Tichys Einblick
Blamage auf den letzten Metern

Annalena Baerbock: Mit leerer Hand in Syrien

Auf ihrer womöglich letzten wichtigen außenpolitischen Reise blamiert Baerbock Deutschland und die EU. Der Traum eines neuen Syriens löst sich mit dem nicht gegebenen Handschlag von Islamistenseite auf. Die kurdischen Widerstandskämpfer, darunter viele Frauen, hat die feministische Völkerrechtlerin ans Messer geliefert.

picture alliance/dpa | Jörg Blank

Nicht nur in der Energiepolitik fährt der grüne Wille gegen die Wand der grauen Realität. Das Phänomen ist ermüdend beschrieben worden, dass diese Partei wie kaum eine andere der Theorie Vorrang gegenüber der Praxis einräumt. In der Migrationspolitik ist es nicht anders. In dem Fall kann man über die Weltverbesserer aus Berlin spotten, betrifft die Zerrüttung schließlich nur das eigene Land.

Anders sieht es in der Weltpolitik aus. Gerade dort glauben die Grünen, mit ihren eigenen Prinzipien dem Rest des Globus überlegen zu sein; eigene Arroganz, die nur wenig darüber hinwegtäuschen kann, dass man moralische Belehrungen gerade aus Deutschland in anderen Ländern aus historischen Gründen nicht so gerne hört. Peter Scholl-Latour brachte es so auf den Punkt: Wer aus dem Land der Holocaust-Täter kommt, sollte sich zurückhalten, andere Länder zu belehren.

Das hat weniger mit einer Kollektivschuld denn mit außenpolitischer Feinfühligkeit zu tun – und der Strategie, dass man langfristige Partnerschaften nicht darüber erreicht, zuerst einmal andere Länder davon zu überzeugen, dass die eigenen Werte die alleingültigen sind. Wenn es irgendeine Person auf außenpolitischer Ebene gibt, die den gegenteiligen Weg geht – dann ist es die deutsche Außenministerin.

Dazu gehört in erster Linie eine gewisse Portion mangelnder Empathie. Das Einfühlen in die Mentalität anderer Völker fehlte Annalena Baerbock schon vor ihrem Amtsantritt. Damals, vor drei Jahren, hat TE an eine Passage aus ihrem Buch erinnert, die ihr zukünftiges Agieren erahnen ließ. An dieser Stelle noch einmal Baerbocks Auftreten bei den Jesidenführern im Nahen Osten:

„Das Thema: das Schicksal vergewaltigter Jesidinnen und ihrer Kinder. Die Ansage der jesidischen Oberhäupter an die fremde Frau aus dem wohlhabenden Land ist klar: Eure Hilfe ist wie eine Paracetamol-Tablette gegen Krebs. Baerbock versucht vorzubringen, dass die vergewaltigten Frauen und ihre Kinder von den Jesiden wieder aufgenommen werden sollten. Ganz offensichtlich nimmt man die Forderung gar nicht wahr, kontert stattdessen, man solle endlich den Völkermord an den Jesiden international anerkennen. Noch einmal versucht Baerbock auf das Problem der verstoßenen Frauen aufmerksam zu machen. Die Jesiden sehen das offenbar als Übergriffigkeit an: Denn nicht nur nach jesidischer, sondern auch nach muslimischer Ansicht ist das Kind eines muslimischen Mannes ein Muslim. ‚Wir können nicht‘, sagt einer. Die Problematik sei nicht nur kulturell, sondern auch rechtlich so verankert. Für weitere deutsche Hilfe müssten die Jesiden sich eben ändern. ‚Sie als jesidische Gemeinde müssen da vorangehen, ein moralisches Signal geben, und diese Kinder anerkennen‘, gibt der Spiegel das Gespräch wieder.“

Baerbock begreift weder die patriarchalische Kultur noch ihren Status als Gast, der sein Gastrecht weit überschreitet. In westlich-aufklärerischer Manier möchte sie den Primitiven erklären, was Vernunft ist und wie man zu dieser gelangen kann. Der weibliche Voltaire aus Potsdam holt noch weiter aus: „Bei allem Respekt vor der jesidischen Kultur war es mir ein Bedürfnis, die Not der Frauen anzusprechen. (…) Ich fragte: ‚Wenn die Kinder und damit auch die Frauen aus der Gemeinschaft ausgeschlossen bleiben, hätte dann der IS nicht erneut genau das erreicht, was er wollte?‘“

Insofern ist es eine bemerkenswerte Tatsache, dass ausgerechnet Baerbock glaubt, die geeignete Kandidatin zu sein, um als erste europäische Außenministerin mit der neuen syrischen Regierung zusammenzutreffen. Dem Besuch liegen zwei Illusionen zugrunde. Die erste: Deutschland, und insbesondere Annalena Baerbock, ist eine wichtige Kraft in der Region. Diese Illusion ist weit weniger gefährlich – denn ohne Treffen wäre der Einfluss noch marginaler. An dieser Situation kann Deutschland aktiv arbeiten, sie ändern.

