Tichys Einblick
Anti-Wokeness-Maßnahme:

US-Software-Entwickler untersagt politische Diskussionen am Arbeitsplatz

Der CEO eines Software-Unternehmens aus Chicago hatte genug von Diskussionen über den Stand des »gesellschaftlichen Bewusstseins« und erließ neue Regeln am Arbeitsplatz. Ein Drittel der Belegschaft kündigte, die Linkspresse tirilierte. Die Frage bleibt: Wieviel Wokeness verträgt ein Unternehmen?

IMAGO / Westend61

Die USA segeln derzeit auf der Welle eines neuen Puritanismus, einer Reinheitsbewegung. Die hatte sich vor allem im vergangenen Jahr angekündigt, als es darum ging, Donald Trump aus dem Amt zu jagen. Black Lives Matter und andere ideologische Bewegungen waren zunächst die Werkzeuge dieses Unterfangens. In der Folge wurde den Leuten abverlangt, die sogenannte »kritische Rassentheorie« als Maßstab ihres Handelns und Denkens zu akzeptieren. Das gleiche galt im Grunde für alle Betriebe und Unternehmen des Landes, deren Mitarbeiter sich häufig in Kursen über »systemischen Rassismus« schulen lassen mussten.

Eine andere Variante war die Pflege einer extravaganten Diskussionskultur, durch die jede Diskriminierung, jedes vermeintliche »Hassverbrechen« gesühnt und quasi rückgängig gemacht werden konnte. Das zeigte sich zuerst bei den großen Zeitungen, deren Mitarbeiter häufig in einer Art Online-Flash-Mob die Entlassung bestimmter Personen oder die Aufgabe eines verlegerischen Standpunktes (etwa der Neutralität und politischen Vielfalt einer Kommentarseite) forderten – so geschehen im Fall des Meinungschefs James Bennet bei der New York Times. Aber auch normale Wirtschaftsunternehmen unterliegen letztlich den gleichen Mechanismen. Die Öffentlichkeit bekommt es nur seltener mit.

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Was nun in einem Software-Unternehmen aus Chicago geschah, könnte zumindest den Beginn einer Trendwende auf diesem Gebiet bedeuten. Nach einer aus dem Ruder gelaufenen Diskussion um Vorgänge, die Jahre zurückliegen, kündigte der Mitgründer und CEO des Software-Entwicklers Basecamp, Jason Fried, verschiedene Änderungen der Unternehmenskultur an. Anlass der Vorgänge war eine Liste »lustiger Namen« von 2009, die den beteiligten Mitarbeitern heute so peinlich ist, dass wir fast nichts über sie wissen – außer dass einige der Einträge rassistisch waren. Es schlossen sich Diskussionen an, die letztlich das Arbeitsklima so weit beschädigten, dass die Chefs sich zum Eingreifen genötigt sahen.

In seinem Blogpost vom 26. April verkündete Jason Fried das Ende von Mitarbeiterkomitees zur Entscheidungsfindung und betonte stattdessen eindeutige Verantwortlichkeiten. Auch die Bewertung aller durch alle, die wohl im Sinne größerer »Gerechtigkeit« praktiziert worden war, sollte enden. Entscheidungen sollten wieder Entscheidungen sein und auch gelten, nachdem sie gefallen waren. Daneben wurden einige (so Fried) »bevormundende« Vergünstigungen gestrichen, wie die Übernahme der Fitness-Studio-Gebühr oder Fortbildungen. Die Mitbestimmung der Angestellten ist hier offenbar auf dem Rückzug, das Ganze wirkt beinahe wie eine Strafmaßnahme, mit der Fried auf ein ausuferndes Diskussionsverhalten seiner Mitarbeiter reagierte.

Die entscheidende Maßnahme war allerdings die erste in der Liste: Ab sofort sollte es keine gesellschaftlichen und politischen Diskussionen am Arbeitsplatz geben. Diese neue Regel schlug offenbar tief in das Selbstverständnis der Mitarbeiter ein. Bald ruderte Fried zurück und stellte den Angestellten frei, sich über den verschlüsselten Dienst Signal oder Whatsapp über Politisches zu unterhalten, es sollte nur nicht da stattfinden, »wo gearbeitet wird«.

Diskussionen führen »in dunkle Bahnen«

Die Grundidee der neuen Regel leuchtet dabei durchaus ein, wenn man die zerklüftete Meinungslandschaft der USA kennt. Laut Fried sind die heißen Eisen der gesellschaftlichen Diskussion inzwischen so viele geworden, dass fast jeder politische Austausch bald alles Angenehme hinter sich lässt. Nur zu leicht wird man durch eine Äußerung oder ihre Unterlassung zur Zielscheibe wüster Kritik. Man bekommt das auch hierzulande mit, wenn man Twitter-Diskussionen und Vergleichbares beobachtet. Ist es also die richtige Lösung, alle solche Diskussionen am Arbeitsplatz zu verbieten?

Frieds Argument ist, dass politische Diskussionen zu einer »bedeutenden Ablenkung« für seine Mitarbeiter geworden sind: »Es schwächt unsere Energie und lenkt unsere Gespräche in dunkle Bahnen. Es ist nicht gesund, hat uns keine guten Dienste geleistet.« Ein Großteil dieser Gedanken scheint vom Chief Technology Officer (CTO) des Unternehmens zu stammen, dem gebürtigen Dänen David Heinemeier Hansson, kurz DHH genannt. Er schreibt in einer Erläuterung: Wenn irgendjemand Zweifel habe, ob eine Diskussion am Arbeitsplatz oder im Firmennetzwerk diskutiert werden darf, solle er »vor dem Posten fragen«. Auch ein »Fehler« sei nicht das Ende der Welt, aber man werde die Mitarbeiter höflich an die neue Betriebs-Etikette erinnern. Hansson gab sich konziliant, musste allerdings auch feststellen, dass Teile von Twitter »sehr. enttäuscht. von. uns. sind«.

