Tichys Einblick
Neues Asylsystem ab 2026 beschlossen

Der rätselhafte Pakt: Uneinigkeit über die Wirkung der EU-Asylreform

Das EU-Asylpaket ist durch das Parlament gegangen, bei Ablehnung von Linksaußen und einigen rechten Parteien. Über seinen Nutzen herrscht weitgehende Uneinigkeit. Jeder assoziiert eigene Vorstellungen. Ganz verstehen wird man die Wirkung wohl erst bei der Anwendung. Erst mal ändert sich aber gar nichts.

picture alliance / CHROMORANGE | Christian Ohde

Das fängt schon einmal gut an: Die Süddeutsche Zeitung, Zentralorgan des globalisierten Linkswokismus in Deutschland neben Zeit und Spiegel, findet die neue EU-Asylreform „umstritten“, und vielleicht kehrt dieses Wort damit ja in den normalen politischen Haushalt zurück, abseits der Cancel-Versuche und Verbotsphantasien. Man muss zugeben, dass das Wort wohl nur da steht, weil man den Status quo eigentlich ganz gut findet und gar nichts verändert haben will in der Redaktion der SZ. Aber die Reform des gemeinsamen EU-Asylsystems (GEAS) hat am Mittwoch eine Mehrheit im EU-Parlament gefunden, und das, obwohl viele Linke und Grüne glauben, die Regelungen gingen zu weit, während sie der Opposition auf der rechten Seite des Parlaments oft nicht weit genug gehen.

Selbst die italienische Regierung ist hier uneins: Salvinis Lega hat im Parlament gegen den Vorschlag gestimmt, der „das Problem der illegalen Migrationsströme in keiner Weise löst und Italien wieder einmal alleine lässt“. Dagegen sieht Premierministerin Giorgia Meloni den Pakt als ihren Erfolg an. Auch Innenminister Matteo Piantedosi sieht es immerhin als positives Ergebnis an, dass man „die Migrationspolitik wieder in den Mittelpunkt der europäischen Agenda“ gerückt und „gemeinsam mit den EU-Partnern den bestmöglichen Kompromiss“ gefunden hat. Italien scheint sich also etwas von der Reform zu versprechen – zumindest die Möglichkeit, für „sicherere Außengrenzen, effiziente Asylverfahren, schnellere Abschiebungen“ und für „mehr Solidarität der Union“ mit den Erstaufnahmeländern zu sorgen. Die Auswirkungen der Reform scheinen noch weitgehend unklar zu sein und könnten sich vollends erst zeigen, wenn sie dann auch angewandt wird.

Während der Sitzung des EU-Parlaments kam es zum konsequenten und irgendwie erwartbaren Protest von Aktivisten, die von der Besuchertribüne aus Zwischenrufe („Dieser Pakt tötet“) veranstalteten oder Papierflugzeuge ins Plenum warfen. Das waren vielleicht Symbole für eine gewünschte Ausweitung von Direktflügen in die EU, etwa aus Islamabad oder anderen weit entfernten Erdteilen. Änderungsanträge waren am Mittwoch ohnehin nicht mehr möglich.

Auch die Iren erwarten das große Verteilen

Daneben erinnert allein das Wort EU-Asylpakt die Bürger in vielen Mitgliedsländern daran, dass erst durch die Freizügigkeit im Schengen-Raum illegale Migration zu einem Thema für sie wurde, so etwa in Irland, wo man besorgt ist, dass neue Pflichten zur Ansiedlung von Migranten auf das Land zukommen. Die unabhängige Abgeordnete Verona Murphy hat deshalb ein Referendum ins Spiel gebracht.

Aber in Deutschland haben Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) für das Paket geworben, vor allem weil man dieses wichtige „Thema nicht den Rechtspopulisten überlassen“ dürfe, wie Faeser aus Berlin mitteilen ließ. Sie hat nach der Vorstellung der Kriminalstatistik für 2023 erneut eine Ahnung davon bekommen, dass es sich nicht gut macht, die Dinge schlüren zu lassen, gerade nicht bei der Migration.

Baerbock will derweil dafür sorgen, dass die „unmenschlichen Zustände an den EU-Außengrenzen“ aufhören, auch wenn sie dem natürlich „unsere Solidarität entgegensetzen“ will, was im Kontext des Pakets höchst unklar bleibt. Aber Solidarität mit den Bootsmigranten könnte durchaus auch sein, dass man sie von ihrer Fahrt abhält, ihnen vielleicht sogar erklärt, dass die EU anders ist, als sie es sich nach den Erzählungen von Schleppern und Verwandten erträumt haben. Aber was bringt dieses neue EU-Asylpaket nun wirklich?

Die konkreten Regelungen sind seit dem Kompromiss der Fachminister vom Dezember bekannt: An den EU-Außengrenzen soll es einheitliche Grenzverfahren mit einem verpflichtenden Screening geben. Migranten aus sicheren Herkunftsländern sollen unter haftähnlichen Bedingungen ein „Schnellverfahren“ von immerhin noch zwölf Wochen durchlaufen, an dessen Ende sie möglicherweise direkt in ihren Herkunfts- oder einen Transitstaat abgeschoben werden können. Betreffen könnte das 20 bis 25 Prozent der Ankommenden, aber eben nicht Syrer und Afghanen, die immer noch zu hohen Prozentsätzen Asyl oder Schutz in der EU bekommen.

