Tichys Einblick
Am 9. April sind Parlamentswahlen in Israel

Benjamin oder Benny? Israel wählt am 9. April ein neues Parlament

Netanyahu oder Gantz? Weiter-So oder neue Weichenstellung? Diese Fragen stellen sich in dem inzwischen tobenden Wahlkampf in Israel nicht nur die knapp neun Millionen Einwohner des Landes, davon 4,6 Millionen Wahlberechtigte, sondern auch Beobachter im Ausland, denen Entspannung in Nahost am Herzen und auch in deren politischem Interesse liegt.

Benjamin Netanyahu und Benny Ganz

AFP/Getty Images

Die Umfragen für die Wahl zur Jerusalemer Knesset am 9. April lassen einen Kopf-an-Kopf-Wahlausgang erwarten. Das dürfte die nachfolgende Regierungsbildung nicht gerade erleichtern. Der Wahlkampf um 120 Parlamentssitze, deren Inhaber den 10. Ministerpräsidenten wählen, weist eine Reihe von Neuerungen auf: mit 46 Parteien haben sich noch nie so viele politische Gruppierungen zur Wahl gestellt. Und zum ersten Mal ist die Frau eines amtierenden Regierungschefs, die weder in der Partei noch im Staat ein Amt innehat, zur besten Sendezeit solo in ein TV-Studio eingeladen worden. Der erste Wahlkampf-Eindruck, hier würden sich zwei gegensätzliche Kandidaten um das Amt des Ministerpräsidenten in einem von muslimischen Nachbarn lebensbedrohten jüdischen Staat streiten, trügt.

„Blau und Weiß“, so nennt der Herausforderer seine neu gegründete Partei, sind Farben, die für beide ein starkes, jüdisches Israel symbolisieren. Will heißen, Jerusalem ist die vereinigte Hauptstadt, die Golanhöhen sind schon allein aus strategischen Gründen Teil des israelischen Staatsgebiets, jüdische Siedlungen im Westjordanland  sind ein Teil Israels und die vage festgelegten Grenzen des Landes werden mit starker Hand kompromisslos gegenüber Eindringlingen aller Art verteidigt.

Wo liegen die Unterschiede zwischen Benjamin Netanyahu und Benny Gantz? Der Herausforderer zieht im Viererpack durchs Land, bietet dem Wähler mit drei Generälen 117 Jahre militärische Erfahrung und einen Ex-TV-Journalisten an, der es immerhin zum Finanzminister mit 21 Monaten Dienstzeit gebracht hat. In seiner Selbstvorstellung spricht er von einem notwendigen Wechsel an der Spitze des Landes, aber seine Grundsätze zu Frieden und Sicherheit stammen aus dem Textbuch Netanyahus. Ist auch nicht überraschend: der amtierende Ministerpräsident hat seinem Herausforderer eigenhändig die Schulterklappen angeheftet, als er am 14. Februar 2011 das Amt des  Generalstabschefs der Israelischen Verteidigungsarmee antrat. Dokumentiert sind auch die lobenden Worte des damaligen und heutigen Regierungschefs:  „Gantz ist ein herausragender Offizier, ein erfahrener Kommandeur (….) mit allen notwendigen Eigenschaften, ein erfolgreicher Generalstabschef zu sein“.

It’s the economy, Bibi …

Seither ist viel Zeit vergangen, die Netanyahu genutzt hat, sich und sein Land voranzubringen. Zwar ist Israel noch immer gespalten in säkulare, orthodoxe, national-religiöse Juden sowie Araber, die wenig miteinander gemein haben. Aber das Band des Zusammenhalts ist die boomende Wirtschaft, für die Netanyahu als Finanzminister in den 90er Jahren mit den Grundstein gelegt hat: Öffnung des Marktes, Förderung des Wettbewerbs, freie Marktwirtschaft, in der sich der Staat so weit wie möglich zurückzuhalten hat. Verbunden mit dem traditionellen Bildungstrieb der Juden und dem Überlebensdruck des Nahen Ostens ist dadurch der Bodensatz für die aktuelle Wirtschaftsblüte geschaffen worden.

