Tichys Einblick
Historiker Georges Bensoussan

Der islamische Antisemitismus ist der gefährlichste

Der marokkanisch-stämmige jüdische Historiker Georges Bensoussan, der in Frankreich aufgewachsen ist und seit einiger Zeit in Israel lebt, rechnet mit der Politik in Paris ab. Eine Abrechnung, die punktgenau auch auf Deutschland zutrifft.

Screenprint: via youtube

„Es gibt rechten Antisemitismus, aber er ist weniger wichtig und vor allem weniger gefährlich als der islamische Antisemitismus, der mehrere Todesopfer gefordert hat.“ In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) vom 25. Januar 2024 rechnet der marokkanisch-stämmige jüdische Historiker Georges Bensoussan, der in Frankreich aufgewachsen ist und seit einiger Zeit in Israel lebt, mit der Politik in Paris ab. Eine Abrechnung, die punktgenau auch auf Deutschland zutrifft.

Wenn man Frankreich durch Deutschland ersetzt, verlieren die Aussagen Bensoussans keineswegs an Bedeutung. Die extreme Rechte, so der Historiker, sei das beste Argument, um die Realität in Frankreich zu verschleiern. Das gelte nicht nur für den Antisemitismus, sondern für alle großen Probleme Frankreichs, angefangen bei der Einwanderung und der Islamisierung. Man wolle es nicht sehen, als ob das Benennen von Tatsachen das Risiko eines neuen Faschismus bergen würde, sagt Bensoussan.

In Deutschland demonstrieren an einem Wochenende über eine Million Menschen gegen Rechts, aufgestachelt durch grüne und sozialdemokratische Ampel-Politiker, unterstützt durch NGOs und die Massenmedien. Die Gewalttätigkeit der gesetzeswidrig Zugewanderten aus Nahost und Nordafrika, die für den Anschlag am Breitscheidplatz 2016 bis zur Vergewaltigung im Regensburger Stadtpark im Januar 2024 verantwortlich ist, wird als „vereinzelte Taten“ heruntergespielt, der politische Zusammenhang wird schlichtweg bestritten.

Bensoussan bestreitet nicht, dass es eine extreme Rechte gebe, und natürlich gebe es Antisemiten im „Rassemblement National“, (vergleichbar mit der AfD in Deutschland, Anm. der Red.), wahrscheinlich mehr als in der Durchschnittsbevölkerung. Aber könne man alle, die Angst vor dem Islam haben, als Faschisten bezeichnen? Sei die Sorge um den Fortbestand der französischen Identität stets faschistisch, oder könne sie angesichts einer schleichenden Islamisierung der Gesellschaft ein nachvollziehbarer Verteidigungsreflex sein, fragt der französische Historiker?

Er habe schon vor über zwanzig Jahren auf den Zusammenhang zwischen der israelisch-palästinensischen Auseinandersetzung, der Intifada, und der Gewalt in französischen Stadtteilen hingewiesen. Auf jeden Fall werde er nicht mehr so vehement geleugnet, betont Bensoussan. Das sei ein Fortschritt. Aber es gebe immer noch eine Tendenz seitens der Medien, die Dinge falsch zu benennen.

Man verurteile den Antisemitismus, aber man benenne nicht die Antisemiten. Man dürfe nicht, so ein tausendfach gehörter Satz, „der extremen Rechten in die Hände spielen“. Oder man anerkennt, dass es unter Muslimen Antisemitismus gebe, fügt aber gleich hinzu, dass es auch unter Rechtsextremisten Antisemitismus gibt. Hier gebe es immer noch eine mentale Barriere, eine Art stillschweigendes Verbot.

Der Historiker ist auch der Frage nachgegangen, warum die Juden aus den arabischen Ländern verschwunden sind. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten dort über eine Million Juden. Heute sind es nur noch 4000. Je mehr ich forschte, desto mehr kam ich von der These weg, dass der israelisch-arabische Konflikt der Hauptgrund dafür sei, fasst Bensoussan zusammen.

Die tiefere Ursache der Auswanderung war, dass die Juden in der arabischen Welt seit dem späten siebten Jahrhundert als Untertanen gelebt hatten. Auf Arabisch nannte man solche Leute „dhimmi“. Mehr noch als die Christen waren die Juden Demütigungen und Schikanen ausgesetzt, manchmal auch Pogromen wie 1912 in Fez oder 1941 in Bagdad. Arabische Kinder, das wissen wir aus Hunderten Reiseberichten von westlichen Besuchern, erzählt Bensoussan, machten sich einen Spaß daraus, ältere Juden mit Steinen zu bewerfen. Sie durften sich ja nicht wehren.

