Tichys Einblick

„Ursula, wir sind hier!“: Europäische Landwirte protestieren in Brüssel

Landwirte aus allen Teilen Europas protestierten auf dem Luxemburger Platz vor dem Europäischen Parlament in Brüssel, während Traktoren die umliegenden Straßen blockierten

IMAGO

Brennende Barrikaden, Gülle und Mist verwandeln die EU-Metropole an einigen Stellen in regelrechte Jauchegruben. Was genau ‚lahmlegen‘ bedeutet, konnte man heute anschaulich in Brüssel betrachten: tausende Landwirte sind mit Traktoren aus ganz Europa nach Brüssel gerollt und belagern die EU-Gebäude, sie setzten Reifen in Brand und warfen Rauchbomben in Richtung des EU-Hauptquartiers. Die Lage vor dem Parlamentsgebäude wirkte bedrohlich: Dunkle Qualmwolken zogen an den Fensterfronten hoch.

Belgische Bauern sind mit fast allem, was rollt nach Brüssel gefahren, um gegen die Klima- und Landwirtschaftspolitik zu protestieren.
Kein Zweifel: Sie sind mit ihrer Geduld am Ende. Sogar Polizisten zeigten hier und dort mit kleinen Gesten, dass sie sich an die Seite der Bauern stellen.

Diese Bilder bieten die passende Kulisse zu den Gipfel-Gesprächen und untermauern Macrons Forderungen, den vier Prozent-Flächenstilllegungs-Stuss zu beenden.

Bereits am Mittwoch hatte die Kommission zu verstehen gegeben, dass sie bereit ist, diese Vorgabe aus der Gemeinsamen Agrarpolitik GAP noch um ein weiteres Jahr zu verschieben. Dies würde den Landwirten zusätzliche Flexibilität bieten in einer Zeit, in der sie mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert seien, so die vor allem unter französischen Druck geratene EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen.

Der Kommissions-Kompromissvorschlag bedeutet: In diesem Jahr sollen die Landwirte in der EU wieder von der Vorgabe befreit werden vier Prozent ihrer Ackerfläche stillzulegen. Diese Vorschrift sollte eigentlich ab diesem Jahr gelten. Was die außer einem allgemeinen »Klima- und Umweltschutz« bezwecken sollte, kann niemand richtig erklären. Doch um nicht ganz als Verlierer dazustehen, schlägt die Kommission vor, die sogenannten GLÖZ-8 Regeln zu verändern, dass sie stattdessen auf sieben Prozent der Flächen Zwischenfrüchte anbauen. Um den grünen Touch hineinzubringen, sollen sie auf Pflanzenschutzmittel verzichten.

Das wird aller Voraussicht nach wiederum bei deutschen Grünen auf Protest stoßen, die dem Land ihre grüne Visionen durchdrücken wollen, das sich schlußendlich nur mit sogenanntem Bioanbau ernährt. Auf dem Weg dahin sollen Flächenstilllegungen sein müssen. Das wiederum würde neue Bauerndemonstrationen hierzulande heraufbeschwören.

Doch Macron und sein neuer Premierminister Gabriel Attal sind fest gewillt, ihre französische Landwirtschaft zu schützen. Sie haben zu spüren bekommen, wie ernst es den Bauern und der französischen Bevölkerung ist – zumindest jenem Teil, der nicht grün ist. Nicht zuletzt machen die Bauern im Nachbarland seit zwei Wochen gehörig Dampf und sind so laut, dass auch die TV-Sender nicht mehr daran vorbeikommen.

Attal bekundete im Parlament, die Regierung stehe auf Seiten der Bauern, eilte sodann auch schnell in die Provinzen und ließ sich zwischen protestierenden Bauern ablichten. Er wird von Marine LePen vom Ressemblement National überholt; die Politikerin in Frankreich zeigt sich ebenfalls seit längerem bei protestierenden Bauern.

Während hierzulande Traktoristen angezeigt werden sollen, weil ihre Hupen und Fanfaren in den Städten angeblich zu laut waren.

»Cancel Green Deal« scheint die neue »Cancel culture« zu werden, die jetzt von Frankreich und Belgien auszugehen scheint. Die legt die Axt an die Grundfesten des Green Deal-Plans, den von der Leyen vor drei Jahren so laut verkündet hatte.

Immerhin scheinen die Proteste auf den Straßen und in den Städten hierzulande zumindest bewirkt zu haben, dass der Bundesrat jetzt den Beschluss über die Kürzung des Agrardiesels verschiebt. Am Freitag wird nicht darüber entschieden, dass die Steuerrückerstattung für Agrardiesel kippen soll.

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