Tichys Einblick
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Asylwende in Österreich? Deutschland ist bald nur noch von Transitländern umgeben

Aktuelle Zahlen der Bundespolizei zeigen Wege und Ursprung der illegalen Migration nach Deutschland. Das Land ist umzingelt von Transitstaaten. Und Deutschland nimmt alle auf. Spitzenreiter unter den Transitstaaten ist noch immer Österreich, wo sich nun auch in der SPÖ die Zeichen für eine „Asylwende“ mehren.

Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze bei Walserberg, 21.09.2022

IMAGO / Revierfoto

In Österreich blickt man voller Neid nach Dänemark: Nur 55 Asylanträge pro 100.000 Einwohner mussten die dänischen Behörden von Januar bis Juli entgegennehmen. Dagegen waren es im Alpenland knapp siebenmal so viele, nämlich 348 neue Asylbewerber pro 100.000 Einwohner allein im ersten Halbjahr. Österreich liegt damit auf Platz zwei der EU-Asylstatistik, gleich hinter Zypern, einem sehr kleinen Land mit EU-Außengrenze. In absoluten Zahlen werden es bald 90.000, am Jahresende wohl über 100.000 Asylanträge in Österreich sein. Freilich ist das Land zugleich ein großes Transitland. Viele stellen ihren Antrag, um dann weiter nach Deutschland zu ziehen, obwohl das eigentlich immer zu einer Rückführung führen sollte.

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Die meisten unerlaubten Einreisen stellt die Bundespolizei noch immer an der deutsch-österreichischen Grenze fest, wie aktuelle Zahlen zeigen. Das ist in keiner Weise zufällig: Die Grenze zwischen Bayern und Österreich ist noch immer die einzige, die gegenüber der EU notifiziert ist und wo also feste Grenzkontrollen stattfinden können. Zudem ist die deutsch-österreichische Grenze für viele Migranten der wirkliche Endpunkt der Balkanroute. Denn die deutsche Aufnahmebereitschaft wurde zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt.

Anders in Österreich, wo sogar sozialdemokratische Bundeskanzler irgendwann die Reißlinie zogen. 2016, unter den Kanzlern Faymann und Kern (beide SPÖ) wurde eine feste, nicht atmende Obergrenze von 37.500 Asylverfahren eingeführt. Danach sollte es Zurückweisungen an den Grenzen geben. Tatsächlich ließ man aber auch weiterhin Migranten bis zur deutschen Grenze weiterziehen – auch eine Art, eine Obergrenze einzuhalten, ja zu unterschreiten. Doch damit ist nun offenbar Schluss.

Im Sommer haben die österreichischen Grenzschützer ganz offiziell damit aufgehört, Migranten bei unerlaubter Einreise nach ihren Asylantragsabsichten zu befragen, und ihnen stattdessen die Weiterreise in nördlicher Richtung erlaubt. Etwas Ähnliches praktizieren die Schweizer Grenzer seit kurzem. Man kann dies alles ohne weiteres als letzten Wink mit dem Grenzpfahl ansehen. Er gilt der Bundesregierung, für die sich aber stellvertretend nur die Opposition aus CDU/CSU und AfD aufregt. Deutschland ist nun auch von seinen engsten Nachbarn im Schengenraum isoliert. Und diese Isolation schlägt sich direkt in der deutschen Asylstatistik nieder.

Wachsende Aufgriffe an den Grenzen zu Polen, Schweiz und Österreich

Die Bundespolizei teilte nun auf Anfrage von Tichys Einblick ein Lagebild mit, das tief blicken lässt auf Routen und Dynamik der illegalen Migration. Die Aufgriffe illegal Einreisender an der Schweizer Grenze haben sich zwischen August und Oktober von 576 auf 2.390 mehr als vervierfacht. Auffällig sind auch die Nationalitäten der Aufgegriffenen: Neben den üblichen Afghanen, Syrern und türkischen Staatsbürgern fallen mehr als 600 burundische Migranten und knapp 150 Tunesier auf, die auf die zentrale Mittelmeerroute hindeuten. An der österreichischen Grenze fallen dagegen die mehr als 650 Inder ins Auge, die eher auf den Balkan und Westbalkan verweisen.

