In Serbien drohte die Lage am gestrigen Samstag zu eskalieren. Studenten aus mehreren Städten hatten sich aufgemacht, teils angeblich zu Fuß, um gegen Staatspräsident Aleksandar Vučić zu demonstrieren, den „Druck zu erhöhen“, wie eine Losung der Protestbewegung zu heißen scheint. Es geht, wie oft im Südosten des Kontinents, um die grassierende Korruption, die in manchen Fällen Menschenleben kostet. So geschah es in Novi Sad, wo das gerade gebaute Vordach eines Bahnhofs einstürzte und 15 Menschen ums Leben brachte. In Griechenland gibt es derzeit noch immer Proteste wegen des großen Bahnunglücks im Tempital bei Larissa, bei dem 57 Menschen, die meisten Studenten, starben. Auch die Regierung Mitsotakis steht deshalb unter dem Druck demonstrationsbereiter Studenten.
Es ist klar: Niemand möchte in einem Staat leben, in dem Sicherheitsregelungen so weit gedehnt werden, dass Menschen sterben. Und so bleibt es nicht bei Studenten. „Ganz normale“ Bürger kommen hinzu und verleihen dem Protest eine höhere Glaubwürdigkeit. Aber in Serbien kommen noch andere Faktoren hinzu.
Komplizierte Lage zwischen Russland und dem NGO-Westen
Präsident Vučić warnte im Vorlauf der Demonstration vor „massiver Gewalt“, sprach von geplanten Unruhen, und die wären natürlich „illegal“. Laut dem Präsidenten sind westliche Geheimdienste, die ihn aus dem Amt drängen wollen, in die Sache verstrickt. Am Freitag vor einer Woche hatte Vučić mit Wladimir Putin gesprochen und danach von einem „guten, substanziellen“, ja „ausgezeichneten Gespräch“ berichtet. Putin hatte darin von „bunten Revolutionen“ gesprochen, gegen die er die serbische Regierung unterstützen wolle. Es ist die Frage, ob eine einfache Demonstration von Studenten, die tagelang nach Belgrad marschieren, eine Revolution auslösen kann. Wahr ist aber, dass es einen Machtkampf zwischen Vučić und der sogenannten „Zivilgesellschaft“ in Serbien gibt.
Auch eine Botschaft des bosnischen Serbenführers Milorad Dodik hat Vučić offenbar Putin bei ihrem Gespräch überbracht. Putin unterstützt beide Anführer, die in der westlichen Gemeinschaft einen eher schweren Stand haben. Der wird allenfalls aufgelockert durch neue Avancen der Trump-Administration, die derzeit zumindest ihre Fühler nach Serbien ausstreckt. Am Dienstag war Donald junior in Belgrad zu Besuch gewesen, hatte „freundlich“ über die gemeinsamen Beziehungen gesprochen und „gemeinsame Projekte in den kommenden Jahren“ in Aussicht gestellt.
Hier wäre laut FAZ vor allem an ein Immobilienprojekt von Jared Kushner, dem Mann von Ivanka Trump, zu denken. Das alte Generalstabshauptquartier der jugoslawischen Armee soll angeblich zu einem Komplex aus drei Hochhäusern mit jeweils 30 Stockwerken und 250.000 Quadratmeter Nutzungsfläche umgebaut werden. Das gleicht beinahe schon den Gerüchten um die US-Übernahme der Nord-Stream-Röhren: Zuerst schießt man etwas kaputt, dann übernimmt man es. In Belgrad könnte so, wenn alles daran gelingt, ein Komplex aus Wohnungen, Geschäften und Gastronomie entstehen – und natürlich ein Trump International Hotel.
EU und UNO warnen Vučić – Unverkrampftheit des serbischen Protests
Derweil riefen EU und Vereinte Nationen die serbische Regierung „zur Wahrung des Demonstrationsrechts und zum Gewaltverzicht“ auf, wie Nachrichtenagenturen notieren. Die Belgrader Szenen vom Samstag, die es nach draußen schafften, wirken erst einmal friedlich. Weder gewaltbereite Demonstranten sind zu sehen, noch Ordnungskräfte, die sie einengen. Angeblich ist es die größte Demonstration in der Geschichte des Landes.
Sogar Bauern wurde ein roter Teppich ausgerollt. Das ist allerdings ein Bild, das nicht recht zur angeblichen Unterdrückung der Demonstration passen will. Statt Schlagstöcken der rote Teppich. Sogar Kriegsveteranen haben sich dem Protest mit ernsten Gesichtern zugesellt. Doch sie sind wohl auch ein Gegenprotest und verteidigen die Regierung Vučić.
Und dann gibt es auch wieder Volksfeststimmung in Belgrad. Ob es solche Offenheit für verschiedene Meinungen in westlichen Demokratien alten Schlags noch gibt, kann man mit Recht fragen. In Serbien scheint beides zugleich möglich: Das Demonstrieren in Trauer gegen die Korruption im Land und die Feier dieses Protestes selbst. Häufig zu sehen waren die serbischen Fahnen. Es geht anscheinend nicht um die Abschaffung des Landes, sondern um seine Neubelebung.