Mit der Kolonialisierung des arabischen Raums habe sich jedoch die Stellung der Juden geändert. Sie emanzipierten sich, auch dank der westlichen Schulsysteme. Sie verwestlichten – und indem sie das taten, stellten sie sich in den Augen ihrer einstigen Unterdrücker gegen das islamische Recht. Sie galten als Verräter und Symbole der Moderne, die in der arabischen Welt bewundert und gehasst werde. Über all das sei später der Konflikt um Israel gestülpt worden. Das habe einen explosiven Cocktail ergeben.

Der christliche und westliche Antisemitismus sei älter und vor allem struktureller. Hier gehe es um eine ganze Weltanschauung, betont der Historiker. „Der Jude“ habe den Sohn Gottes getötet, er verkörpere Verrat, Heimtücke, List und Habgier, kurz gesagt: das Böse. In der arabischen Welt sei der Jude ein minderwertiges Wesen, aber er mache keine Angst und stehe nicht im Mittelpunkt der islamischen Weltanschauung. Wenn er seine Unterwerfung und ständige Erniedrigung als „dhimmi“ akzeptiere, sei alles in Ordnung. Wenn er sich dagegen auflehne, kommt es zum Krieg. Diese Rebellion habe die arabische Welt den Juden bis heute nicht verziehen.

Bei der andauernden Bodenoffensive Israels in Gaza sind in den Schulen Hitlers „Mein Kampf“ in großer Zahl in arabischer Übersetzung gefunden worden. Bensoussan weist darauf hin, dass es nicht nötig sei, den Antisemitismus zu exportieren. Es gab ihn bereits, und er war oft verbunden mit dem Hass gegen den Westen. Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, hätten viele arabische Nationalisten ihre Nähe gesucht, insbesondere die Anführer der palästinensischen Bewegung. Im „Dritten Reich“ interessierte man sich dagegen erst ab 1937/38 für die Araber. Die rassistischen Passagen über Araber, die Hitler in „Mein Kampf“ formuliert habe, seien in den arabischsprachigen Ausgaben gestrichen. Hitler hat den Antisemitismus also nicht exportiert, er hat ihm lediglich eine rassische, biologische Prägung verliehen, die er ursprünglich nicht hatte.

Bensoussan äußert sich auch zu „La France insoumise“, eine neuere linke Bewegung, die durchaus vergleichbar mit Sahra Wagenknecht in Deutschland ist. Weil sich große Teile der ehemaligen Arbeiterklasse und der kleinen Angestellten von der Linken abgewandt haben, so der Historiker, wendet sich „La France insoumise“ den muslimischen Vorstädten zu. Sie orte dort eine Art neues Proletariat, das morgen vielleicht den Wahlerfolg garantieren wird. Daher ihre systematische Verurteilung Israels (ebenso wie Sahra Wagenknecht, Anm. der Red.), daher ihr Schweigen zum muslimischen Antisemitismus. Dies, obwohl sie wüssten, dass Antisemitismus in diesen Bevölkerungsgruppen weit verbreitet sei. All das sei demagogisch und verachtenswert.

Die pro-palästinensischen Kundgebungen mit Hunderttausenden Teilnehmern sind nach Meinung des Historikers letztlich ein oberflächliches Phänomen. Die tiefere Realität sei schwieriger zu erkennen, denn die große Mehrheit in diesem Land demonstriere nicht … Er ist davon überzeugt, dass diese Mehrheit zutiefst antiislamistisch eingestellt sei, aber nicht gehört werde. Sie spüre, dass Frankreich der gleichen Gefahr ausgesetzt ist wie Israel: dem Islamismus, der im „Bataclan“ getötet hat, der einen Priester enthauptet hat, der 86 Menschen in Nizza und die Redaktion von „Charlie Hebdo“ ermordet hat. Die Medien würden dieses Frankreich oft nicht widerspiegeln, sie seien von einer kulturellen, intellektuell verarmten Linken geprägt. Diese Linke würden in den Muslimen, angefangen mit denen in Gaza, die neuen Verdammten dieser Erde erkennen.

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