Wochen nach dem Regierungsantritt der linksliberalen Koalition von Donald Tusk lassen sich bereits einige Grundmuster seiner Politik herausschälen. Spätestens nach der Berichterstattung über seinen Antrittsbesuch beim Bundeskanzler wurde ersichtlich, dass sich die polnische Medienlandschaft nach nur wenigen Wochen nahtlos in das im Westen vorhandene grün-linke Meinungsklima einfügt. Dass die deutsche Ampelregierung diese Konsonanz von vornherein als ganz sachangemessen empfindet, kommt nicht wirklich überraschend. Die von Tusk anvisierte Medien-, Migrations-, Klima-, Familien- und Wirtschaftspolitik passt einwandfrei zu jenen Politikansätzen, die in Berlin und Brüssel für zielführend gehalten werden.
Nein, die Erklärungen deutscher Journalisten lassen solche Befunde nicht zu. Die kriminelle Energie, mit der Sienkiewicz die Kontrolle über die Staatsmedien übernommen hat, wird an der Spree als eine „rasch zupackende und durchsetzungsstarke Regierungspolitik“ wahrgenommen. Der personalpolitisch umgesetzte „Gestaltungswille“ der an die Macht gekommenen Tusk-Regierung wird als „mutig“, der Ministerpräsident selbst als „tatkräftig“ gelobt. Wer morgens eine herkömmliche deutschsprachige Zeitung aufschlägt, wird nicht erfahren, dass wir es in Polen gerade mit einer autoritären Abweichung von einer auf Konsens ausgelegten Verhandlungsdemokratie zu tun haben. In Polen wird kein „demokratischen Umbau“ vollzogen, sondern der Aufbau einer linken Diktatur.
Recht- und Straflosigkeit konnte deshalb ungehindert zum Funktionsprinzip seiner Regierung werden, weil die ausgemachten Widersacher nicht in Berlin, Paris oder Brüssel, sondern auf den heimischen Oppositionsbänken sitzen. So durfte auch der neue Justizminister Adam Bodnar sofort einer Entlassungswelle in seinem Ressort zustimmen, zu der er teilweise gesetzlich gar nicht befähigt war. Über das gewaltsame Eindringen in das Büro des Staatsanwalts Dariusz Barski wird der deutsche Leser ebenso wenig erfahren haben. Wie soll er auch? Wir dürfen nicht vergessen, dass nicht wenige westliche Journalisten des Polnischen unkundig sind und viele Wissensbestände und Einschätzungen englischsprachigen Texten oder privaten Berichterstattungen der eigenen polnischen Ehefrauen verdanken, die ohnehin mit der Bürgerplattform (PO) sympathisieren. Im heimischen Wohnzimmer wird zumeist auf Quellenkritik verzichtet und einfach entlang eigener Argumentationsinteressen zusammengefügt, was sich zweckbezogen auffinden lässt.
Vor seinem Regierungsantritt im Dezember versprach Donald Tusk seinen Wählern, er werde alle von der PiS geführten Institutionen mit einem „Stahldrahtbesen“ reinigen. Sogar die Putz- und Klofrauen müssten um ihre Jobs fürchten, sofern sie heimlich für Kaczyński schwärmten. Noch vor Weihnachten, so der damalige Oppositionsführer, würden wir in einem „neuen“ Polen aufwachen. Seine „Reinigungsaktion“ verlief dann aber tatsächlich langsamer, als es sich seine Fans in Brüssel erhofft hatten. Die offenbar illegal inhaftierten PiS-Abgeordneten Mariusz Kamiński und Maciej Wąsik wurden von Präsident Andrzej Duda begnadigt. Nach der rechtlich umstrittenen Auflösung von TVP, PAP und Polskie Radio kam es zu Protesten, die der neuen PO-Belegschaft den Arbeitsantritt erschwert hatten. Auf den gewaltsam entrissenen Chefsesseln im Rundfunk nahmen Personen Platz, die plötzlich mit amateurhaften und qualitativ fragwürdigem Journalismus auf sich aufmerksam machten. Wer über Silvester wirklich nicht mitbekam, mit welcher Brutalität die neuen medialen Drahtzieher vorgingen, der lebte emotional und intellektuell auf einer unbewohnten Insel.
Der Zeitpunkt der jüngsten „Reinigungsaktionen“ in der polnischen Justiz war nicht ganz zufällig. Nach der Übernahme der Staatsmedien wurden einige Ermittlungsverfahren angekündigt, die auf diese Weise wohl im Keim erstickt werden sollten. Tusk steht vor einem Dilemma: Er ahnt bereits, dass die ihm nachgesagte Rachsucht und brachiale Gewalt, mit der er die staatlichen Institutionen derweil kontrolliert, nicht bei all seinen Wählern gleichermaßen gut ankommen. Beim TVP gab es bereits erste Kündigungen, weil einige neue Reporter offenbar die Umstände des „Personalwechsels“ nicht verkraftet hätten. Jeder rechtlose Schritt greift in den nächsten. Umkehren kann Tusk jetzt aber auch nicht mehr. Das wäre ungefähr so, als würde Putin von einem Tag auf den anderen kapitulieren und freiwillig die Krim verlassen. Gleichzeitig erkennt er, dass seine Beliebtheit in den Umfragen weiter sinken könnte. Seine einstigen Weggefährten wie Andrzej Olechowski behaupten, er verdecke mit seinem „Schwarz-Weiß-Denken“ sowie den immer wieder aufgegriffenen Stahldrahtbesen- und Liebes-Metaphern seine programmatische Orientierungs-, Ideen- und Tatlosigkeit. „Die Kommunisten haben in ihrer Spätphase ebenfalls unaufhörlich über Liebe gesprochen. Da haben sie den Karren aber schon längst an die Wand gefahren“, meint Olechowski.
Das linksliberale Rückgrat der EU ist allerdings mittlerweile etwas brüchig geworden. Noch glauben die linksgrün gefärbten Propagandisten an eine unbezweifelbare Unfehlbarkeit der eigenen Deutungsmaßstäbe und moralische Überlegenheit der eigenen Position. Noch dürfen sie ihre vertraglichen festgelegten Kompetenzen überschreiten, mit unverhohlener Arroganz und Verachtung die angebliche Objektivität des eigenen Urteils betonen und willkürlich gegen Staaten vorgehen, die es sich erdreisten, auf dem Vorrang nationalstaatlicher Entscheidungen zu beharren. Nach den EU-Parlamentswahlen im Frühling könnte aber eine neue europäische Landschaft aufblühen. Linke Mafiosi dulden vielleicht die aktuellen Rechtsbrüche in Polen, aber tun dies dann auch konservative Kräfte, die womöglich schon bald an längeren Hebeln sitzen? Donald Tusk wird es wahrscheinlich ohnehin egal sein. Er wird wieder im Ausland sein, auch wenn zahlreiche PO-Wähler diese angeratene Zurkenntnisnahme seiner Absichten jetzt noch als eine persönliche Zumutung erleben würden.