Tichys Einblick
Weiter Kulturkampf

Antiamerikanismus ist rechtsextremistisch und linksextremistisch

Die Washingtoner Vorgänge sollten Fanal zum Dialog im Kulturkampf werden. Schuld hat nicht nur eine Seite. Diffamierung, Verachtung und Arroganz sind Feinde der Freiheit.

imago images / ZUMA Wire

Wer einmal bei einem Besuch in Washington DC nach einer Visite des größten Soldatenfriedhofs der USA in Arlington am Lincoln Memorial vorbei die Mall entlang lief und die vielen Schulklassen sah, die, die Smithsonian Museumsmeile entlang in Richtung Capitol und White House strömten, wird sein ganzes Leben die andächtig glänzenden Augen der Jugendlichen und dann auch anderer Amerikaner aller Schichten und Hautfarben nicht vergessen können. Hier, in diesem Areal, liegt das Herzstück der amerikanischen Demokratie. Nur wer das versteht, kann begreifen was am Abend des Mittwoch in der amerikanischen Hauptstadt geschehen ist. Rund etwa die Hälfte der amerikanischen Wahlbürger fühlt sich schlicht betrogen. Die Wut darüber ist überall in den USA so groß, dass selbst ewig gültig geglaubte Tabus, wie das Eindringen in das Capitol, gebrochen werden können. Dass das nicht geduldet werden kann und Wiederholungen ausgeschlossen werden müssen, muss jedem einleuchten. Die Ursache für diese Eskalation aber allein dem scheidenden Präsidenten Donald Trump und seinen angeblich dumpfen und gewaltorientierten, natürlich rechtsextremistischen, Wählern zuzuweisen, greift nicht nur zu kurz, sondern ist auch gefährlich.

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Die amerikanische Gesellschaft durchzieht schon seit längerem ein ständig breiter werdender Graben. Grund für diese Spaltung bis in Familien hinein ist ein mal hart und laut und mal leise und schleichend geführter Kulturkampf. Helmut Schmidt nannte die amerikanische Revolution einmal die einzige Gesellschaftsform, in der die Werte der Aufklärung des Menschen wirklich gelebt würden. Er meinte damit nicht weniger als die Herausstellung der Rechte und der Fähigkeiten jedes einzelnen Individuums. Diese Eigenheit unterscheidet die USA bei allen Unzulänglichkeiten von allen anderen Wertsystemen der Vergangenheit und Gegenwart. Es kann nicht wundern, dass der Antiamerikanismus sowohl rechtsextremistische wie linksextremistische Ideologie ist. Immer tritt er zusammen mit Antisemitismus auf. Stalin und Hitler waren beide glühende Antisemiten. Und auch heute finden extrem Rechte und Linke an diesem Punkt schnell zusammen. Die Belege dafür sind horrend und täglich zu finden.

Nichts ist dem amerikanischen Wesen fremder als der den Einzelnen vereinnahmende Kollektivismus. Dazu gehört auch eine tiefe Abneigung gegen staatliche Bevormundung. Diese geht sogar so weit, dass viele Amerikaner eine Pflicht zur Krankenversicherung ablehnen. Diese sei unamerikanisch und greife in das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen ein. Für Europäer eine Horrorvorstellung und nicht zu verstehen. Ähnlich verhält es sich mit dem zweiten Zusatz zur amerikanischen Verfassung, in dem das Recht jedes amerikanischen Bürgers auf den Besitz einer Schusswaffe zur Selbstverteidigung festgeschrieben ist. Sowie jeder letztendlich für sein Glück oder Unglück selbst verantwortlich ist, so hat auch jeder das Recht sich selbst mit allen Mitteln zu verteidigen. Für Europäer kommt dies einer Gewährung von Schwachsinn gleich. Das kann ja jeder halten wie er will. Aber es ist nun mal die amerikanische Mentalität. Ebenso wie die christliche Religion und das Bekenntnis zu Familie und Vaterlandsliebe vom ersten Schultag an zum Lehrstoff gehören. So gibt es in vielen Bundesstaaten ein eigeneres Lehrfach „The american dream“, bei dem jede Unterrichtsstunde mit dem Singen der Hymne und der Ehrerbietung vor der US-Flagge als Symbol der amerikanischen Werte beginnt.

