In den Vereinigten Staaten droht Menschen und Monumenten Gewalt, die bis dahin in unverdächtiger Weise einen Teil der amerikanischen Normalität bildeten. Doch diese Normalität wird nun außer Kraft gesetzt. Zuletzt gerieten sogar christliche Monumente und Kirchenbauten ins Visier gewaltsamer »Aktivisten«. Die Raserei scheint kein Ende zu nehmen.
Am Samstagmorgen steuerte ein 24-jähriger Mann seinen Minivan durch den Haupteingang der Queen of Peace Catholic Church in Ocala im Bundesstaat Florida, wo sich gerade Gemeindemitglieder zur Messe versammelt hatten. Er schüttete Benzin im Vorraum aus und entzündete es. Bei seiner Verhaftung lachte Steven Anthony Shields. Was er gemacht habe, sei toll (»awesome«). Er sei auf einer Mission und habe ein Problem mit der katholischen Kirche. Laut eigenem Bekunden ist der Täter schizophren, nimmt aber zur Zeit seine Medikamente nicht ein. Er wurde wegen versuchten Mordes, Brandstiftung, Einbruch und Widerstands gegen seine Verhaftung angeklagt.
Am selben Wochenende brannten auch in Kalifornien mehrere Kirchen. Am Sonntag, kurz nach Mitternacht, wurden Flammen in einer baptistischen Kirche in San Diego gelöscht. Traditionell versammelten sich vor allem Schwarze in der Calvary Church, neuerdings bezeichnet man sich als »multikulturelle Glaubensgemeinschaft«.
Böses Blut gegen die Gründerväter
Am schlimmsten traf es wohl eine Gemeinde in San Gabriel, Kalifornien. Am Morgen des Samstags, gegen 4 Uhr, brach ein Feuer in der dort gelegenen 249 Jahre alten Missionskirche aus. Das Gebäude brannte bereits lichterloh, als gegen halb 5 die Feuerwehr gerufen wurde. Die hölzerne Dachkonstruktion ebenso wie die originale Inneneinrichtung wurden ein Raub der Flammen. Der Altar scheint Bildern zufolge nicht oder wenig beschädigt.
Auch die Missionskirche San Gabriel wurde gerade renoviert und bereitete sich auf ihr rundes Jubiläum vor. Sie gehört zu den ältesten Kirchenbauten in Kalifornien und wurde 1771 unter anderem von Pater Junípero Serra gegründet. Der Padre Presidente für Alta California errichtete an die zehn Missionen zwischen San Diego und San Francisco, als dessen Gründer er durch die Mission San Francisco de Asís gilt. Doch genau wegen dieser Gründungsakte ist der als Miquel Josep Serra i Ferrer auf Mallorca geborene Mönch heute umstritten.
Laut Fox News sehen Aktivisten, die sich für die Sache der Ureinwohner einsetzen, Serra als »Symbol der Unterdrückung«. Captain Antonio Negrete vom San Gabriel Fire Department sieht das in Bezug auf die zerstörte Missionskirche anders: »Das ist ein tragischer Verlust für unsere Stadt.« Die Missionskirche sei deren identitätsstiftendes Kennzeichen. Dagegen sei der Brand für die Aktivisten nur ein weiterer Punkt gewesen, den sie auf ihrer Checkliste abhaken.
Derweil häufen sich auch die Angriffe auf Statuen des Missionars. Erst am 4. Juli wurde eine Serra-Statue in Sacramento zunächst angekokelt, dann niedergerissen und mit einem Vorschlaghammer bearbeitet. Währenddessen tanzte und hüpfte man auch etwas auf dem gefallenen Idol herum. Die urtümliche, schon von Sigmund Freud 1912/13 in »Totem und Tabu« beschriebene Erzählung, nach der ein Gründervater vernichtet werden muss, damit die menschliche Gemeinschaft leben kann, scheint neue Blüten zu treiben. Freuds Überschrift für seinen grundlegenden Essay war übrigens »Die infantile Wiederkehr des Totemismus.« Wir übernehmen das einfach mal ins Heute.
