Begeistert gratulierte AfD-Chef Alexander Gauland dem Sieger der tschechischen Wahl, Andrej Babiš: Nach dessen „wunderbarem Wahlsieg ist Tschechien ein weiteres Land, das sich gegen die Flüchtlingspolitik aus Brüssel stellen wird“. Gauland freut sich zu früh – er ist Opfer einer undifferenzierten Berichterstattung deutscher Medien, für die die östlichen EU-Staaten immer noch hinter einem Vorhang liegen und daher Babiš in eine Reihe mit Viktor Orbán, Jaroslaw Kaczyński und sogar Donald Trump stellen. Andrej Babiš passt nicht in diese Reihe – dazu ist er zu prinzipienlos und damit buchstäblich käuflich.
Zwar kritisierte der „wunderbare“ Sieger Babiš die Flüchtlingspolitik der „Mutti Merkel“, wie er sie einmal nannte. Andererseits sind Leute wie Orbán oder Kaczyński im Vergleich zu ihm ideologisch fest verankerte Politiker, Politiker mit Werten. Orbán glaubt, was er sagt, wenn er über die Rettung des Abendlands vor dem Islam redet. Kaczyński ist zutiefst euroskeptisch und misstraut den 68ern und ihrer vermuteten Diskurshoheit in Westeuropa.
Babiš dagegen ist eine eigene Sorte Populist – einzig und allein euro-opportunistisch: Seine Überzeugung ist das Bankkonto, und solange die EU dieses füllt, ist sie willkommen. Der zukünftige Ministerpräsident Tschechiens kommt aus der besonderen Form des Big Business, die sich nach dem Zerfall des Sozialismus herausgebildet hat und viel eher dem Raubrittertum ähnelt als einer Marktwirtschaft. Seine schlichte Ideologie ist ein Managerismus pur: „Den Staat wie einen Betrieb verwalten“ – so die offzielle Losung.
Schade nur, dass man missliebige Bürger nicht kündigen und Meinungs- verschiedenheiten durch Aufkauf lösen kann. Babiš betrachtet das Leben als Überlebenskampf und die Wahlkampagne als Kampf um seine ganz persönliche Freiheit. Babiš ist von der Polizei wegen des Verdachts auf Finanzbetrug bei EU-Subventionen beschuldigt. Das Ministerpräsidentenamt sieht er als seinen Schutzschild gegen Nachstellungen solcher Art.
Kein Euro für Tschechien
Babiš lehnt den Beitritt Tschechiens zur Eurozone ab – neuerdings. Noch in der Wahlkampagne 2013 warb er für den Euro und kritisierte den damaligen Staatspräsidenten und erklärten Euroskeptiker Václav Klaus, dass er „uns in Europa Schande macht“ mit seiner angeblich unkonstruktiven Haltung gegenüber Brüssel. Noch 2014 ist Babiš’ eigens gegründete Bewegung ANO im Europaparlament bei der euroföderalistischen liberalen ALDE gelandet.
Der Deal riecht, schon wieder, nach Opportunismus, diesmal von beiden Seiten: Babiš, der im dreifachen Interessenkonflikt steht – Finanzminister, Eigentümer zweier wichtiger Tageszeitungen und eines beliebten Radiosenders, Eigentümer der zweitgrößten Firma im Land (Holding Agrofert) –, brauchte eine Beglaubigung, dass er für „den Westen“ akzeptabel ist. Guy Verhofstadt seinerseits brauchte dringend ANO-Abgeordnete, um die ALDE als eigenständige Fraktion überhaupt bilden zu können. Dieser Kuhhandel hält immer noch – der fanatische Euroföderalist Verhofstadt war von Babiš’ Sieg ähnlich begeistert wie der Europaskeptiker Gauland.
Dass hier keine Überzeugungstäter am Werk sind, sondern an ihrem persönlichen Wohl orientierte Pragmatiker, zeigt auch das Beispiel Věra Jourová. Diese Frau „repräsentiert“ Tschechien bei der Europäischen Kommission, sie ist Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Genderpolitik. Der Kommission wurde die ANO-Politikerin von Babiš vorgeschlagen.