Die Transitstaatenregelung immerhin soll ausgeweitet werden: Wenn ein Migrant einen Bezug zu einem solchen Durchgangsland – etwa durch längeren Aufenthalt – hat, dann soll er künftig eher dorthin zurückgeschickt werden können. Aber ausgerechnet die Bundesregierung hat hier Nachbesserungen in letzter Minute nach EuGH-Urteilsvorbild durchgesetzt: So soll es in dem Abschiebeland eine funktionierende Gesundheits- und Schulversorgung und „ausreichende Mittel zum Lebensunterhalt“ geben, wie die Welt am Sonntag schreibt.

Abschiebungen bleiben ein zähes Geschäft

Wie man dieses „umgehend Zurückschicken“ unternehmen und meistern will, steht allerdings noch in den Sternen. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson behauptete nun, man werde eine „Verdoppelung der Rückführungsquote“ sehen. Aber dazu bräuchte es funktionierende Abkommen mit Drittstaaten. Nur scheint die EU nicht viele Trümpfe für die Verhandlungen mit diesen im Ärmel zu haben – oder sie will sie nicht einsetzen. Bisher kamen meist nur Vereinbarungen über mehr (dann legale) Migration zustande. Rücknahmen bleiben zäh. Was allenfalls gelingt, ist die Ausrüstung und das Training der Küstenwachen in den Nachbarstaaten.

Auch die Frage, wo die zu bauenden Lager stehen sollen und vor allem welchen rechtlichen Status (innerhalb oder außerhalb der EU) sie haben werden, bleibt anscheinend unklar. Vermutlich wird man die alten Hotspots auf den griechischen Inseln, Lampedusa oder den Kanaren weiternutzen. Angeblich sind mittelfristig bis zu 120.000 Plätze in Grenznähe geplant. Aber auch diese Aufnahmekapazität wird schon als zu gering diskutiert. 2023 wären laut Bundesregierung 423.260 Personen unter das Schnellverfahren gefallen. Das werden noch schöne EU-Bauprojekte.

Dann gibt es die Krisenverordnung, die bei einem besonders starken „Massenzustrom“ oder einer „Instrumentalisierung“ von Migranten von allen (!) EU-Mitgliedern gemeinsam in Kraft gesetzt werden kann. Dann können die strikteren Regeln auf bis zu 100 Prozent der Neuankömmlinge ausgeweitet werden. Daneben sollen die Frontex-Grenzschutzmitarbeiter auf 30.000 ausgeweitet werden,wie sich der EVP-Vorsitzende Manfred Weber (CSU) freut.

Gerade die Grünen mussten einige Kröten schlucken und können fast nur noch durch zweckentfremdete Bundesmittel (an Mittelmeer-NGOs) dafür sorgen, dass mehr Migranten übers Mittelmeer in die EU kommen. Aber auch Frauen und Kinder sollen irgendwann, entgegen den Wünschen Faesers und der Grünen, das Grenzverfahren durchlaufen. Wann, das ist die nächste Frage, die sich an die „Reform“ knüpft. Denn sie wird wohl frühestens ab 2026 wirksam werden. Warum so spät? Keiner weiß es. Doch bis dahin werden wohl noch ein bis zwei Sommer des Missvergnügens an EU-Küsten und -Grenzen vergehen.

Polen und Ungarn lehnen Umsiedlungspläne ab

Unklarheiten über Unklarheiten. Klar scheint da zumindest eines: Ungarn hat dem Paket wie die alte polnische Regierung nicht zugestimmt und wird sich voraussichtlich weigern, jene Migranten aufzunehmen, die ihm gemäß einem fixen Schlüssel zugeteilt werden sollen. Mindestens 30.000 Migranten sollen so pro Jahr umverteilt werden, und wer sie nicht aufnimmt, kann sich dafür mit 20.000 Euro pro Migrant freikaufen. Diese Umsiedlung (relocation) von Migranten soll dann in dem Maße zunehmen, in dem einzelne Länder überlastet sind. Die erste anzunehmende Zuteilung von rund 8500 Migranten könnte Ungarn folglich die Summe von 170 Millionen Euro kosten.

Auch der neue polnische Premierminister Donald Tusk, der an sich den EU-Freunden zugeordnet wird, hat angekündigt, die EU-Umsiedlungspläne mit seinem Land nicht mitmachen zu wollen. In Warschau sagte Tusk: „Wir werden Polen vor dem Umsiedlungsmechanismus schützen.“ Tusk sprach davon, dass er „bestimmte Möglichkeiten, Allianzen zu bilden“, habe. Der „Mechanismus der Umsiedlung oder der Bezahlung für die Nichtaufnahme (von Migranten)“ werde „sicherlich nicht auf Polen zutreffen“.

Viktor Orbán schrieb auf X: „Der Migrationspakt ist ein weiterer Nagel im Sarg der Europäischen Union. Die Union ist tot, sichere Grenzen gibt es nicht mehr. Ungarn wird sich niemals dem Massenmigrationswahn beugen! Wir brauchen einen Wechsel in Brüssel, um die Migration zu stoppen!“

Anzeige
Die mobile Version verlassen