Tichys Einblick
Nur ein Wahlkampf-Manöver?

Attal: Scharia-Gebote werden an Frankreichs Schulen verbreitet

Wo andere Länder zurückschrecken, legt Frankreich einen gewissen Widerstand gegen seine alltägliche Islamisierung an den Tag. Die Scharia soll kein schützenswertes Kulturgut an den Schulen des Landes werden. Im Gegenteil sollen die geschützt werden, die sich gegen sie wehren, sagte der Premierminister nun.

picture alliance / abaca | Coust Laurent

Es gilt als unerhört. Der junge Premierminister Gabriel Attal hat in einem Interview mit dem privaten Fernsehsender BFM TV von den „Geboten der Scharia“ gesprochen, die heute an französischen Schulen zur Anwendung kämen, ja, von „organisierten Gruppen“ dort gepriesen und quasi missionarisch verbreitet werden. Das sei Entrismus, also Infiltration, Unterwanderung durch feindliche Akteure, fasst Attal seine Beobachtungen zusammen.

Noch nie habe ein französischer Premierminister etwas Ähnliches gesagt, stellt das Journal du Dimanche fest. Doch die Ereignisse der letzten Wochen lassen Attal auch (fast) keine andere Wahl: Eine Schülerin war in Montpellier so schlimm verprügelt worden, dass sie ins Koma fiel, weil sie sich „ein wenig schminkte“ und sich „auf europäische Weise“ kleidete, wie ihre Mutter sagte. Ein anderer Schüler wurde südlich von Paris totgeschlagen, weil er mit einem Mädchen gesprochen hatte (TE berichtete).

Es ist richtig, die Scharia macht nicht vor den Schultoren Halt, weder nach innen noch nach außen: Der Propagierung der koranischen Gesetze in der Schule entspricht ihre Anwendung in den Vierteln (cités) und vielen anderen Lebenssituationen, in denen sich Muslime und Nicht-Muslime in Frankreich treffen. In Bordeaux griff kürzlich ein Afghane – zudem anerkannter „Flüchtling“ – zwei Algerier an und erstach einen von ihnen, weil die beiden ein Glas Rosé tranken. Etwa zur gleichen Zeit wurde ein Schuhhändler aus Straßburg, der sich weigerte, eine verschleierte Aushilfskraft einzustellen, mit dem Tode bedroht. Der Mann sah sich gezwungen, seinen Laden zu schließen.

Evolution nicht mehr lehrbar? Texte aussortieren?

Eine Woche zuvor hatte Attal angekündigt, dass der Justizminister ein Rundschreiben aufsetzen werde, des Inhalts, dass, „wenn jemand angegriffen werden, weil er religiöse Prinzipien nicht respektieren, ein erschwerender Umstand festgehalten wird“. Das ist die markige Botschaft Attals in eine allgemeine juristische Sprache gebracht. Eine junge Frau müsse dazu in der Lage sein, sich ohne Schleier frei zu bewegen, sagte Attal. Ein junger Mann dürfe das essen, was er essen will – und, so möchte man anfügen, es sollte ihm auch erlaubt sein, zwanglos Kontakt zum anderen Geschlecht aufzunehmen.

Attal deskriptiv: „Immer häufiger finden Jugendgewalttaten vor dem Hintergrund der Infragestellung republikanischer Werte, der Infragestellung des Laizismus statt, und Gewalttaten werden auf diesem Nährboden ausgetragen.“ Attal normativ: „Es ist nicht akzeptabel, dass eine religiöse Ideologie in bestimmten Vierteln das Gesetz in Frage stellt.“ Und wie seit einiger Zeit bei solchen Gelegenheiten üblich sprach auch Attal davon, dass man das „Übel an der Wurzel packen“ und den „unerbittlichen Kampf gegen den Separatismus und insbesondere den islamistischen Separatismus fortsetzen“ wolle. Davon hatte auch Macron in seiner Anfangszeit gesprochen, bevor er versuchte, präsidialer aufzutreten und den Konflikt zuzuschütten. Seine alte „Generalsekretärsrolle“ hat er nun an Attal abgetreten. Man kann das für Wahlkampf halten. Macron und Attal stehen unter Druck durch das Rassemblement und die konservative Rechte, die bisher einen Teil ihrer Basis gebildet hat.

