Tichys Einblick
Entscheidung über den britischen Premier

Boris Johnson muss sich Misstrauensvotum stellen

In London kommt es zur Abstimmung über die Politik von Boris Johnson. Im Vordergrund stehen die Party-Vorwürfe, dabei geht es um viel mehr. Ehemalige Regierungsmitglieder führen die Rebellion an. Nun liegt die Entscheidung bei den konservativen Abgeordneten.

IMAGO / ZUMA Wire

Heute Morgen wurde es zur Nachricht: 54 Abgeordnete aus der konservativen Fraktion im Unterhaus haben Briefe an das „1922 Committee“ genannte Fraktionsgremium geschickt, in denen sie Boris Johnson das Misstrauen aussprechen und seine Ablösung fordern. Das gab der Vorsitzende des Gremiums, Graham Brady, am Morgen bekannt. Damit war die Schwelle von 15 Prozent der 359 konservativen Abgeordneten erreicht, die unweigerlich eine fraktionsinterne Misstrauensabstimmung auslöst. Die Parteiführung wird nun nicht lange fackeln: Die Abstimmung wird heute Abend zwischen 18 und 20 Uhr durchgeführt. Das Ergebnis wird gleich im Anschluss bekannt gegeben werden.

Sollte sich eine Mehrheit gegen Johnson in der konservativen Fraktion finden, wäre die Amtszeit Johnsons sehr bald beendet. Unmittelbar begänne ein Prozess, der zur Wahl eines neuen Fraktionsvorsitzenden und damit Premierministers führte. Die Ära Johnson wäre nach knapp drei Jahren an der Macht zu Ende.

Aber das Verfahren könnte auch Lichtseiten für Johnson haben: Sollte er eine Mehrheit für sich mobilisieren, wäre er für ein Jahr vor jedem weiteren Misstrauensvotum sicher. Damit wäre Johnson wohl auch als konservativer Anführer für die Unterhauswahlen Anfang 2025 so gut wie gesetzt. Ein Austausch würde zumindest unwahrscheinlicher.

Im Hintergrund der Abstimmung steht die sogenannte „Partygate“-Affäre, bei der es um faktisch illegal gewordene Gartenpartys im Regierungssitz Downing Street während des britischen Lockdowns geht. Die Party-Affäre rund um Trinkgelage in Downing Street in Zeiten des Lockdowns war zuvor zur Toast-Affäre mutiert, als Bilder von Johnson auftauchten, auf denen er einen Toast aussprach – natürlich mit einem Glas in der Hand, in einer Zeit, in der derartiges allen Briten verboten war. So wurde Johnson zum ersten amtierenden britischen Premierminister, der gegen das Gesetz verstoßen hat. Allerdings hat er sich vor dem Parlament für seine Fehlentscheidung entschuldigt.

Mitglieder des Kabinetts wie Jacob Rees-Mogg und Priti Patel hatten die konservativen Abgeordneten aufgefordert, auf Misstrauensvoten zu verzichten, um die eigene Regierung nicht zu schwächen: Die Zeit der Nabelschau sei vorbei, schrieb Brexit-Minister Jacob Rees-Mogg auf Twitter.

Im zuletzt eingegangenen Misstrauensbrief, vom ehemaligen Staatssekretär im Schatzamt Jesse Norman, geht es aber auch um viele andere Themen, an deren Handhabung er Kritik übt, etwa die Nordirland-Frage im Dialog mit der EU, das Ruanda-Abkommen, die Privatisierung des TV-Senders Channel 4 oder die Pro-Atomkraft-Einstellung Johnsons. Norman hatte sein Regierungsamt erst im vergangenen September verloren. Natürlich ist Normans politisches Votum zu Johnsons Entscheidungen sein gutes Recht. Niemand kann und darf die Meinungsfreiheit eines britischen Abgeordneten einschränken. Aber die Gegenseite hat ein genauso gutes Recht auf ihre Sichtweise. Um 20 Uhr werden wir klüger sein darüber, ob Johnsons Amtszeit vorzeitig endet oder weitergeht.

Auch der Ex-Außenminister Jeremy Hunt und der ebenfalls zurückgetretene Anti-Korruptions-Beauftragte John Penrose gehören zu den Gegnern Johnsons. Seine vermeintlichen Hauptkonkurrenten, Außenministerin Liz Truss und Schatzkanzler Rishi Sunak, haben sich dagegen demonstrativ hinter Johnson gestellt. Das Verfahren bietet insofern auch die Chance, alten Ballast abzuräumen und der Regierung noch stärker in den Vorwärtsgang zu verhelfen. Mit der Entscheidung zu einem Asylabkommen mit Ruanda und weiteren Projekten hat Johnson gezeigt, dass er es kann.

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