Mehrheit in der Minderheit
Wo sind all die woken Leute?
Die Antwort von zwanzig der insgesamt 57 Basecamp-Angestellten, darunter auch der Marketing-Chef, war eindeutig. Sie kündigten umgehend, nicht ohne ihren Unmut öffentlich zu machen. Heraus kam eine der üblichen Wokeness-Wellen, in denen den Abtrünnigen unter anderem sogleich Jobs in anderen »anti-rassistischen« Betrieben schmackhaft gemacht wurden. Der Software-Entwickler John Breen legte eine freundlich gemeinte Liste der Ehemaligen an und warb dafür, ihnen Stellen in Unternehmen zu verschaffen, in denen sie nicht als »Spalter« gelten.

Die Wirtschaftsseite Marker urteilte, die Social-Media-Reaktion der Ex-Mitarbeiter sei »schnell, aber überwiegend wohlbedacht« gewesen. Die neuen Regeln seien zu vage, um überhaupt eindeutig angewandt zu werden, meinte Marker und ging bald auf die Pronominalsorgen von Trans-Personen und die Furcht vor rassistisch begründeten »Hassverbrechen« ein. Nicht alle Angestellten könnten die »Probleme der Welt« für acht Stunden am Tag außen vor lassen. Aber haben sich Fried und Hansson der Diskussion wirklicher Probleme verweigert? Nein, sie wollen nur nicht ewig weiter auf einer alten Kamelle von 2009 herumkauen.

Basecamp kann »gesellschaftliche Probleme« nicht lösen

Fried und Hansson gelten seit einigen Büchern zum Thema als Experten, wo es darum geht, ein produktives Arbeitsklima zu schaffen. Und das ist ohne Frage die Hauptvoraussetzung dafür, dass ein Start-up oder irgendein Unternehmen Erfolg hat. Nun sieht es beinahe so aus, als hätte sie ihr Glück verlassen – zwanzig Mitarbeiter haben sie zwischen der Skylla des Rassismus und der woken Charybdis verloren.

Ein Ex-Mitarbeiter wird zitiert: »Wir haben Menschen mit Meinungen eingestellt und eine Software mit Meinung [!] produziert, und jetzt sagt uns die Firma im Grunde ›eure Meinungen sind nicht wirklich wichtig‹ – es sei denn, sie haben einen Bezug zum Geschäft.« Eine Menge Leute würden große Schwierigkeiten mit diesem Reglement haben, prophezeit dieser Ex-Kollege. Aber vielleicht sind auch diese Leute das Problem, wie The Daily Wire nahelegt.

Fried hatte solchen Einwänden schon am 26. April erwidert, dass das Unternehmen vor allem für »Project Management, Team-Kommunikation und E-Mail-Software« verantwortlich sei. Was man bei Basecamp dagegen nicht lösen könne, seien »tiefgreifende gesellschaftliche Probleme« oder politische Tagesfragen. Hansson beharrte darauf, dass jeder Mitarbeiter natürlich eine politische Meinung haben und auch öffentlich kundtun konnte – nur der Arbeitsplatz sei eben nicht der richtige Ort für die Diskussion solcher Fragen.

Des Pudels peinlicher Kern

Und wem all das noch nicht peinlich genug war, dem sei der ursprüngliche Anlass der Vorgänge im Detail nacherzählt: Laut der Website Platformer ging es ursprünglich um eine Liste mit lustigen Kundennamen, die 2009 von Mitarbeitern bei Basecamp unter dem Titel »Best Names Ever« geführt wurde und sicher nicht für die Augen der Öffentlichkeit bestimmt war. Heute ist diese Liste den Beteiligten so unangenehm geworden, dass der Journalist Casey Newton ihnen keinen einzigen der Einträge entlocken konnte. Es seien Namen gewesen, wie sie Bart Simpson für Telephonscherze verwendet, so etwas wie Amanda Hugginkiss, Seymour Butz oder Mike Rotch … Oft sollen auch rassistische Obertöne mitgeschwungen haben.

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Mit der Weile lief die innerbetriebliche Diskussion um die Liste vollkommen aus dem Ruder. Einige der Mitarbeiter entschuldigten sich für ihre Beteiligung und verlinkten dazu die sogenannte »pyramid of hate«, wie sie von der Anti-Defamation League vertrieben wird. Darin geht es beispielsweise um Stereotypen und nicht-inklusive Sprache, die – so die Logik der Graphik – den Grundstein für Diskriminierung und am Ende sogar für rassistische Gewalt und Genozid bilden.

Hansson empfand den Vergleich der Lustige-Namen-Liste mit den Begriffen der Pyramide als dramatisierend (»catastrophizing«) und stellte von einem der Neomoralisten fest: »Du bist selbst die Person, über die du dich beschwerst.« Auch der Beschwerdeführer hatte sich einst in Chat-Nachrichten über lustige Namen ausgetauscht. Für Hansson war jedenfalls klar: Wer eine Lustige-Namen-Liste in eine »pyramid of hate« einordnet, der kann nicht an einer offenen Diskussion interessiert sein. Der Kontrast zwischen der Kinderei von 2009 und dem heiligen Ernst der heutigen ›Erweckten‹ zeigt, dass eine Beschränkung aufs Wesentliche nicht falsch sein muss.


 

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