Fast wie bestellt melden aktuell mitten im Wahlkampf die Agenturen die zweitgrößte Übernahme in der Geschichte Israels: der US-Spiele-Software-Konzern NVIDIA kauft für 6,9 Milliarden US-Dollar den israelischen Chip-Hersteller „Mellanox Technologies“, der in dem verträumten Bibelstädtchen Yokneam nordöstlich von Tel Aviv seinen Firmensitz hat.  Am Tag davor meldet die NGO „Startup Nation“, dass 2018 sechs Milliarden US-Dollar in 645 Start-Ups geflossen sind. Damit wurde das Rekordjahr 2017 mit 5,2 Milliarden erneut übertrumpft. Trotz der bedrohlichen Sicherheitslage fließt das hochsensible Element „Geld“ aus allen Kontinenten ungebrochen in die israelische Start-Up-Szene.

Netanyahus langfristig eindrucksvollste Leistung ist die wachsende Annäherung und Zusammenarbeit mit ehemaligen muslimisch-arabischen Feindesstaaten. Saudi-Arabien, UAE, Oman, Quatar, neben den beiden arabischen Staaten, Ägypten und Jordanien, die seit langem diplomatische Beziehungen mit Israel pflegen und die  zahlreichen afrikanischen Moslem-Staaten haben längst verstanden, dass eine Zusammenarbeit mit Israel wesentlich mehr Früchte bringt als der nutzlose, leidvolle und opferreiche Terrorkrieg, der von religiös fanatisierten Schein-Muslimen betrieben wird.

Anerkennung aus der arabischen Welt

Diese vielversprechende Entwicklung hat auch Eingang gefunden in Netanyahus Likud-Partei. Gutplatzierte Kandidatin für die Wahl am 9. April ist eine 25jährige israelische Araberin, die Netanyahus Politik tatkräftig unterstützt und ihre muslimischen Mitstreiter rückhaltlos kritisiert. Sie gibt in arabischen Medien-Agenturen Sätze von sich wie: „Ich wünschte, alle arabischen Gemeinschaften könnten in einer Demokratie wie Israel leben“. Dima Sif Taja Sidan aus dem israelisch-arabischen Dorf Kalansawe ist deshalb von ihrer Familie verstoßen worden, Vater und Mutter haben sich von ihr losgesagt. Sidan ist kein Einzelfall. Miss Irak 2017 hat sich mit ihrer Konkurrentin aus Israel fotografieren lassen und propagiert unverhohlen eine Zusammenarbeit mit dem Judenstaat. Seither erreichen sie Morddrohungen. Trotzdem werden auch in der arabischen Presse immer mehr prominente Stimmen laut, die für ein Zusammenleben mit Israel eintreten.

Diese langfristig stabile, wirtschaftliche und politische Faktenlage wird von den Netanyahu-Gegnern gerne verdrängt mit Hilfe von Spekulationen über eine seit Jahren betriebene Korruptionsaffäre, in der drei von einem Dutzend Anschuldigungen eventuell gerichtsverwertbar übriggeblieben sind. Netanyahus Rechtsanwälte haben – wie es einem Rechtsstaat gebührt – bis Herbst Zeit auf die geplante Anklage zu reagieren. Bis dahin gilt auch für einen Ministerpräsidenten: im Zweifel für den Angeklagten.

Am 9. April wird über Netanyahus Zukunft und über die Zusammensetzung der Regierung in Jerusalem entschieden. Wahlleiter Yossi Toren hat bei der Verteilung der 12.000 Wahlurnen in 19 regionalen Komitees stolz verkündet: „Der 9. April ist ein stolzer Tag für Israels Demokratie“.  Weder EU noch UN müssen in dem OECD-Land den rechtmäßigen Ablauf der Wahlen überwachen. Das Wahlkomitee hat sich „100 Prozent fehlerfreie Wahlen“ zum Ziel gesetzt. Was der Wahlleiter nicht gesagt hat:  Fast jede Koalition ist möglich – auch, dass Benny neben Benjamin am Kabinettstisch Platz nimmt.

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