Tichys Einblick
Gummigeschosse gegen Demonstranten

NoCovid mit allen Mitteln: Australien in der Lockdown-Sackgasse

Australien ist mit seiner kompromisslosen ZeroCovid-Strategie ein mahnendes Beispiel geworden: Das Land befindet sich im Lockdown, die Politik reagiert auf Protest mit zunehmender Härte.

Lockdown-Patrouille in Sidney

IMAGO / AAP

Monatelang zeigten Lockdown-Befürworter nach Ozeanien. Dort wurde umgesetzt, wovon Merkel und Lauterbach nur träumen konnten: Eine kompromisslose „ZeroCovid“-Strategie. Die Infektionszahlen so niedrig wie möglich zu halten um jeden Preis – das war das Motto der australischen, aber auch der neuseeländischen Regierung. Das bedeutet: Bei kleinsten Inzidenzzahlen wurden harte Lockdowns verhängt inklusive Ausgangssperre, flächendeckenden Geschäftsschließungen und ähnlichen Maßnahmen. Lange schien diese Strategie auch die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. „Wir haben die Kurve nicht abgeflacht, wir haben sie zerstört“, prahlte man zum Beispiel in der Stadt Sidney über die eigene Coronapolitik.

Ausgangssperren & Co.
"NoCovid" in Aktion: In Australien setzt jetzt das Militär den Ultra-Lockdown durch
Doch davon ist nun keine Rede mehr. Denn selbst auf einem vom Ozean umschlossenen Kontinent und abgelegenen Inseln ohne Landgrenzen lässt sich das Virus nicht „weglockdownen“ – wie die vergangenen Wochen zeigten. Anfang August gingen weite Teile Australiens wieder in den Lockdown. Bis Ende des Monats dürfen Menschen dort ihr Haus nicht mehr verlassen – außer, um einzukaufen oder zur Arbeit zu gehen. In Tierheimen erschoss man sogar massenhaft Hunde, damit Tierfreunde nicht aus den Häusern kommen, um sich um sie zu kümmern. Das Militär wurde auf die Straßen geschickt, um den Lockdown durchzusetzen. In Canberra kam es wieder zu Hamsterkäufen – wegen eines einzigen Coronapositiven wurde die ganze Hauptstadt eingesperrt. Das alles half nicht – die Infektionszahlen in Australien sind so hoch wie nie zuvor.

Damit macht die Delta-Variante die Idee von „ZeroCovid“ endgültig zur Makulatur. Das merken auch die Australier und Neuseeländer, die zunehmend unzufrieden sind und gegen ihre Regierungen auf die Straße gehen. Im neuseeländischen Christchurch wurde eine Demonstration mit 10 Teilnehmern aufgelöst und die Demonstranten sofort dem Richter vorgeführt, weil sie angeblich ein Gesundheitsrisiko darstellten. Die Inzidenz in Christchurch lag da bei drei Fällen auf 100.000 Einwohner.

Im ganzen Land kommt es zu immer größeren Demonstrationen, die Polizei geht rabiat gegen sie vor – mittlerweile werden auch Gummigeschosse eingesetzt.

Für Australien gibt es kaum einen Ausweg. Die Bevölkerung besitzt nur eine geringe Immunität, öffnet man jetzt, wird die Bevölkerung die zuvor verhinderten Infektionen einfach nachholen. Das ist der Zustand, auf den die Bundesregierung auch immer hingearbeitet hat – seit anderthalb Jahren wehrt man sich gegen die einfache und offensichtliche Erkenntnis, dass Corona nicht verschwinden wird und man schon allein deshalb lernen muss, mit dem Virus umzugehen, ohne das Land abzuriegeln. Mittlerweile nimmt man in Australien erstmals Abstand von der umstrittenen Strategie. Null Covid-Fälle seien auf Dauer „völlig unrealistisch“ sagte die Ministerpräsidenten des Bundesstaates New South Wales jüngst.

Melanie Brinkmann, Michael Meyer-Hermann und all jene, die mit noch härteren Lockdowns das Virus „ausmerzen“ wollten, müssten längst einräumen, dass ihre Strategie gescheitert ist. Natürlich werden sie das nicht tun – genauso wenig wie die Kanzlerin selbst. Doch was selbst auf einer Insel nicht funktioniert, kann in einem Land im Herzen Europas mit offenen Grenzen schon gar nicht klappen.

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