Seitdem nahm Jourová an Vorhaben teil, die Alexander Gauland nicht gefallen würden: Sie verhandelte den sogenannten Code of Conduct mit Facebook, Twitter, Google, Youtube und Microsoft gegen Extremismus und „Hate Speech“ im Internet – der Brüsseler Versuch, vom Mainstream abweichende Meinungen zu begrenzen.
Jourová hat in Brüssel als Erste die Streichung der EU-Gelder an das widerborstige Polen angedroht. Jourová unterstützt den älteren Kommissionsvorschlag für die Frauenquote in Unternehmen, obwohl sie früher den Frauenquoten gegenüber skeptisch war – in der Sache opportunistisch, will sie in Brüssel gefallen.
Babiš betrachtet das Leben als Überlebenskampf und die Wahlkampagne als Kampf um seine ganz persönliche Freiheit
Als im September 2015 das Zerwürfnis infolge der Flüchtlingsquoten kam und die Slowakei mit Ungarn einen härteren Widerstand gegen die Umverteilungspläne aus Berlin und Brüssel ankündigte, schloss sich Prag der Meuterei nicht an. Der stellvertretende Ministerpräsident Babiš erklärte damals im tschechischen Fernsehen: So was wäre nicht klug, angesichts der vielen Subventionen aus der EU.
Es war als Randbemerkung gemeint, ist aber vielsagend. Unternehmer Babiš selbst kassiert gigantische Subventionen, im vergangenen Jahr mehr als 500 Millionen Euro, und der größte Haufen kommt aus der EU. So kontrolliert er das subventionierte Geschäft mit Biosprit. Praktisch, dass alle anderen heimischen Produzenten während der vergangenen vier Jahre, als er schon Minister war, kaltgestellt wurden. Die Biosprit-Beimischung ist eine EU-Erfindung, der Profit ist also garantiert.
Oder: Die letzte Regierung hat über den Umweg von EU-Programmen für die Entwicklung des ländlichen Raums die nationalen Regeln in Tschechien so verändert, dass man Subventionen für Projekte in dreifacher Höhe verlangen kann – ein Geschenk für Großbetriebe, denn die Familienbauern kommen dafür nicht infrage. Ergebnis: Der nächste Premier Tschechiens Babiš ist damit von der EU und ihrem Hang zu Großkonzernen in vielfältiger Weise wirtschaftlich abhängig.
Wenn sich Andrej Babiš gegen die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel auflehnt, so tut er das nur, weil die deutsche Flüchtlingspolitik, verbunden mit Quoten und dem unerträglichen Moralismus aus Berlin, bei der tschechischen Bevölkerung nicht vermittelbar ist. Diese Krise half ihm: Sie kam 2015 kurz nach seinen ersten Schwierigkeiten und Popularitätsschwankungen und beflügelte ihn wieder.
Wahlen gewinnen mit Anti-Merkel
Wer sich bei Angela Merkel aber richtig bedanken kann, ist ein erstklassiger Populist mit tschechisch-japanischen Wurzeln, Tomio Okamura. Dieser begabte Redner fordert direkte Demokratie, will den Islam an sich in Tschechien verbieten.
Wirtschaftspolitisch ist er eher links, fand auch schon gute Worte für den Kommunismus. Im Sommer 2015 war Okamura, nicht unähnlich der AfD, scheinbar am Ende: Seine erste Partei, mit der er zwei Jahre zuvor sieben Prozent bekam, war fatal zerstritten, Okamura wurde von seinen Abgeordneten verlassen, in den Umfragen rangierte er bei zwei bis drei Prozent.
Für Okamura war die Migrationskrise beim großen Nachbarn ein Lebenselixier. Seit dem Sommer 2015 legte seine neue Partei Freiheit und direkte Demokratie, kurz SPD, auf elf Prozent zu, und mit Babiš zusammen stellt er genau die Hälfte des Parlaments. Ein Austritt aus der EU, der Czexit, steht zwar in seinem Programm, außer ihm will ihn ernsthaft aber keiner. Auch Babiš nicht. Allerdings werden die beiden möglicherweise ein enges Zweigespann bilden können, wenn keine traditionelle Partei den Oligarchen und seinen riesigen Interessenkonflikt legitimieren will. Angela Merkel hat dies zwar nicht gewollt, trotzdem ist sie ein wichtiger Geburtshelfer der politisch perversesten Regierung in Prag seit 1989.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 12/2017 von Tichys Einblick erschienen: