Die irregulären Überquerungen des Ärmelkanals nehmen seit zwei Jahren kontinuierlich zu. Wurden 2019 noch 154 Boote aufgegriffen, so waren es 2020 schon 608, mit denen mehr als 10.000 irreguläre Migranten nach Großbritannien gelangten. Gleichzeitig nahm auch die Anzahl der Personen pro Boot deutlich zu. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres sind 8.000 Migranten über den Kanal ins Königreich gelangt. An diesem Montag wurden mindestens 430 Menschen aufgegriffen. Damit war ein neuer Tagesrekord erreicht.
Immer deutlicher wird aber auch, dass Boris Johnson diese Zustände nicht hinnehmen will. Sein Sprecher sagte angesichts der Lage am Ärmelkanal: »Der gegenwärtige Ansatz funktioniert nicht. Die Steigerung der gefährlichen und unnötigen Überquerungen in kleinen Booten ist vollkommen inakzeptabel.« Deshalb müsse man das »kaputte Asylsystem« reparieren. Vor kurzem hatte Innenministerin Priti Patel ihren »Nationality and Borders Bill« vorgestellt. Damit würden Menschenleben geschützt und das Geschäftsmodell der Schleuser gebrochen, so der Sprecher Johnsons.
Das Netz der Schleuser zieht sich über Belgien und bis in die Niederlande. Angeblich vermeiden es die Schleuser inzwischen, die Abfahrt der Boote persönlich zu koordinieren, daher steuern Migranten die Boote. Um die nötige Ausrüstung – Schlauchboote, Außenbordmotoren, Benzin und einige Rettungswesten – an die Küste zu bringen, kommen belgische und niederländische Taxifahrer zum Einsatz, wie die britische Website inews berichtet. Die verwendeten Schlauchboote werden übers Internet – ein chinesisches Modell kostet 200 Dollar bei Alibaba – aber auch von deutschen und niederländischen Einzelhändlern bezogen.
Wahlprogramm 2019: »Wir bringen unser Einwanderungssystem in Ordnung«
Die britischen Asylanträge standen letztes Jahr bei knapp unter 30.000 (Frankreich: 93.457; Deutschland: 121.955). Im ersten Halbjahr 2021 sind laut Frontex über 61.000 illegale Migranten in die EU gelangt, davon etwa 35.000 übers Mittelmeer mit teils rapiden Zunahmen (vor allem im zentralen Mittelmeer). Die britischen Zahlen sind zwar deutlich geringer, doch das ist für die Regierung Johnson kein Grund abzuwarten. Vor der Brexit-Wahl vom Dezember 2019 hatten die Konservativen den Briten versprochen, erneut die Kontrolle der Grenzen auszuüben: »Nur indem wir Einwanderungskontrollen einführen und die Bewegungsfreiheit beenden, können wir qualifizierte Arbeitnehmer anlocken, die wir für unsere Wirtschaft, unsere Gemeinschaften und den öffentlichen Dienst brauchen.« Damals schon hieß es: »Wir bringen unser Einwanderungssystem in Ordnung«. Man erkennt: Dass es Einwanderung nach Großbritannien geben soll, steht für Johnson außer Frage, wohl aber, welcher Art diese sein soll.
Im Unterhaus sagte Priti Patel am Montag: »Genug von einem gescheiterten Asylsystem, das den Steuerzahler über eine Milliarde Pfund im Jahr kostet, genug von Schlauchbooten, die illegal, von organisierten Banden angeführt, an unseren Küsten ankommen, genug Menschen, die auf diesen gefährlichen und illegalen Fahrten ertrinken.« Im Wahlprogramm von 2019 hatte Johnson in noch einer weiteren Frage auf das australische Vorbild verwiesen: Ein Punktesystem sollte regeln, wer nach Großbritannien legal einreisen darf. Das wurde in Großbritannien schon bald nach dem Wahlsieg Gesetz.