Die Staatsanwaltschaft hatte gewarnt. In einer E-Mail an die Universitätsklinik Rotterdam (Erasmus MC) schrieb die Behörde, dass ein Medizinstudent ein „beunruhigendes“ und „psychotisches“ Verhalten gezeigt habe. Der 32-jährige Fouad L. habe halbnackt auf einem Laubhaufen gelegen und wie verrückt gelacht. Auf dem Handy seien Gewaltverherrlichungen und rechtsextremes Material sichergestellt worden. Die Staatsanwaltschaft äußerte Zweifel, dass eine solche Person Arzt werden sollte. Der Klinikleiter ordnete eine psychiatrische Untersuchung an. Obwohl Fouad L. alle Prüfungen bestanden hatte, erhielt sein Diplom nicht, solange diese abgeschlossen war.
Am Donnerstag tauchte Fouad L. dann in der Universitätsklinik auf. In Kampfmontur, in kugelsicherer Weste – und mit einer Handfeuerwaffe. Zuvor hatte er seine 39-jährige Nachbarin getötet und deren 14-jährige Tochter tödlich verletzt. In der eigenen Wohnung legte er Feuer, bevor er sich mit dem Rucksack aufs Motorrad schwang. Im Erasmus MC dringt er in einen der Unterrichtsräume ein, schießt auf den Universitätsdozenten. Jurgen Damen, 43 Jahre alt, ist das dritte Opfer an diesem Tag. Panik bricht aus, Personal, Patienten und Studenten laufen auf die Straße.
„Wir konnten es nicht fassen, dass es ein Student wie wir war“, sagt ein israelischer Student, der in einem Bewerbungsgespräch an dem Tag war. Ein anderer Student erzählt: „Zuerst gab es eine Schießerei im vierten Stock. Es wurden vier oder fünf Schüsse abgefeuert. Dann wurde ein Molotowcocktail in das Bildungszentrum geworfen.“ Weitere Augenzeugen berichten, er habe „Es ist Zeit“ gesagt, als er das Feuer auf Damen eröffnet.
Spezialisierte Sicherheitskräfte stürmen das Gebäude, Helikopter kreisen über den Tatort. Augenzeugen berichten von weiteren Schießereien, aber Verletzte und Tote gibt es keine mehr. Am Nachmittag nehmen die Beamten Fouad L. fest. Der Tatverdächtige zeigt sich gegenüber den Ermittlern kooperationswillig.
Der Fall Fouad L. steht nicht allein. Die deutschen Medien begrenzen sich bei der Berichterstattung auf das Wesentliche. Dabei wäre eigentlich ein „rechtsextremer Hintergrund“ genau das, auf was sich die Medien sonst als erstes stürzen würden. Mag es am Migrationshintergrund hängen – oder der frappierenden Ähnlichkeit zu Hanau? Das Narrativ, dass es sich bei Tobias Rathjen um einen rechtsextremistischen Attentäter gehandelt hätte, darf offenbar nicht ins Wanken geraten – obwohl dessen psychotische Veranlagung für jeden, der sich mit dem Fall auch nur kurz beschäftigt hat, offensichtlich ist. Die Fälle psychisch gestörter junger Männer mit Amok-Absichten mehrt sich, aber ein psychologisch-medizinisches Problem soll weiterhin ideologisch verklärt werden.
Fouad L. bekundete, als Araber der „Herrenrasse“ anzugehören, äußerte sich antisemitisch und abfällig über Schwarze. Aber Fouad L. schoss auch mit einer Armbrust auf Karpfen und Tauben, misshandelte sein Kaninchen und quälte seinen Hundewelpen – und stand deswegen schon vor Gericht. Er lebte verwahrlost zwischen Tierexkrementen. Nach Informationen des Newsportals Rijnmond hielt er sich für ein verkanntes Genie, das schikaniert werde. Andere Menschen betrachtete er als rückständig. Anzeichen von Verfolgungswahn und Größenwahn ziehen sich durch bisher veröffentlichte Berichte. Wieder eine Parallele zu Rathjen, zu dessen Opfern nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, sondern auch die eigene Mutter zählte: das Gefühl, eine messianische Sonderstellung zu besitzen.
Auslandsmedien, die zuerst über einen „Neo-Nazi“ berichtet hatten, der die Klinik gestürmt habe, sind mittlerweile, da mehr über den Hintergrund des Täters bekannt wird, stiller geworden. Ansonsten hat man den Eindruck, dass neuerlich ein Fall schnell wieder aus den Schlagzeilen verschwinden soll, der nicht in das festgefügte Weltbild jener passt, die sonst anderen eben jene unterstellen. Denn weder war Fouad L. ein rechtsextremistischer Attentäter, noch war ein Islamist.
Vielmehr sind Rotterdam und Hanau Anzeichen eines anwachsenden Problems, das mit den Angeboten der modernen Welt einen toxischen Mix ermöglicht. Fouad L. hatte keine Freundin, keine Freunde und nur noch Bezug zu einer Welt, die halb von virtuellen Inhalten, halb von den eigenen Wahnvorstellungen beherrscht war. Auch dieses Mal wird die Möglichkeit vorbeiziehen, die Tat als das zu ermessen, was sie ist, und unter Etiketten wie „psychisch krank“ oder „rechtsextrem“ verschwinden – vielleicht, mit Glück, noch garniert mit dem Hinweis auf den „Incel“-Status. Wie ein psychisch Verwirrter Einzeltäter an eine Waffe kommt, wieso nach all den Auffälligkeiten und Vorstrafen nichts passierte – das bleibt neuerlich zweitrangig. Man macht es sich einfach. Wie immer.