Die neuen Ikonoklasten
Zugleich wurde im Juli über mehrere Anschläge auf Marienstatuen berichtet, so bei Boston (durch das Entzünden von Plastikblumen, die die Statue in ihren Händen hielt) und in New York, wo mit Sprühfarbe das Wort »IDOL« auf eine Statue geschmiert wurde.
Der Soziologe Pierre Bourdieu hat beschrieben, wie wichtig auch die auf den ersten Blick kitschigen Gestaltungsformen für die Religiosität der einfachen Menschen sein können. Doch das »Abbild« des Göttlichen wird hier zum Streit- und Hassobjekt gemacht. Eine reichlich unbeleckte Religionskritik feiert sich in extremen Taten. Neue Pharisäer und Ikonoklasten sind unterwegs und dulden keine Abweichung von ihren idiosynkratischen Wert- und Moralvorstellungen. Donald Trump hat sich früh gegen solches ausgesprochen und die Strafen für Vandalismus verschärft. Nun muss das Strafrecht angewandt werden.
Kardinal Dolan, der eloquente Erzbischof von New York, hat unlängst hervorgehoben, wie wichtig Erinnerung und Tradition für Katholiken sind. Die Tradition sei das »Vehikel für die göttliche Offenbarung«, und was immer man von ihr abzieht oder zerstört, gefährdet demnach das »menschliche Projekt«. Auf einer allgemein-menschlichen Ebene erinnerte er an den Satz, der wohl von George Santayana stammt: »Wer sich seiner Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.« Doch heute trete man in ein Zeitalter der Bücherverbrennung ein, eine Kulturrevolution gleich der chinesischen sei im Gange. Man wolle die Vergangenheit reinigen und auslöschen.
Dolan ist recht zu geben, wenn er meint, dass eine aufgeklärte Gesellschaft ihre Vorstellungen für die Zukunft nur dann entwickeln kann, wenn sie sich an ihre Vergangenheit erinnert. Wenn man alle Bücher zum Verschwinden bringen wollte, in denen Vorurteile dargestellt werden oder auch Dinge, die man heute zu Recht verurteilt, dann – so Dolan – könne er nicht einmal mehr für die Bibel garantieren. Sogar die Bibel sei voller unvollkommener Figuren, hatte der Kardinal in einem Meinungsartikel für das Wall Street Journal geschrieben. Trotzdem sind auch nach der Sünderin Maria Magdalena und nach Petrus, der Christus dreimal verleugnete, weiterhin Kirchen benannt und ihnen geweiht.
Die erste Tote für »All Lives Matter« und das Recht auf freie Rede
Ist es in diesem Klima noch verwunderlich, dass sogar unschuldige Tote als Kollateralschaden des Protests zu verzeichnen sind und kaum eines Aufhebens für wert befunden werden? In Indianapolis wurde die 24-jährige Mutter Jessica Doty Whitaker von BLM-Unterstützern durch einen Kopfschuss getötet. Der Grund der tödlich endenden Auseinandersetzung: Mit ihrem Verlobten und zwei weiteren Personen ging Doty Whitaker den Indianapolis Canal Walk entlang, als einer aus der Gruppe ein rassistisches Schimpfwort benutzte (welches, ist nicht überliefert). Eine Gruppe von Schwarzen hörte das und begann eine Diskussion, in der sie natürlich auch den Slogan »Black Lives Matter« zitierten. Doty Whitaker erwiderte darauf: »All Lives Matter.« Als die Diskussion lebhafter wurde, zogen erst die Schwarzen, dann auch Whitakers Verlobter Jose Ramirez ihre Waffen. Laut Ramirez konnte man den Streit dann aber beilegen und trennte sich kurz darauf.
Einige Minuten später wurde von einer Brücke aus das Feuer auf die Gruppe eröffnet. Kurz darauf lauerten die Täter der Familie unter einer Brücke auf. Dort traf Doty Whitaker der tödliche Schuss. Es war also noch nicht einmal eine Tat im Affekt oder im Handgemenge, sondern ein kaltblütig geplanter Mord. Die »All Lives Matter«-Bewegung hat ihre erste Märtyrerin. Sie starb nicht für ein leeres Dogma, sondern für ihr Recht auf freie Rede.