Tichys Einblick
Immer engere Union

Asyl-Opt-out: Was können die Niederlande und Ungarn erreichen?

Die Niederlande und Ungarn wollen aus dem europäischen Asyl-Pakt aussteigen. Dürfen sie aber nicht, und werden sie vorerst auch nicht. Bei diesem Polit-Theater geht es darum, den EU-Diskurs der „immer engeren Union” zu zertrümmern.

picture alliance / Anadolu | Nikos Oikonomou

Am 14. Mai verabschiedete der Rat der EU-Innenminister mit qualifizierter Mehrheit den sogenannten Migrationspakt. Gegen die Stimmen Polens und Ungarns, während Tschechien und die Slowakei sich enthielten. Vier Monate später kann von einem „Pakt” eigentlich keine Rede mehr sein, das Wort suggeriert schließlich eisernen Zusammenhalt aller Beteiligten. Die Niederlande haben am Mittwoch einen sogenannten Opt-out beantragt, also das Recht, nicht mitmachen zu müssen. Noch am selben Tag, um 20:16 Uhr, verkündete Ungarns Minister für EU-Angelegenheiten, János Boka, dass Ungarn sich der niederländischen Initiative anschließen werde.

Zuvor hatte die ungarische Regierung, die den Pakt immer abgelehnt hatte, bereits klar gemacht, dass sie dessen Bestimmungen so oder so nicht umsetzen werde.

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Zwei Länder wollen raus aus dem Asylpakt – klingt radikal, aber bringt das was? Vorerst nicht. Für die schicksalsschwere Abstimmung, die den „Pakt” etablierte, war nur eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsländer nötig. Für einen Ausstieg aber bedarf es der Zustimmung jedes Mitgliedsstaates, denn dazu müsste der Grundlagenvertrag der EU geändert werden. Es gibt zwar Opt-outs zu bestimmten Politikbereichen, etwa für Dänemark und Polen. Aber diese müssen vor der Verabschiedung der Maßnahme vereinbart werden, bei der das betreffende Land nicht mitmachen will. Es geht nicht im Nachhinein.

Von der Rechtssystematik her klingt es bizarr, aber rein rechtlich gesehen ist es wohl einfacher, aus der EU auszutreten als aus einer EU-Richtlinie. Dazu muss man lediglich Artikel 50 des EU-Vertrages aktivieren, und der Rest ist Verhandlungshölle. Aber den Vertrag von Lissabon zu ändern, das öffnet eine Büchse der Pandora. Wenn da schon geändert wird, dann richtig – da würde eine allgemeine Debatte über eine mehr oder minder radikale Reform der EU losbrechen, und das will nicht jeder Mitgliedsstaat.

Die ungarische Ankündigung klang denn auch recht höflich: Man wolle ein Opt-out, wenn der Lissabonner Vertrag entsprechend geändert werden könne.

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Warum also das Unmögliche verlangen? Zunächst einmal ist Geert Wilders, Chef der PVV, der führenden Partei der niederländischen Regierungskoalition, ein langjähriger politischer Weggefährte des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Man darf davon ausgehen, dass das Vorgehen der beiden Regierungen abgestimmt ist. Obwohl es rechtlich fast unmöglich erscheint, aus dem Asylpakt auszuscheren, haben sie es schon jetzt geschafft, dem Grundgedanken einer immer föderaleren EU einen schweren Stoß zu versetzen. Das ist ja das Credo der EU: Für transnationale Probleme kann es nur europäische Lösungen geben, und die sollten künftig grundsätzlich möglichst per Mehrheitsentscheid vereinbart werden. „Immer engere Union”, so lautet das Grundprinzip des Lissabonner Vertrages.

Dieses Prinzip fliegt der EU nun um die Ohren. Neun Jahre lang dauerte der Streit um die Asylpolitik seit der großen Migrationskrise 2015. Dann wurde mit Ach und Krach ein Deal vereinbart, gegen den Widerstand der kompletten Visegrád-Gruppe (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) – und nun wollen nur vier Monate später zwei Mitglieder aussteigen. Es ist politisch peinlich für Brüssel, es wirkt dysfunktional, und ist eine perfekte Illustration dessen, was Orbán schon oft gesagt hat: Wenn man das Vetorecht aushebelt, und in Fragen grundlegender nationaler Interessen Mitgliedstaaten zwingen will, gegen das Interesse ihrer eigenen Bürger zu handeln, dann wird die EU nicht gestärkt, sondern droht, daran zu zerbrechen.

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Wenn es den Niederlanden und Ungarn gelingt, in diesem Sinne Panik in Brüsseler Korridoren zu stiften, dann könnte das politische Folgen haben und den Diskurs in der EU verändern. Vielleicht wird man dann doch nicht versuchen, bei künftigen Reformen die Brechstange zu benutzen, um den Widerstand widerspenstiger EU-Mitglieder zu brechen.

Zum Bild einer dysfunktionalen EU passt auch die Absurdität, dass Deutschland seine Grenzen nun stärker kontrolliert, um illegale Migranten abweisen zu können, während Ungarn nach einem hochpolitischen Urteil des Europäischen Gerichtshofes täglich eine Million Euro Bußgeld zahlen soll, weil es seine Grenzen schützen will – vor Migranten, von denen viele ohnehin versuchen würden, nach Deutschland weiterzureisen.

Obwohl die deutschen Grenzkontrollen wenig Schutz bieten vor illegaler Einwanderung – Migranten müssen einfach diskretere Wege suchen –, hat man in Ungarn die scharfe Wende in der deutschen Asylpolitik begrüßt und sofort politisch ausgeschlachtet. Man sieht sie als Beweis dafür, dass Ungarn in dieser Frage schon immer Recht hatte. Und als Argument im Dauerstreit mit der EU.

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