eine Fachfrau wie Strack-Zimmermann zum Ausgang der Wahl in der Slowakei befragt, erhebt die Frage, ob man im heute-journal oder in der heute-show ist. Strack-Zimmermann kommentiert dann auch den Wahlausgang mit den Worten, die ihre politische Orientierungslosigkeit bloßstellen: „Das wird die Ukraine zu Recht beunruhigen.“ Für Politiker wie Strack-Zimmermann und Annalena Baerbock sind nicht die deutschen Interessen, nicht der deutsche Souverän maßgebend, sondern das, was der Präsident der Ukraine möchte. Baerbock war erst im September in Kiew.
Die Tagesschau berichtet hingegen völlig korrekt, wenn sie Fico als Linksnationalisten beschreibt. Auch der MDR und die Frankfurter Rundschau sprechen korrekt von der linksnationalen Smer, während die Großmeister der Objektivität wie die ZEIT und die Süddeutsche natürlich von einer prorussischen Partei sprechen.

In Brüssel und im feministischen Außenministerium Deutschlands, das sich auch als Weltinneministerium sieht, beobachtet man die Entwicklung des Ukraine-Krieg zurecht mit wachsenden Sorgen. Die EU befindet sich auf der schiefen Ebene, weil schon bald die Brüsseler Administration und Deutschland allein in Kiew sein könnten, denn die USA, Ungarn, Polen, möglicherweise die Slowakei beurteilen den Ukraine-Krieg immer nüchterner. Auch in anderen europäischen Staaten beginnt man die Situation neu zu bewerten.

In den USA sorgt der Haushaltsstreit zwischen Demokraten und Republikaner für eine zunächst erst einmal vorläufige Sperre für die Ukraine-Hilfe. In der Nacht zum Sonntag wendeten beide Parteien den Shutdown, den Stillstand der Regierung, in buchstäblich letzter Sekunde ab, indem sie einen vorläufigen Haushaltsplan beschlossen, der erst mal bis Mitte November gilt und damit die Handlungsfähigkeit der Regierung sichert. Die Einigung ist indes doch erstaunlich, denn mehr als die Republikaner ursprünglich wollten, beinhaltet der Plan größere Posten für Nothilfen bei Naturkatastrophen und es wurde auch der Rotstift bei den Sozialausgaben nicht so rigoros angesetzt, wie es anfangs von den Republikanern gefordert wurde. Allerdings votierten einige Republikaner dafür, dass die Hilfen für die Ukraine erst mal nicht im vorläufigen Haushaltsplan erscheinen. Auch wenn die deutsche Presse die Schuld dafür den Republikanern zuschiebt, ermüdet auch im demokratischen Lager die Bereitschaft, die Ukraine zu unterstützen, spürbar.

Der Präsident der Kiewer Wirtschaftshochschule „Kyiv School of Economics“ drückte auf X seine Sorge darüber aus, „dass die Unterstützung der USA bald noch weiter nachlassen könnte“ und richtete seine Hoffnung auf die EU: „Wenn Europa seine Unterstützung für die Ukraine verstärken kann, kann es helfen.“ Im Klartext: die EU und das von Selenskyj heftig umworbene Deutschland sollen die Lücke ausfüllen, die möglicherweise die USA hinterlässt.

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Und die EU-Administration handelt erwartungsgemäß, indem zum ersten Mal in der Geschichte die Außenminister der EU außerhalb der EU, nämlich in Kiew zusammentraten. Annalena Baerbock, deren Ziel darin besteht, der Ukraine das zu liefern, was immer die Ukraine verlangt, und der es vollkommen egal ist, was ihre deutschen Wähler wollen oder nicht, konnte mit forschen Formulierungen wieder einmal nicht an sich halten und hatte in Kiew ihren „von der Maas bis an die Memel“-Moment gehabt, als sie pathetisch ausrief: „Die Zukunft der Ukraine liegt in der Europäischen Union, in unserer Gemeinschaft der Freiheit…Und die wird sich bald erstrecken von Lissabon bis Luhansk.“ Mit jedem Dorf und jedem Meter, den die Ukraine befreie, ebne sie ihren Weg in die EU, meint Baerbock. Das kann man auch als deutsche Kriegserklärung an Russland verstehen. Was Robert Habeck in der Wirtschaft gelingt, könnte Annalena Baerbock in der Außenpolitik glücken.

