Die argentinische Armutsrate soll in diesem Jahr noch einmal gestiegen sein, so schreiben einige deutsche Medien fleißig aus einer neuen Erhebung der Katholischen Universität Buenos Aires ab und spitzen noch zu: Die Rate sei auf dem höchsten Stand seit 20 Jahren. Traulich vereint sind hier das katholische Domradio und die linke taz, die beide nicht wissen, woher diese Armut kommt. Auch die heutzutage undefinierbare FAZ mischt mit und sieht Argentinien wegen der immer noch hohen Inflation am Abgrund taumeln. Doch was als Milei-Vorführung und Skandalisierung geschrieben ist, belegt eher die Unfähigkeit seiner Vorgänger, mit einer jahrelangen Krise fertig zu werden. Eigentlich ist es ja schlicht absurd, zu behaupten, dass die reale Armut in einem Land durch die Regierungsentscheidungen eines Monats wesentlich beeinflusst werden könnte.
Eine konkurrierende Studie der Universität Torcuato di Tella hat übrigens keinen relevanten Anstieg der Armut festgestellt. Das Seltsamste ist aber, dass die schon vor der Wahl Mileis hohe Armutsquote von 45 oder 46 Prozent nie eine Rolle in deutschen Medien spielte. Nun gab es damals keinen Politiker „neuen Typs“ dort, dem man einfach rechte oder gar autokratische Umtriebe nachsagen konnte. Alles verlief im Einerlei von Peronismus, Staatssozialismus und Mitte-Rechts-Kontrastprogramm. Tatsächlich liegt inzwischen ein Vierteljahrhundert Krise hinter Argentinien.
Man muss sich den Wahnsinn dieser argentinischen Hyperinflation noch einmal vergegenwärtigen: Allein zwischen 2019 und 2023 stieg der Preis eines handelsüblichen Hamburgers von zwei auf mehr als fünf US-Dollar. Und das war, bevor die Inflationsrate Ende des Jahres die 200-Prozent-Marke erreichte und überschritt.
Die Argentinier hatten genug von den alten Lösungen
Seit 2001 erfuhr Argentinien immer wieder Wirtschaftskrisen, aus denen weder linke Peronisten noch ein konservativer Präsident wie Mauricio Macri das Land befreien konnte. 2018 erlebte Argentinien eine weitere Krise nach der Großkrise von 2001/2002, als Gerhard Schröder den Argentiniern eine Siemens-Investition im Tausch gegen Kredite aufdrücken wollte.
Nun wird auf die Abwertung des Pesos verwiesen und auf die angeblich schwierigen Folgen. Tatsächlich wirkt der Schritt sich nur auf den Außenhandel aus und begünstigt mittelfristig das Wachstum im Land. Milei hat den offiziellen Wechselkurs an den realen angepasst oder die Differenz zwischen beiden verkleinert. Dazu musste er den Peso um 54 Prozent abwerten – eigentlich war die Währung aber schon vorher genauso wenig (oder weniger) wert gewesen. Nur bezahlte die Differenz jemand anders. Im Land selbst verändert sich dadurch nichts. Aber kolumbianischer Kaffee soll zum Luxusgut geworden sein. Das war er irgendwann schon einmal gewesen. Und lokale Produkte sind doch heute so im Trend.
Ausgeglichener Haushalt, zwei Monate früher als erwartet
Durch seine libertären Reformen will Milei „Freiheit und Fortschritt“ in seinem Land wieder ermöglichen. In einem Notdekret mit rund 300 Artikeln hat er die Privatisierung der meisten öffentlichen Betriebe angekündigt: „Alles, was in den Händen des privaten Sektors sein kann, wird in den Händen des privaten Sektors sein.“ Dazu könnten auch die öffentlichen Sendeanstalten des Landes gehören, die Milei im Wahlkampf als „verdecktes Propagandaministerium“ bezeichnet hatte. Daneben geht es in dem Dekret um die sofortige Abkehr von Preiskontrollen, die Streichung von Subventionen, das Ende von Einfuhrbeschränkungen.
