Tichys Einblick
Bennett auf der ganz großen Polit-Bühne

Israel vermittelt zwischen Russland und Ukraine

Es geht um nicht weniger als um Krieg oder Frieden in Europa, vielleicht in der Welt. Putin empfängt seit seinem Einmarsch in die Ukraine als einzigen Repräsentanten einer Demokratie den israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett, der seinerseits von Washington, Paris, Berlin und der Ukraine unterstützt wird.

Der israelische Premierminister Naftali Bennett

IMAGO / Xinhua

Der junge Bennett hat in Israels boomender High-Tech-Welt durch mehrere Exits viel Geld verdient. So viel – wie er gern erzählt –, dass er sich cocktail-trinkend ins Privatleben hätte zurückziehen können. Aber er wollte Verantwortung für sein Land übernehmen. Dass es dann ziemlich schnell so viel Verantwortung wird, hätte er sich wohl niemals träumen lassen. Dafür gibt es für den Ex-Offizier der Israel Defense Forces (IDF) mehrere Gründe, die alle die Sicherheit und das Überleben des jungen Staates berühren.

Putin mag ein schräg-abstruses Weltbild von einer „Atommacht Ukraine“ haben, die „entnazifiziert werden muss“, aber Israels Fakten, die ihn dazu veranlassen, eine Delegation aus Jerusalem in Moskau zu empfangen, hat er auf dem Bildschirm. Israel verfügt mit „Iron Dome“ über ein bewährtes, wirkungsvolles Anti-Raketen-System, das – sollte es an die Ukraine oder andere an Russland angrenzende Länder geliefert werden – dem angreifenden Militär aus Moskau größere Probleme bereiten könnte.

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Israel ist eine Weltmacht auf dem Cyber-Security-Markt. Der Judenstaat wehrt seit Jahren täglich erfolgreich Millionen von Angriffen auf seine Infrastruktur ab und kann seinerseits den Datenfluss vor allem in die extremistisch muslimisch-arabische Welt rund um Teheran kontrollieren. Früher führte man Krieg zu Wasser, zu Land und in der Luft. Jetzt ist eine vierte Dimension hinzugekommen, die alles überlagert. Nicht ohne Grund fließen deshalb weltweit 40 Prozent aller Investitionen in den Cyber-Security-Markt in israelische Firmen.

Und auch die Wirtschaftszahlen Israels der letzten Jahre müssen nicht nur Putin beeindrucken. Nominal erwirtschaftet jeder Israeli mit über 40.000 US-Dollar jährlich fast viermal so viel wie ein Bewohner des rohstoffreichen Russlands. Im Pandemiejahr 2021 beträgt das israelische Wirtschaftswachstum 8,1 Prozent. Davon kann nicht nur der Despot im Kreml träumen. Grund für den Erfolg Israels liegt in der guten Ausbildung der eigenen Jugend und ihrem unbändigen Willen, Verantwortung für sich und das Land zu übernehmen. Eigenschaften, die in dieser Konzentration weltweit nicht allzu oft anzutreffen sind.

Und seit Kurzem redet Israel auf dem Energiemarkt mit. Mit seinen Off-Shore-Gasvorkommen produziert es täglich ausbaufähige 1,7 Milliarden Kubikfuß Gas, das 70 Prozent des eigenen Energie-Bedarfs deckt und zusätzlich Ägypten und Jordanien zumindest teilweise versorgt. Die Menge entspricht ungefähr einem Drittel der Nord-Stream-1-Pipeline, die aus Russland über die Ukraine nach Europa führt. Die bereits unterzeichneten Gas-Explorations-Verträge mit Zypern und Griechenland machen die östliche Mittelmeer-Region zu einem Big-Player in der nahen Zukunft. Niemand weiß das besser als Putin, der seine Konkurrenten auf allen Ebenen stets im Auge haben muss.

Russland ist flächenmäßig 850-mal größer als Israel und trotzdem nimmt Putin den Hörer ab, wenn sich der Anrufer aus Jerusalem ankündigt. Denn beide kämpfen seit 2015 an verschiedenen Fronten mit unterschiedlichen Zielen im israelischen Feindesland Syrien. Putin hat mit Latakia in Syrien den alten russischen Traum wahrgemacht, einen militärischen Stützpunkt an einem warmen Meer zu besitzen. Israel könnte diesen Traum stören. Deshalb lässt Putin der israelischen Luftwaffe in ihrem überlebenswichtigen Kampf gegen Zigtausende iranische Milizen auf syrischem Territorium freie Hand.

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Es wird lange dauern, bis zuverlässige Details aus dem Treffen Putin-Bennett vom vergangenen Samstag bekannt werden. Aber der Gast aus Jerusalem wird seinem Gastgeber in Moskau sicherlich auf die Gefahr aus Teheran für Israel und die ganze Welt angesprochen haben. Derzeit wird ein neues Abkommen mit dem Iran verhandelt, das die Nuklear-Fähigkeit der Mullahs verhindern soll. Am Verhandlungstisch mit Teheran sitzt auch ein Vertreter Moskaus, der von Bennett auch jetzt wieder nachdrücklich erfahren hat, dass kein Vertragsergebnis für Israel bindend ist. Jerusalem wird einen nuklearfähigen Iran niemals zulassen. Eine Sprache, die Putin wie immer er eingeschätzt werden mag, versteht.

Apropos Sprache: In Israel leben rund zwei Millionen russische Muttersprachler, die Putins Einflussbereich, sein Denkschema und die Kultur der Region gut kennen. Einer von ihnen, Bauminister Seev Elkin, gebürtiger Ukrainer, begleitete Bennett bei seiner heiklen Friedensmission. Die Medien bezeichnen ihn als „Übersetzer“. Tatsächlich dürfte er – wenn das möglich ist – der beste Putin-Versteher sein. Er hat bereits als Netanyahu-Vertrauter an zahlreichen Treffen in Moskau in der letzten Dekade teilgenommen und bringt auch die richtigen Emotionen ein. Er ist in der umkämpften ost-ukrainischen Millionen-Stadt Charkov geboren, ein Bruder mit Familie lebt dort noch heute.

Das Treffen fand an einem Samstag statt, dem jüdischen Shabbat. Für einen Kippa-Träger wie Bennett ein von Gott gewollter arbeitsfreier Tag, an dem laut jüdischer Bibel nichts Kreatives geleistet werden darf. Einzige Ausnahme: wenn Menschenleben gerettet werden soll und muss. Ob der Shabbat-Flug nach Moskau erfolgreich war, wird sich erweisen. Ein indirektes Ergebnis hat es bereits gebracht: Die ersten 2000 jüdischen Flüchtlinge aus der Ukraine sind sicher in Israel gelandet.

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