Tichys Einblick
Nahostillusionen

Zurück in alten Mustern: Baerbock im Westjordanland

Mit ihrem Auftritt unterstreicht die Ministerin ein weiteres Mal, was man schon wenige Tage nach dem Hamas-Massaker beobachten konnte: Nach einem Schockmoment ist die deutsche Diplomatie wieder zur alten Tagesordnung und den bekannten – so leeren wie oberflächlichen Formeln – übergegangen.

IMAGO / photothek

Es ist bereits das vierte Mal seit dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober, dass Außenministerin Annalena Baerbock in den Nahen Osten reist. Aber dass sich bei ihr seitdem gewaltig etwas verschoben hat, lässt sich schon an ihrem Besuchsprogramm ablesen: Die erste Reise war noch als reiner „Solidaritätsbesuch“ für Israel vom Auswärtigen Amt verkündet worden.

Dieses Mal setzte Baerbock deutlich abweichende Akzente: Natürlich traf sie sich mit israelischen Betroffenen des Krieges, mit Geiselangehörigen ebenso wie mit Evakuierten von der Grenze zum Libanon, die unter Dauerbeschuss der Hisbollah steht. Das Hamas-Massaker verurteilte Baerbock erneut. Zudem sagte sie, der Krieg im Gazastreifen könne längst vorbei sein, wenn die Hamas ihre Waffen niederlegen würde.

Gleichzeitig legte die Ministerin aber auch einen medial stark beachteten Schwerpunkt auf die Lage der Palästinenser im Westjordanland. Hier traf sie nicht nur (wie schon bei der dritten Reise) einen Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde. Vielmehr kam sie auch in einen Austausch mit Palästinensern, die von zunehmenden Schikanen durch radikale israelische Siedler berichteten.

Für ein Pressestatement positionierte sich Baerbock dann medienwirksam vor zahlreichen Mikrofonen auf einem Hügel, um von dort aus Kritik an der israelischen Regierung zu üben und den israelisch-palästinensischen „Konflikt“ zu analysieren. Baerbock konkret: „Hier im Westjordanland zeigt sich, wie unglaublich gefährdet die Zwei-Staaten-Lösung ist.“ Und später: „Der Siedlungsbau ist illegal. Er untergräbt den dauerhaften Frieden und gefährdet die Zwei-Staaten-Lösung“.

Dazu lässt sich einiges sagen: Gefährdet kann eigentlich nur etwas sein, was wirklich – oder zumindest potenziell – existiert. Die „Zwei-Staaten-Lösung“ tut dies aber nur in den Köpfen westlicher Diplomaten. Außerdem: Warum positioniert sich Baerbock ausgerechnet im Westjordanland, um zu zeigen, wie gefährdet diese angebliche Lösung sei?

Ihre Äußerungen zum „illegalen“ Siedlungsbau unterstreicht, dass sie das größte Problem insgeheim offenbar bei Israel sieht, auch wenn sie das so explizit vermutlich nie sagen würde. Dabei konnte alle Welt am 7. Oktober sehr genau gesehen, wer eine Lösung tatsächlich verhindert. Und auch hier wieder: Laut Baerbock „untergräbt“ der Siedlungsbau „den dauerhaften Frieden“, so als würde dieser gerade oder potenziell existieren.

Mit ihrem Auftritt unterstreicht die Ministerin ein weiteres Mal, was man schon wenige Tage nach dem Hamas-Massaker beobachten konnte, als der Bundestag einstimmig in einer Resolution die „Zwei-Staaten-Lösung“ forderte: Nach einem äußert kurzen Schockmoment ist die deutsche Diplomatie wieder zur alten Tagesordnung und den bekannten – so leeren wie oberflächlichen Formeln – übergegangen. Gelernt hat sie nichts.

Stattdessen hält sie eisern an ihrem alten Katechismus fest, der aus den Glaubenssätzen besteht: Erstens hat auch im israelisch-palästinensischen „Konflikt“ alles zwei im Grunde gleichwertige Seiten, zweitens sind die israelischen Siedlungen ein zentrales, wenn nicht sogar das zentrale Problem in diesem „Konflikt“ (auf das die Palästinenser nur reagieren) und drittens gibt es auch ein Heilmittel, und das ist die „Zwei-Staaten-Lösung“.

Die Folge dieses Aberglaubens: Baerbock bedient alle Seiten – sie sagt hier ein schönes Wort zu den Israelis und da etwas Gutes zu den Palästinensern, übt dann hier Kritik an diesen und dort Kritik an jenen. Am Ende entsteht der Eindruck, dass doch alle Seiten im Grunde gleich seien. Deswegen auch hier ein Staat für die Israelis und dort ein Staat für die Palästinenser. Klingt doch gerecht, oder?

Die Verteidiger dieser jahrzehntealten Politik werden das als Ausdruck hoher Dialektik und differenzierten Denkens preisen. Sie übersehen: Manchmal stößt ein „Sowohl als auch“ an die Grenzen der Realität. Nein, die Israelis sind nicht übernatürliche Engel, die alles richtig machen. Ja, es gibt extremistische Israelis, die Palästinenser angreifen.

Aber eines haben die unvorstellbaren Verbrechen des 7. Oktobers erneut unterstrichen: Die israelische und die palästinensische Gesellschaft lassen sich nicht mit dem gleichen Maßstab messen. Es gibt schlicht keine zwei äquivalenten Seiten. Sondern eine Seite (Palästinenser), die die andere auslöschen will, und eine andere Seite (Israel), die sich dem erwehren muss (und dabei menschliche Fehler macht).

Annalena Baerbock hat das nicht begriffen. Das Auswärtige Amt hat es nie verstanden. Anstatt die schwere Realität anzuerkennen, fährt man lieber in den eingefahrenen nahostpolitischen Spuren weiter. Das bringt zwar nicht, ermöglicht den handelnden Akteuren aber, an den eigenen Illusionen festzuhalten.

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