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Inzwischen kann man sagen, dass Deutschland zwar von Freunden umgeben ist, aber zugleich auch von Transitländern. An allen Grenzen gibt es inzwischen Aufgriffe – in freilich sehr verschiedener Zahl, aber dennoch. So werden an der Luxemburger Grenze derzeit im Monat gut 50 illegale Migranten aufgegriffen, an der französischen Grenze sind es gut 450, vor allem Afghanen, Algerier, Tunesier. Zuwächse sind an der belgischen Grenze zu verzeichnen, wo im August nur 161 unerlaubte Einreisen auffielen, im Oktober aber schon fast doppelt so viele (305), vor allem Algerier, Afghanen, Marokkaner, Syrer und Iraker. In der Nähe der niederländischen Grenze verzeichnete die Bundespolizei monatlich rund 200 Aufgriffe, vor allem Syrer, Iraker, Türken und Algerier.

Aber vor allem sind die Grenzen zu Tschechien (seit August 9.500 unerlaubte Einreisen) und – zuletzt stark zunehmend – Polen betroffen, wobei auffällt, dass an der polnischen Grenze ein bunteres Völkergemisch auftritt: Neben Syrern und Afghanen, auch Irakern stechen einige hundert Ägypter und etwas weniger Iraner heraus, die anscheinend über andere Wege kommen als die Syrer, Türken, Afghanen, Iraker und Inder, die an der tschechischen Grenze aufgelesen werden. An der deutsch-polnischen gab es seit August über 5.200 Aufgriffe, allein im Oktober 2.336. Meist mehr als 300 Migranten wurden monatlich offenbar tief im Inland – das heißt meist an Bahnhöfen – ohne gültige Papiere angetroffen. Hinzu kommen außerdem mehr als 1.200 unerlaubte Einreisen pro Monat über die deutschen Flughäfen.

Die aufgegriffenen Schleuser bleiben demgegenüber in den Hunderten. Insgesamt wurden in den drei Sommer- und Herbstmonaten knapp 900 Schleuser aufgegriffen, die allermeisten an der tschechischen und österreichischen Grenze. An der polnischen und tschechischen Grenze fielen 28 bzw. 30 ukrainische Schleuser auf. Daneben dominieren die Nationalitäten der Geschleusten auch unter den Schleusern. Beteiligt sind allerdings auch Tschechen, Rumänen und wenige Litauer, an der österreichischen Grenze auch 24 Deutsche.

Insgesamt gab es im August 8.846 und im September 12.701 Aufgriffe, im Oktober aber schon 13.167 festgestellte unerlaubte Einreisen. Die Asylzahlen liegen freilich fast um das Doppelte höher: Im Oktober wurden laut BAMF knapp 24.000 Erstanträge gestellt, ein Wert der zuletzt im November 2016 erreicht wurde.

Der Machtkampf zwischen Grenzschützern und Grenzöffnern in der EU

Die jüngsten Volten der deutschen Ampelkoalition haben zu einiger Unruhe in Parlament und Regierung geführt. Im Streit mit Italien um die Migranten-NGO-Schiffe im Mittelmeer hat die Ampel zunächst ein scheinbar weiches, tatsächlich aber hinterlistiges Schwert gezückt: Zwei Millionen Euro jährlich an eine Organisation, die Illegale-Migration-NGOs unterstützt – den Kirchenverein „United4Rescue“ –, gelten als Schachzug, der Giorgia Meloni zusätzlich verärgern dürfte. Zugleich vermeidet die Bundesregierung die direkte Bezuschussung der NGOs, die rechtlich heikel sein könnte.

