Wen halten die Italiener in der Retrospektive für den besten Premier der letzten 20 Jahre? Das wollte das Umfrageinstitut Termometro Politico wissen. Die Antwort sagt nicht nur etwas über die Italiener aus; sondern auch über die Berichterstattung. Denn nicht der von der EU installierte Mario Monti oder der ehemalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, deren Regierung im In- und Ausland beklatscht wurden, liegen dabei vorn. Auch Mario Draghi schafft es höchstens auf einen guten zweiten Platz. Es ist – Silvio Berlusconi.
Kein Premier gilt seitdem mehr als direkt vom Volk gewählt. Weder bei der Wahl 2013 noch bei der Wahl 2018 setzte sich einer der Spitzenkandidaten durch. Stattdessen einigte man sich auf neutrale Vermittler, oder die Staatspräsidenten beriefen gleich einen Technokraten an die Spitze. Im Ausland, insbesondere in Deutschland, hielt man das für den geeigneten Weg, das Land zu regieren. Die de facto EU-Statthalterschaft durch Mario Monti und Mario Draghi scheiterten eben schlicht an den Italienern – so das Narrativ.
Berlusconi gilt vielen Italienern immer noch als bester Premier der letzten 20 Jahre
Wie viel diese Interventionen zugunsten der europäischen Finanzstabilität beigetragen haben, das Land zu stabilisieren und die Gefahr für den Euroraum zu bannen, ist fraglich. Als Berlusconi zurücktrat, lagen die Staatsschulden Italiens bei 120 Prozent des BIP. Heute liegen sie bei 150 Prozent. Brüssel hat sich demnach nicht nur sämtlicher Sympathien bei den einst pro-europäischen Italienern beraubt, es hat das hausgemachte Problem sogleich auch noch verschlimmert. Bei aller Kritik an Silvio Berlusconi: Das hätte der Cavaliere wirklich nicht schlechter gekonnt.
Die Umfrage gibt daher dem Gefühl der Italiener Ausdruck, dass vielleicht unter Berlusconi nicht alles gut war, aber zumindest einige Dinge besser. Aus der historischen Betrachtungsweise dürfte er zudem als letzter legitimer, demokratischer Regierungschef des Landes gelten, dessen Rücktritt der Beginn einer Zäsur in der italienischen Geschichte war. Das darauffolgende politische Vakuum könnte nach mehr als einem Jahr ein Ende finden, wenn wieder eine stabile rechte Regierung das Land unter Kontrolle bringt und sich nicht mehr als Erfüllungsgehilfe aller möglichen Organisationen und Interessenvertreter versteht, von denen die Brüsseler Funktionärskaste nur eine ist.
Berlusconi half Meloni ins Kabinett – und verhinderte sie als Bürgermeisterin Roms
Berlusconi mag nicht mehr Premier werden – selbst, wenn er bei jedem Wahlkampf diesen Anspruch vertritt, und auch Meloni das Zeug zur Ministerpräsidentin absprach. Er warnte davor, dass Meloni als gemeinsame Spitzenkandidatin Wähler verschrecken und damit den Sieg des rechten Lagers verhindern könnte. Berlusconi ist der Mann, der Meloni zur jüngsten Ministerin Italiens berief; er ist zugleich der Mann, der ihre Wahl zur römischen Bürgermeisterin verhinderte, weil er eine eigene Kandidatin aufstellte.
Doch mittlerweile hat Meloni nicht nur im Inland, sondern auch durch Auftritte im Ausland – neben der deutschen FAZ gab sie dem britischen Spectator ein Interview – an Schrecken verloren. Berlusconi hat sich in den vergangenen Tagen daher deutlicher denn je für die Römerin ausgesprochen. Es habe niemals eine Distanzierung zwischen der Forza Italia und den Fratelli d’Italia gegeben. Es habe Unterschiede gegeben, was die Bewertung der Regierung Draghi anging, die er unterstützt habe – mehr nicht.
Dem folgte ein klares Bekenntnis zur Einheit des rechten Lagers: Dieses existiere „im Herzen der Italiener“, getragen von den Vereinbarungen zwischen den Parteien des Mitte-Rechts-Bündnisses. Die Forza Italia sei darin die liberale, christliche, europäische und transatlantische Komponente. „Giorgia Meloni hat wie Matteo Salvini, wie viele Vertreter von Forza Italia und anderer Parteien des Bündnisses, Kompetenzen und Autorität, um eine hochkarätige Regierung zu führen, die in der Welt glaubwürdig und fest mit Europa und dem Westen verbunden ist. Unsere bloße Anwesenheit ist eine Garantie für das alles.“
Melonis Wahlprogramm ist von der Forza Italia inspiriert
Die einst stolze Forza Italia ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Es wäre bereits ein Erfolg, wenn die einstige Volkspartei ein zweistelliges Ergebnis erreichen würde. Derzeit rangiert sie zwischen sieben und zehn Prozent. Doch die lange Geschichte, erfahrene Parteimitglieder und Sachverständige aus den ehemaligen Regierungen haben einen bestechenden Wert. Sie besitzt immer noch die Verwaltung und den Aufbau einer Volkspartei und kann diese Vorteile ausspielen. Da die Partei zudem als europafreundlichste Vertreterin des Mitte-Rechts-Bündnisses gilt, hat sie einen guten Draht nach Brüssel. Und Berlusconis persönliche Netzwerke in der Wirtschaft sind von großem Wert.
Obwohl Melonis „Brüder Italiens“ die derzeitigen Stars der Umfragen sind, mangelt es der Partei an einer solchen Struktur. Auch eine Premierministerin Giorgia Meloni weiß daher, dass sie Berlusconis Anhänger nicht wie ein Anhängsel behandeln darf. Es gibt bereits Anzeichen, dass Berlusconis langer Schatten auch auf Meloni wirkt. In den letzten Wochen gab sich die 45-Jährige erstaunlich wirtschaftsliberal. Die Turiner Tageszeitung La Stampa konstatierte: „Das vorgeschlagene Programm ist dem aus der ersten Amtszeit von Berlusconi sehr ähnlich, nur mit einer deutlicheren Betonung der Verteidigung nationaler Unternehmen.“ Man muss nicht immer Premier sein, um die Karten in der Hand zu halten. Die Motivation, Berlusconi mit einem prestigeträchtigen Amt – vielleicht auf EU-Ebene – zu beglücken, um ihn damit ruhigzustellen, dürfte bei Meloni wie Salvini wachsen.