Die 50er Jahre waren ein schreckliches Jahrzehnt. Spießig und intolerant. Über Sex wurde gar nicht geredet und wenn, dann nur verklemmt und freudlos. Doch die Gegenwart ist dabei, die McCarthy-Ära vergleichsweise wie eine Blütezeit des Liberalismus erscheinen zu lassen: So führt die Cancel Culture in Großbritannien nun dazu, dass zehn Universitäten Bücher entfernen lassen, die die Gefühle der Studenten belasten könnten, wie die britische Times berichtet hat. Darunter Pulitzer-Preisträger und Klassiker wie Strindberg oder Shakespeare. Selbst wer sparsam mit Nazi-Vergleichen umgeht, kommt dieses Mal nicht dran vorbei: Denn deren Studentenschaft entfernte im Sommer nach der „Machtübernahme“ Bücher aus den Universitäten und verbrannte sie öffentlich.
Die Universitäten entfernen die Bücher von den Leselisten oder versehen sie mit „Triggerwarnungen“. Die sagen den Kinderchen, dass da Pfui-Bäh-Stellen kommen und sie sich beim Lesen die Augen zuhalten sollen. Rotkäppchen würde sich dann so lesen: Ein Mädchen ging in den Wald – Triggerwarnung – Seiten überschlagen bis: Alles war gut. Solche Bücherstürme sind Teil der „woken“ Bewegung. Woke lässt sich mit sensibel übersetzen, aber auch mit schwach. Die Idee dahinter ist konstruktivistisch: Wenn Sklaverei, Selbstmord oder sexuelle Ausbeutung nicht dargestellt werden, gibt es sie auch nicht. Die Woken wollen entscheiden, welche Darstellung noch zulässig ist. In ihrer Eigenwahrnehmung opfern sie sich damit für die Gesellschaft – in der Fremdwahrnehmung wollen sie den öffentlichen Diskurs beherrschen.
Bert Brecht schrieb den Nazis ein Gedicht im Namen eines vergessenen Poeten: Sie hätten seine Bücher nicht entfernt und das sei eine Schande für ihn, die sie bitte nachträglich aus der Welt holen sollten. Auch die Liste, der an britischen Universitäten entfernten Bücher, liest sich wie eine Ehrenliste: Darauf steht der Roman „The Underground Railroad“, für den Colson Withehead 2017 den Pulitzer-Preis erhielt. Whitehead wurde „dauerhaft“ von der Kursliste der „Essex University“ entfernt, weil er Sklaverei darstellt.
Doch nicht nur die Freiheit der Literatur scheinen die woken Aktivisten gering zu schätzen. Auch von Pressefreiheit halten sie nichts, wenn Medien nicht in ihrem Sinne berichten. So schildert die britische Times, dass ihre Recherche massiv behindert worden sei. Vertreter der Universitäten hätten versucht, Informationen über die schwarze Liste zu vertuschen. So hätten woke Aktivisiten in den sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, nicht mit der Zeitung über das Thema zu sprechen. Universitäten, die ihre Zensurwelle zugeben, sind die Ausnahme. So wie die Sussex-Universität, die bestätigt hat, dass sie ihre Studenten künftig vor „Miss Julie“ beschützt.
Die britischen Universitäten fürchten nun, dass ihr Ruf international beschädigt werde. Das Selbstbild der offenen Gesellschaft, die frei und wissenssuchend ist, verträgt sich nicht gut mit einer Realität, in der Bücher verbannt werden. Die Bücherverbrennungen im Dritten Reich blieben in den jeweiligen Universitäts-Städten meist einmalige Aktionen. Die Menschen verschreckte der Sturm auf den Geist eher, als dass er sie mobilisierte. Die Nazis mussten fortan subtiler vorgehen.