Im Januar, seinem ersten vollen Monat im Amt, gelang Milei zudem der erste Überschuss in einem Monat seit August 2012 und der erste Überschuss in einem Januar seit 2011. Das sind gefühlte Ewigkeiten. Im Januar war eigentlich nur ein Primärüberschuss geplant gewesen, also abgesehen von Zinszahlungen. Der vollständig ausgeglichene Haushalt sollte im März folgen. Nun gelang er schon zwei Monate früher. Die Staatseinnahmen deckten damit im Januar alle Ausgaben, eingeschlossen die Zinszahlungen. Man könnte es – mit Verweis auf die Farbe von Mileis libertärer Partei – die „violette Null“ nennen, aber Mileis Pläne gehen im Grunde schon jetzt über dieses Ziel hinaus. Um den Bürgern möglichst viel zurückzugeben, ist er zu echten Einschnitten in die Staatsausgaben bereit. Er liefert den Argentiniern angesichts der Krise einen Überschuss.
Dass man das hervorheben muss, zeigt, wie sehr unser Begriff vom guten Haushalten heute keynesianisch überformt ist. Beständiges Schuldenmachen, egal ob in guten oder schlechten Zeiten, gilt als normal, die damit einhergehende laufende Enteignung der Bürger und Steuerzahler als kleineres Übel. Was würde passieren, wenn der Staat seine Ausgaben plötzlich zurückführte? Argentinien zeigt: nicht viel. Milei hat die Hälfte der Ministerien eingespart und konnte so auf vermutlich tausende Staatsdiener – 50 Prozent der höheren Beamten und 34 Prozent der politischen Beamten – verzichten. Auch die Sekretariate wurden von 106 auf 54 fast halbiert. Im Januar reduzierte er so die Staatsausgaben um 30 Prozent im Vergleich mit dem Vorjahresmonat (inflationsbereinigte Angabe).
Milei: Wir verhandeln nicht mit den Zerstörern des Landes
Natürlich meckern da die einstigen Staatsbediensteten, von denen auch das ZDF eine für seinen Report auflas: „In 45 Tagen hat dieser Typ unser Leben vermasselt“, schimpft da eine gewisse Inés Rodriguez, die ihre Stunden vor kurzem noch beim Katastrophenschutz absitzen durfte. Und sicher ist das „sonst so freundliche Gesicht der 47-Jährigen“ von Zornesröte betroffen, wenn sie an ihren verlorenen, einst betonsicheren Job denkt. Doch die von den Gewerkschaften angezettelten Massendemonstrationen konnten der Regierung nicht schaden.
Ein Politiker der konservativen Oppositionspartei PRO kritisierte die Auslandsreisen Mileis nach Israel und Rom – zur Kanonisierung einer argentinischen Heiligen –, aber das sind eher oberflächliche Angriffspunkte, auch wenn Milei natürlich im Lande selbst viel zu tun bleibt. Man hatte bisher keinen Zweifel, dass er die vor ihm liegenden Aufgaben mit hoher Energie angehen will. Das wird vermutlich so bleiben, zumal auch die Skandalisierung seines Wirtschaftskurses durch Medien und Kasten-Establishment wohl nicht abreißen wird.
Schon ist die Rede davon, dass Mileis libertärer Kurs andere Länder in Südamerika anstecken könnte. In Bolivien, Chile, Kolumbien, Peru, sogar in Brasilien und Venezuela soll es derzeit mehr Anhänger der Wirtschaftsfreiheit geben als jemals zuvor. Die sozialistischen Stammhirsche leiden meist unter niedrigen Zustimmungsraten von 30 bis 40 Prozent – so der Chilene Boris und der Brasilianer Lula –, während Milei sich noch in der Frühlingssonne der 60 Prozent aalen kann.