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Daneben wurden nun erste Stimmen laut, die eine Imitation der französischen Haltung vorschlagen. Der migrationspolitische Sprecher der SPD-Fraktion Lars Castellucci dachte in der FAZ  laut über eine Aufkündigung des Abkommens nach, gemäß dem Deutschland Italien binnen eines Jahres 3.500 Migranten abnehmen soll: „Wenn die Regierung in Rom weiterhin Rettungsschiffen die Einfahrt in italienische Häfen verwehrt und Migranten am Brenner einfach durchgewunken werden, dann ist es mit dem Solidaritätsmechanismus zugunsten Italiens bald vorbei.“

Das wäre derselbe Schritt, den der französische Innenminister Gérald Darmanin schon ging, als Giorgia Meloni ihm für die Übernahme der „Ocean Viking“ dankte. Die Pariser Außenministerin sollte später sagen, dass man in den vertraulichen Regierungsgesprächen nichts dergleichen zugesagt hatte. In Toulon angekommen, sind prompt einige der Migranten im Land verschwunden und haben so ihre klandestine Migration fortgesetzt.

Was bedeutet nun die Castellucci-Einlassung? Kündigt sich ein internationaler Schwenk der Sozialdemokratie an? Wird die SPD wie ihre dänische Schwesterpartei zur migrationskritischen Kraft? Wohl kaum. Noch geht es um das Bestrafen Italiens, das Aufkündigen einer humanitären Verschönerung der harten Migrationsrealität, obwohl Deutschland doch den Bärenanteil der gesamteuropäischen Migranten ganz ohne Kontingentlösung durch offene Grenzen an sich reißt.

Nähern sich Österreichs Sozialdemokraten dem dänischen Kurs?

In Österreich ist man dem Schwenk vielleicht einen Schritt näher: Hans Peter Doskozil ist als Landeshauptmann im Burgenland seit einiger Zeit für seine migrationskritische Position bekannt. Verwunderlich ist das nicht, muss doch das östliche Bundesland die Zustände an den Grenzen seit 2015 und dieses Jahr wieder mit aller Schärfe ertragen. Verstärkung scheint Doskozil aber inzwischen auch aus der SPÖ-Zentrale zu bekommen: Jörg Leichtfried, die rechte Hand von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, hat im steirischen Kindberg gegen ein neues Asylbewerberheim demonstriert – neben dem steirischen FPÖ-Chef Mario Kunasek. Und nun wird durch eine Umfrage klar: Natürlich brächte ein Spitzenkandidat Doskozil der SPÖ bessere Aussichten als die eine sterile Art von Ahnungslosigkeit ausstrahlende Rendi-Wagner.

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Vorbild könnte das eingangs erwähnte Dänemark sein, mit dessen Lösungen gegen eine fortgesetzte Massenmigration aus Nahost und deren Folgekosten ja auch der amtierende Bundeskanzler Karl Nehammer und sein Nachfolger im Innenministerium Gerald Karner (beide ÖVP) liebäugeln. Die Übernahme der strikten dänischen Regeln fällt freilich schwer in einem Land, das den EU-Regeln voll und ganz unterliegt und in dem – ähnlich wie in Deutschland – die linke Migrationslobby noch eine Stimme hat.

Drei FPÖ-Landesparteichefs fordern nun Grenzzäune an den österreichischen Grenzen im Osten und Süden. Das langfristige Ziel müsse – ganz dänisch-sozialdemokratisch – eine „Nullzuwanderung“ sein. Das Asylantragsrecht soll laut dem FPÖ-Plan ausgesetzt werden, an den Grenzen soll die Zurückweisung („Pushbacks“) möglich werden, da auch Österreich von sicheren Staaten umgeben sei. Schlepper wie Geschleppte sollen gleichermaßen bestraft werden. Asyl ohne sachdienliche Angaben des Antragstellers soll es nicht mehr geben. Signale wie dieses dürften auch die Sozialdemokraten und die konservative ÖVP unter stärkeren Druck setzen.

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