Daneben darf man bezweifeln, ob die Nötigung zur Scharia als „erschwerender Umstand“ ausreichen wird, um wieder irgendeine Art von Ruhe und Ordnung an die Schulen zu bringen. Man könnte sagen, dass diese Neuerung die erste Vorbedingung für eine sinnvolle und notwendige Antwort darstellt. Eine Antwort, die man in Großbritannien nicht immer geben konnte, wo kürzlich ein autistischer Junge sich am Koran „vergriffen“ hatte und eine Straf- und Bußsitzung mit dem örtlichen Imam folgte.

Insofern markiert die Intervention Attals eine erfrischend unwoke Tendenz im politischen Leben Frankreichs, die nach Ausweis der Wahlergebnisse eine große Mehrheit bei den Bürgern hat. Aber es brennt schon längst an französischen Schulen: Laut Attal können Lehrer die Evolutionslehre nicht mehr auf den Plan setzen und müssen die Lektüre bestimmter Texte vermeiden, weil sie sonst eingeschüchtert werden.

Die Große Moschee mag ein Wort nicht

Freilich blieb die doppelte Wortmeldung Attals nicht ohne Widerspruch. Der Rektor der Großen Moschee von Paris, Chems-eddine Hafiz, äußerte laut Huffpost seine „tiefste Besorgnis“ nach den Äußerungen des Premierministers Gabriel Attal über den „islamistischen Entrismus“ und fordert die Regierung auf, die extreme Rechte nicht „durch die Stigmatisierung von Muslimen“ zu „füttern“. Irgendwie scheint an dieser Stelle klar zu werden, dass es eben nur eine von zwei Sachen gibt: entweder Islam oder Islamophobie.

Unangemessen fand der Rektor der Moschee auch den Begriff „Entrismus“ (in diesem Fall „islamistischer“), der ursprünglich eine politische Taktik bezeichnete, bei der gezielt militante Mitglieder einer Organisation in eine andere eingeschleust werden. Man kann sich lange über die stilistische Passigkeit des Begriffs ereifern, am Ende scheint er sachlich und phänomenologisch angemessen: Islamische Denkweisen halten Einzug in westliche (in Frankreich: republikanische) Institutionen, egal ob das nun von langer Hand und als politische Aktion geplant ist oder nicht. Das Verbot der Abaya an Schulen, das Attal im letzten Jahr als eine seiner letzten Amtshandlungen als Erziehungsminister einführte, gehört mit zu diesem Abwehrkampf, ebenso das ältere Burkini-Verbot.

In Deutschland stecken wir wahrscheinlich bereits irgendwo in der Mitte fest. Die quasi natürliche Wokeness der germanischen, protestantischen Völker macht die Deutschen einerseits geduldig gegenüber dem Entrismus, dem Ein- und Vordringen des Islam. Andererseits stehen die Dinge noch nicht so sehr Spitz auf Knopf wie in Frankreich und Großbritannien. Dafür ist der Islam in seiner massiven, mengenmäßig und ideologisch erheblichen Gestalt noch nicht lange genug in Deutschland. Die Strukturen werden sich aber konsolidieren, mehrere Hinweise darauf gibt es schon. Auch die Forderungen nach „gleichberechtigter Teilhabe“ werden zunehmen. Dass diese Gleichberechtigung eines sich selbst totalitär verstehenden Islams auch die hiesige Grundordnung sprengen wird, beginnt langsam immer mehr Leuten zu dämmern.

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