Schließlich hatte Baerbock schon einmal gesagt: „Ja, wir müssen mehr tun, denn wir kämpfen einen Krieg gegen Russland, nicht gegeneinander.“ Wer ist in diesem Fall eigentlich das sich im Krieg befindende „wir“? Die Feststellung, dass Deutschland, dass die EU in einem Krieg gegen Russland sei, wurde später als Versprecher heruntergespielt, und das mag er auch für Baerbocksche Verhältnisse gewesen sein, womöglich aber eben ein Freudscher Versprecher.

Jedenfalls gab Baerbock wieder mal ihrer Neigung zu überstarken Worten, zum schlechten Sprachstil und zum Pathos nach. Es mag sein, dass pathetische Worte das Herz stärken, zuweilen reizen sie aber auch nur das Zwerchfell.

Während der Außenbeauftragte der EU, Borell von 2024 bis Ende 2027 jährlich fünf Milliarden Euro nach Kiew überweisen will, kämpft Baerbock für einen „Winterschutzschirm“ für die Ukraine, der den Ausbau der Luftverteidigung, die Lieferung von Strom-Generatoren und die Stärkung der Energieversorgung zum Inhalt hat. Allerdings preschte Borell mit der Ankündigung des jährlichen Schecks vor. Man wird sehen, wessen Unterschrift am Ende die Schecks tragen.

Dass lautstarke Signal, das die EU senden wollte, vermag jedoch nicht über die wachsende Skepsis in den USA hinwegtäuschen – und auch in Europa ist nicht alles so, wie es sich Baerbock und Co wünschen. Dass Ungarn nur einen ranghohen Diplomaten schickt, hat man erwartet, doch auch Polen, bis vor kurzem noch der engste Freund und Unterstützer der Ukraine entsandte auch nur einen Vize-Außenminister.

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Die Verstimmung sitzt tiefer, als es sich mancher Kommentator in deutschen Medien eingestehen mag. Es geht dabei beileibe nicht nur um die Getreideimporte, obwohl der Streit viel existentieller ist, als es hierzulande kommuniziert wird. Denn Polen ist in bedeutendem Maße immer noch ein Agrarland. Es ist eine lebenswichtige Frage für die polnischen Bauern das Getreide zu dem Preis verkaufen zu können, der von der Produktion erzwungen wird und nicht in der Konkurrenz mit dem viel billigeren ukrainischen Getreide zu verlieren. Polen hat die Ukraine sehr stark unterstützt, nun entsteht in Polen der Eindruck, dass Selenskyj, nach dem er glaubt, dass Polen nicht mehr viel und schon gar nicht das geben kann, was er jetzt haben möchte, Polen von oben herab behandelt. Polen fühlt sich gedemütigt – und das reißt Schorf von alten Wunden, nämlich vom Wolhynischen Massaker.

Vom Winter bis zum Sommer 1943 überfielen ukrainische Partisanen polnische Dörfer und Siedlungen. Vor allem mit Äxten und Spießen wurden polnische Männer, Frauen und Kinder niedergemetzelt, auch während katholischer Gottesdienste. Man spricht von 80 000 bis 100 000 Polen. Am 11. Juli 1943 erreichte der Paroxysmus der Gewalt seinen Höhepunkt, als 99 Dörfer angegriffen wurden. In der Erinnerung des Polen Jerzy Krasowski bot sich häufig folgendes Bild: „Wir fanden einen entsetzlichen Anblick vor. Ein wenige Jahre alter Junge war am Tor auf einen Pfahl gespießt worden … Vor der Türschwelle lagen die Leichen von Männern und zwei Frauen, die grausam mit Äxten zerhackt worden waren.“ Feuerwaffen kamen bei diesen Massakern selten zum Einsatz. Bis heute gib es keine Entschuldigung der Ukraine, bis heute wartet man in Polen vergeblich darauf. Unter dem Eindruck des russischen Überfalls traten diese Erinnerungen in den Hintergrund, doch nun bestimmen sie immer stärker das Denken der Polen.

Die Offensive der ukrainischen Armee wird kaum als erfolgreich eingeschätzt. Russland stellt sich auf einen langen Zermürbungskrieg ein. In Washington und in vielen europäischen Hauptstädten erkennt man das Dilemma, das eine Fortsetzung des Krieges nicht löst. Nur in Berlin, besonders bei den Grünen und in der FDP, besonders im Außenministerium, wird das Wollen über das Können gestellt. Doch es wäre gut, wenn die deutsche Regierung, bevor sie losläuft, mal nach rechts und nach links schaut, was die anderen machen – um am Ende nicht in eine Abseitsfalle zu rennen.

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