In einer Woche endet der Ausnahmezustand im polnischen Grenzgebiet zu Weißrussland. Nun hat der Senat, die zweite Kammer der polnischen Legislative, das neue Grenzschutzgesetz beraten. Die beteiligten Ausschüsse empfahlen die Annahme des Gesetzes ohne Gegenstimmen, nach einigen Änderungen. Das Gesetz ermöglicht ein Aufenthaltsverbots im Grenzgebiet, das der Innenminister in Absprache mit den örtlichen Grenzschutzkommandanten aussprechen kann.
Hintergrund der Regelung sind mehrere Fälle, in denen private Bürger und auch Journalisten die Migranten bei der illegalen Einreise unterstützt haben sollen. Die Senatoren wollen nun sicherstellen, dass das neue Gesetz nur auf die Grenzgebiete angewendet werden darf. Außerdem soll es Ausnahmeregelungen für Journalisten geben können. Darüber soll wiederum der Innenminister im Einzelfall entscheiden.
Der stellvertretende Innenminister Bartosz Grodecki wies im Senat darauf hin, dass die Grenzzone aktuell »eine gefährliche Zone« sei, und verwies auf verwundete Soldaten. »Diese Situation wurde bisher nirgendwo trainiert. Kein Land in Europa war einem solchen Druck und solchen Aktionen seines Nachbarn ausgesetzt.« Außerdem gehöre auch Desinformation und Propaganda zu den Waffen des Gegners. Insofern sei die Anwesenheit von Journalisten im Grenzgebiet nicht gleichbedeutend mit Waffengleichheit, so Grodecki laut der Gazeta Prawna.
Im Senat wurde heiß über den Vorrang von Grenzschutz oder freiem Journalismus gestritten. Der PiS-Senator Marek Komorowski verwies auf die Verfassung des Landes, die vorschreibt, dass »die Republik Polen die Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit ihres Territoriums wahrt«. Senatoren der Bürgerkoalition erwiderten, dass der Journalismus damit zum Gnadenrecht degeneriere.
Unterdessen berichteten die polnischen Grenzschützer erneut von gewaltsamen Versuchen, die Grenze von Weißrussland her zu überschreiten. Bei Czeremsza durchbrachen am gestrigen 24. November rund 200 Migranten die Grenzbarrieren. In einem Tweet des polnischen Grenzschutzes heißt es: „Steine und Holzäste wurden auf die polnischen Truppen geworfen, belarussische Soldaten blendeten die polnischen Truppen mit Blitzen und Lasern.“
Bei Mielnik am Grenzfluss Bug attackierten angeblich 40 aggressive Ausländer die polnischen Dienste mit Steinen, Ästen und Blend- oder Rauchgranaten. Andernorts waren es 100 Migranten, die ihre Straftaten offenbar unter weißrussischer Aufsicht verübten, wie im Video zu sehen.
Vorfälle wie diese gab es zuletzt beinahe täglich. Natürlich lässt sich nie ausschließen, dass den Grenzschützern auch mal Migranten entwischen. Diese Migranten kämen dann irgendwann an der Oder an und erhalten die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen. Der polnische Grenzschutz berichtet allerdings täglich von dutzenden Zurückweisungen, die erst jüngst durch ein polnisches Gesetz ermöglicht wurden.
Wird aus der Grenzkrise nun eine rein humanitäre?
Aus allen Ecken melden sich nun die Stimmen zur Lage der zehn- bis fünfzehntausend Migranten in Weißrussland. Zweitausend von ihnen sind derzeit in einem Logistiklager in der Nähe des Grenzübergangs Brusgi untergebracht. Für sie hatte sich der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko besonders eingesetzt, in der Hoffnung, dass Deutschland sie aufnehmen würde. Das hatte er offenbar mit jenem »humanitären Korridor« gemeint, über den er – in telefonischer Absprache mit Bundeskanzlerin Angela Merkel – noch letzte Woche nichts Genaueres sagen wollte. Seine Sprecherin machte die Zahl dann allerdings doch öffentlich. Lukaschenko sagte nun, Merkel habe ihm versprochen, dass sie »dieses Problem auf der EU-Ebene prüfen werde«.
