Manchmal ist der Bürgerdialog von praktischem Wert. So geschehen jüngst an einem Dezembertag in Großbritannien, als die veröffentlichte Meinung des Inselreiches gerade damit beschäftigt war, Missstände im Gesundheitswesen hochzuspielen, die dort freilich seit längerem bekannt sind. Kurz vor den Wahlen zum Unterhaus konnte so die Aufmerksamkeit auf soziale Themen gerichtet werden, die mutmaßlich Jeremy Corbyn und Labour zu einigen Stimmen mehr verholfen hätten (TE berichtete). Just an jenem Tag, an dem Johnson von hartnäckigen Journalisten mit sich wiederholenden Fragen zum britischen Gesundheitswesen bedacht wurde, fand eben auch ein Bürgerdialog statt, in dem der Mitarbeiter einer Speditionsfirma den Premierminister nach der Zukunft der BBC fragte.
Ganz unvorbereitet scheint Johnson die Frage nicht getroffen zu haben. Zwar zögerte er kurz mit der Antwort, zückte dann aber eine relativ klar ausformulierte Position zum öffentlichen Rundfunk Großbritanniens. Mit zwei rhetorischen Fragen stellte er die bisherige Finanzierung der BBC in Frage: »Langfristig muss man sich fragen, ob diese Art der Finanzierung für ein Medium noch Sinn ergibt, zumal wenn man sieht, wie sich andere Medien finanzieren.« Und später: »Wie lange kann man ein System rechtfertigen, in dem jeder, der ein Fernsehgerät besitzt, bestimmte Fernseh- und Radiosendergruppe finanzieren muss?« Das ist in der Tat die Frage. In Großbritannien gibt es zudem noch die Möglichkeit, den ›Vertrag mit der BBC‹ zu kündigen. 860.000 Nutzer sollen das laut Bloomberg allein 2018 getan und vermutlich lieber Netflix oder Amazon Prime geguckt haben.
Hat die BBC eine linksgerichtete Agenda?
Von den Konservativen wird vor allem die Radiosendung »Today« dafür kritisiert, alltäglich zur Frühstückszeit eine politische Agenda zu setzen, deren Ausrichtung eindeutig sei. Daneben erkennen sie auch im Fernsehprogramm der BBC eine Voreingenommenheit gegen ihre Partei. Das gleiche behauptet Labour mit anderen Beispielen. Für den Journalisten Rod Liddle, selbst aus dem vergessenen Norden Englands stammend, der Johnson zu seinem Wahlsieg verholfen hat, liegen die Dinge dennoch klar: Das öffentliche Fernsehen steht für »politische Korrektheit« und modische »Diversität«. Wie andere Autoren des konservativen »Spectator« auch hält er die BBC für einen Hort dieser relativ neuen Konzepte, die Brexiteers und alte, weiße Männer (mit Ausnahme von John Le Carré und dem klimabewussten Naturfilmer Sir David Attenborough) diskriminieren. Nach Liddles Meinung sollte man dort lieber eine Quote für Islamkritiker einführen, um die eigene Diversität sicherzustellen.
Ähnlich ist offenbar auch der Fernsehsender Channel 4 einzustufen, der Ende November eine Wahlkampfdebatte ausschließlichzum »Klimawandel« ausstrahlte. Das Thema dient bekanntlich stets dazu, staatlichen Dirigismus zu befördern, woraus sich die Skepsis der Konservativen wie auch der Brexit Party erklärt, deren Vorsitzende beide nicht teilnahmen. Der Sender ersetzte sie durch schmelzende Eisblöcke, die an einen Globus erinnerten. Nun finanziert sich Channel 4 zwar ausschließlich durch Werbung, doch besitzt auch er eine Lizenz als öffentlicher Sender, die ihm die regierenden Konservativen bald streitig machen könnten. Als Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist der Sender an einige Regeln gebunden, die ihn auf Grundwerte wie Offenheit und kulturelle Diversität festlegen und natürlich auch journalistische Qualität einfordern. Ob der Sender dem noch gerecht wird, will die neue Regierung eventuell überprüfen lassen. 2024 muss die Lizenz erneuert werden.
Blick auf Deutschland: Eine »nationale Imagekampagne« ist anscheinend nötig
Derzeit wirbt hierzulande – zum Beispiel in Zügen der Deutschen Bahn – der Dreierverbund der nationalen Rundfunksender um das Deutschlandradio mit einem Slogan für sich: »Unabhängig, Unverzichtbar. Unverwechselbar. Für 50 Cent Ihres Rundfunkbeitrags.« Einen halben Euro im Monat für ein qualitativ hochstehendes, politisch neutrales Programm mit kultureller Breite würde man schon ausgeben. Von den 50 Cent zahlen die Bürger natürlich auch dieses Plakat. Dass man eine solche »nationale Imagekampagne« beim Deutschlandradio für nötig hält, sagt schon einiges aus. Denn eine Stimme von Belang, die für einen der drei Sender arbeitet, findet sich kaum. Das erkennt man spätestens, wenn leitende Redakteure aus dem Senderverbund im ARD-Presseclub und anderswo auftreten und dort ihre regierungsfreundlichen Unmaßgeblichkeiten verbreiten.
Daneben kommt die Frage auf, wie sich eigentlich die restlichen 17 Euro der monatlichen Rundfunkgebühr auf die Sendeanstalten verteilen. Was man wissen kann, ist, dass das ZDF knapp ein Viertel des Gesamtaufkommens für sich beansprucht, die ARD etwa die restlichen drei Viertel, unter anderem für ganze 64 Radiosender. Im Fernsehen gibt es neben den beiden nationalen Vollprogrammen noch an die zwanzig weitere Regional- und Spartenkanäle. Da nehmen sich die Briten mit je zehn Fernseh- und Radiosendern fast bescheiden aus und erreichen im weltweiten Maßstab sicher mehr als der deutsche Rundfunk. Grundsätzlich stellt sich aber die Frage, die Johnson gestellt hat.
Was die spezifische Qualität der öffentlich-rechtlichen Medien angeht, liegen die Dinge aber in Deutschland ähnlich. Auch hier üben öffentlich-rechtliche Radio- und vor allem Fernsehsender eine informelle Meinungsführerschaft aus, die sich in tonangebenden Morgeninterviews und fast jedes Thema in Grund und Boden diskutierenden Abendtalkshows ausdrückt. Auch die Diversität – die »umfassende und ausgewogene« Berichterstattung – wird dabei keineswegs gewahrt, denn, wie man weiß, ist die Einladungspolitik der Talkshows höchst selektiv. Nach Robert Habeck 2018 war dieses Jahr seine Parteifreundin Baerbock Talkshow-Königin. Einen weiteren Spitzenplatz belegte daneben Kathrin Göring-Eckardt. Damit sind die Grünen ganz gewiss überrepräsentiert. Ausgewogenheit sähe anders aus. Hinzu kommt noch die schon notorische Offenheit des ÖR in Deutschland für die politische Einflussnahme der Parteien – der abrupte Fall des Nikolaus Brender ist der bekannteste Hinweis. Ob die Dinge inzwischen besser geworden sind, bleibt fraglich. Es gibt also auch hierzulande Gelegenheit genug zu einem neuen Nachdenken über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.