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All das stellt eine akademische und anakademisierte Linke in Frage und berührt damit die Wurzeln amerikanischer Identität. Insofern sind Parallelen zur deutschen Debatte durchaus zu sehen. Hier wie dort nehmen für sich die linken Culture-Changer für sich eine moralische Autorität, ausgestattet mit dem Pass für die Zukunft, in Anspruch. Dieses selbst angemaßte Privileg verbindet sich mit einer äußerst penetranten Arroganz und Besserwisserei bei gleichzeitiger Verachtung aller andersdenkenden und -lebenden Mitglieder der Gesellschaft. Das Kampfgeschehen bestimmt alle Felder der Gesellschaft. Hier wie dort hat die Linke die Hoheit über die Massenmedien und damit die Hoheit über die Begrifflichkeiten gewonnen. Diese bestimmt ein links-gewünschtes Frauenbild, den Charakter von Partnerschaften, das Essverhalten, die PKW-Vorlieben und den Kleidungsstil. Nicht zu vergessen ist dabei natürlich die Erziehung der Kinder – dort, wo noch welche zur Welt kommen.

In Deutschland beispielsweise trauen sich nach einer Umfrage des international als seriös bekannten Instituts für Demoskopie in Allensbach bereits 2/3 der erwachsenen Bevölkerung nicht, ihre Meinung zu bestimmten politischen Fragen aus Angst vor Benachteiligung offen zu äußern. Wenn das kein Alarmzeichen für eine Demokratie ist. Muss man sich wirklich wundern, wenn die „ewiggestrigen, zurückgebliebenen und reaktionären“ Elemente einer Gesellschaft beginnen, sich zu wehren? Zumal ihnen jeder Dialog verweigert wird. Was ihnen und ihren Argumenten für das bisher Gültige entgegenschallt, ist Diffamierung, Ausgrenzung und die Verteufelung als rechts außen. Insofern könnte das Geschehen von Washington ein Fanal für die Notwendigkeit einer neuen großen gesellschaftlichen Debatte sein.

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Eine Debatte ohne Scheuklappen und ideologische Dogmen, die nicht selten mit einer versteckten Demokratieverachtung einhergehen. Eine Debatte, die endlich die TV-Talkshows aus ihrer sektenhaften Teilnehmerstruktur herausführen und wirkliches Gespräch ermöglichen. Themen gibt es genug: den ersten Antrag, den die Demokraten in den USA in das Repräsentantenhaus eingebracht haben, ist die Abschaffung der Begriffe Mutter, Vater, Sohn und Tochter, weil sich damit alte Rollenbilder und verkrustete Strukturen versteckten. Oder wie wär es damit: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfiehlt in einer gemeinsamen mit dem WHO-Regionalbüro für Europa herausgegebenen Schrift „Standards für die Sexualaufklärung“ auf Seite 42, Babys zur frühkindlichen Masturbation zu motivieren. Nach einem Bericht der Märkischen Allgemeinen Zeitung empfiehlt ein pädagogischer Kreis zur frühkindlichen Sexualerziehung unter dem Namen „Dreist e. V.“ die Einrichtung von Masturbationsräumen für Kindergärten. Garantiert quotenbringender Diskussionsstoff für die Damen Will, Maischberger und Illner.

Um Entwicklungen wie in den USA gar nicht erst entstehen zu lassen, sollten alle Seiten unserer Gesellschaft das Gespräch nicht nur mit Gleichmeinenden, sondern auch mit anderen suchen. Übrigens – in den Großstädten der USA bilden sich Kreise von Mediatoren, die über Telefonketten gemeinsame Abende beider Kulturen organisieren.

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