Nun gab es nach längerem Schweigen, auch ein offizielles Dementi der Bundesregierung zu dieser Aussage: Nein, ließ Regierungssprecher Steffen Seibert wissen, trotz der »entsetzlichen humanitären Situation entlang der belarussisch-polnischen Grenze« sei die Übernahme der 2.000 von Brusgi keine »für Deutschland akzeptable Lösung«. Die Menschen harrten dort »in sehr, sehr schwierigen Umständen« aus. Deshalb habe Merkel mit Lukaschenko gesprochen, und weil man in solchen Lagen zumindest versuchen müsse, »Lösungen zu finden«.
Diese Lösungsversuche verschieben sich derzeit eher auf die diversen humanitären UN-Organisationen, die zu einer Zusammenarbeit mit Lukaschenko verdattert werden – beziehungsweise der weißrussische Machthaber zu einer Kooperation mit dem UNHCR oder der Internationalen Organisation für Migration. Die EU stellt derweil Decken, Nahrungsmittel und andere nötigste Dinge im Wert von 700.000 Euro zur Verfügung. Das Migrantenproblem soll rein humanitär umhegt und so gelöst werden. Viel Sorge wird darauf verwendet, dass es nicht zu einer humanitären Katastrophe in dem Nachbarland kommt. Dagegen hat Polen schlicht angeboten, die Rückreise der Migranten zu übernehmen. Die Hilfsangebote fließen, kann man sagen.
Kurdenführer Barzani: durch »kriminelle Netzwerke« zu Reisen verführt
Das macht nun auch andere aus der Herkunftsregion der Migranten erfinderisch. Der Chef der Autonomie-Regierung der Kurden im Nordirak, der ehemalige Peschmerga-Anführer Masrur Barzani, machte nun die deutschen Zeitungen FAZ und Welt darauf aufmerksam, dass der Großteil der Migranten in Weißrussland aus der von ihm beherrschten Region stammen. 70 Prozent der Migranten stammten aus dem Irak, drei Viertel von ihnen aus dem kurdisch dominierten Norden des Landes. Doch von dem Herannahen der Krise will Barzani nichts bemerkt haben. Man sei überrascht gewesen, »als klar wurde, wie viele Menschen aus Irakisch-Kurdistan nach Belarus aufgebrochen sind«.
Barzani versucht also, das Handeln seiner Landsleute als legal zu charakterisieren, zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Doch was er wirklich vorschlägt, ist, dass die Europäer einen Teil ihrer Energien dafür einsetzen, die illegalen Schleppernetzwerke zu bekämpfen, mit deren Hilfe auch kurdische Iraker nach Weißrussland gingen. Es handle sich um »kriminelle Netzwerke«, die Kurden zu einer »gefährlichen Reise verführt« hätten. Der Irak brauche etwa mehr Unterstützung bei der Korruptionsbekämpfung – kein Geld, beileibe nicht, davon habe das Land genug, aber »Engagement«, »Unterstützung bei Reformen«. Doch auch das Wort »Entwicklungszusammenarbeit« fällt, das man hierzulande dann doch meist mit kostspieligen Programmen verbindet.
Kommender Unruheherd Irak?
Dass der Irak droht, nach Syrien zum neuen »Sorgenkind« der Region zu werden, mag ja sogar stimmen. Barzani warnt vor einem Abzug der Amerikaner, der zu einer Stärkung der antiwestlichen Kräfte in der Region – vor allem des Iran – führen würde. Vielleicht ist dies ja doch ein Betätigungsfeld für die deutsche Diplomatie. Allerdings muss man bei einem kommenden grünen Außenminister immer befürchten, dass er versuchen wird, die Probleme des Landes mit Reisekontingenten zu lösen.
Natürlich sind Migranten aus dem Irak nicht nur in Weißrussland ein Problem. Übers Mittelmeer kamen auch in diesem Jahr wieder viele tausend von ihnen illegal in die EU. In Deutschland stellen Iraker die drittgrößte Gruppe unter den Asylbewerbern mit 10.000 Asylanträgen allein in diesem Jahr.
Insofern kann man sich schon mit einigem Recht fragen, was die Polen mit ihrem Widerstand gegen die Einreise der Migranten bewirken. Doch es gibt auch eine Antwort auf diese Frage: Sie schließen eine Migrationsroute, die sich durch besonderen Komfort auszeichnet und deshalb großes Potential haben dürfte, wenn sie offen bliebe. Über sie konnten die Migranten aus dem Irak innerhalb weniger Tage bis nach Deutschland gelangen, wie man auch an ihrer Kleidung immer wieder sehen konnte.