Die zweite, deutlich gefährlichere Illusion ist diese: Baerbock sagt und glaubt das, was deutsche Politik und deutsche Medien bezüglich der syrischen Situation postulieren. Wie der gesamte Westen spielt sie bei der Verharmlosung des neuen islamistischen Regimes in Damaskus mit. Auch sie redet von einem „Neuanfang“ – den hat es in Afghanistan beim Abzug der US-Amerikaner bekanntlich auch gegeben, allerdings unter den Taliban.

Als verstörend, wenn nicht zerstörerisch, muss man ihren Aufruf einordnen, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) zu entwaffnen. Seit Jahren leistet die YPG Widerstand gegen islamistische Kräfte, namentlich den IS, und kontrollierte auch arabische Gebiete im Norden. Da aber Baerbock der Ansicht ist, dass es mit dem Machtwechsel in Damaskus nun eine legitime Regierung gäbe, hat der Mohr seinen Dienst getan, und die YPG soll sich unterordnen – jenen Dschihadisten, gegen die sie jahrelang und entbehrungsreich gekämpft hat. Währenddessen rücken türkische Einheiten Richtung Kobanê vor.

Die Völkerrechtlerin hat damit die Kurden ans türkische Messer geliefert. Rund 2.000 US-Soldaten, offizielle Verbündete der Kurden, stehen weiterhin zur Ölquellensicherung in Nordostsyrien. Hat es das Auswärtige Amt verpasst, hier auch die „anderen“ Verbündeten zu konsultieren, statt sich auf den unberechenbaren Machthaber in Ankara zu fokussieren? Auch hier schlägt die Theorie die Realität: Der Wunsch, dass mit dem Sturz Assads alle Probleme wegfallen, manifestiert sich in dem kindischen Appell, nun müssten sich alle den neuen Leuten in Damaskus unterordnen, dann käme schon alles ins Lot.

Die YPG ist dafür bekannt, dass es dort eine eigene Frauenkampftruppe gibt. Sie können sich nicht auf feministische Außenpolitik und Frauenrechte verlassen. Sie setzen ihre Sicherheit mit dem Gewehr durch. Das ist die harte Realität. Appelle für Frauenrechte helfen nicht in einer Gegend, wo es noch vor wenigen Jahren Volkssport war, Nicht-Musliminnen zu quälen und zu vergewaltigen.

Baerbocks Reise begann daher bereits unter keinem guten Stern. Es kam zusammen, was zusammenkommen musste. Der Realitätsschock begann, als sie sich mit dem neuen starken Mann Ahmed al-Scharaa traf. Handschlag gab es nur mit dem französischen Amtskollegen Jean-Noël Barrot. Der einst unter dem Namen al-Dscholani bekannte Milizenführer verweigerte der Außenministerin den Händedruck.

Nach Habecks Bückling also Baerbocks leere Hand. Der Wirtschaftsminister kommentierte die Lage so: „Wenn wir uns nur mit Regierungen treffen würden, die genauso denken wie wir, wären wir ziemlich allein.“ Spitzer, wenn auch treffender, die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel: „Es lebe die feministische Außenpolitik!“

Verwundert hat das offenbar vorerst nur diejenigen, die dem Islamistenwolf im Schafspelz bisher trauten. Danach begann es bei Baerbock zu rattern. Zügig ließ sie in der ARD verlauten: „Wir werden natürlich nicht als Europa ein Geldgeber für eine Islamisierung einer Gesellschaft sein.“ Und: „Wo Frauenrechte mit Füßen getreten werden, ist niemand frei in einer Gesellschaft.“

Die EU und Deutschland sind düpiert worden – oder haben sie sich selbst blamiert? Es gehört vonseiten Brüssels wie Berlins Unvermögen wie Naivität dazu, einem weltweit bekannten Islamisten eine Frau als Vertreterin entgegenzustellen; man bringt sich damit selbst in eine schwächere Position. Annalena Baerbock ist nicht Oriana Fallaci. Sie ist auch nicht Mina Ahadi. Sie kennt den Gegner nicht, weil sie nicht das Böse kennt. Das ist eben keine moralische Angelegenheit; das ist das Wissen um moralische Abgründe, und wie man mit ihnen umgeht. Mit Sonntagsreden, Absichtserklärungen oder im Nachhinein zelebrierter Revisionsrhetorik ist da wenig getan.

Baerbocks Reaktion speist sich daher eher aus persönlicher Beleidigung denn aus politischer Einsicht. Ihre Konsequenzen bleiben hinter den Möglichkeiten zurück, weil der Kontext für die Außenministerin abstrakt bleibt. Bei den versprochenen Frauenrechten können die kurdischen Milizkämpferinnen, die Baerbock entwaffnen will, nur müde lächeln. Sie werden weiterhin kämpfen, während die Grüne ihren hoffentlich letzten Wahlkampf als Außenministerin führt. Deutschland wie Syrien wäre es zu wünschen.

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