Tichys Einblick
Viel Lob – viele nicht gestellte Fragen

Angela Merkel sagt „Shalom“ zu Israel

Bei ihrem Abschiedsbesuch in Israel betont Angela Merkel erneut, dass Israels Sicherheit Teil deutscher Staatsräson sei. Niemand fragte, wie Deutschland diese Sicherheit garantieren will – angesichts der Zuwanderung von Muslimen nach Deutschland seit 2015 sowie des erbärmlichen Zustands der Bundeswehr.

Die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel legt am 10. Oktober 2021 einen Kranz in der Gedenkhalle von Yad Vashem nieder.

IMAGO / Xinhua

Am letzten Wochenende haben in Jerusalem zwei Frauen „Shalom“ zu Israel gesagt. Angela Merkel, Deutschlands Bundeskanzlerin am Ende ihrer Amtstage, und Khawla Al Shaer, eine junge Pharmazeutin aus Bahrein. Die beiden kennen sich nicht, stammen aus unterschiedlichen Kulturen und altersmäßig aus verschiedenen Generationen. Aber beide haben etwas gemeinsam: Sie nutzen das Jahrtausende alte Wort Shalom (Frieden), das in Israel „auf Wiedersehen“, „Servus“ oder „Tschüss“ heißt, aber auch als „Grüß Gott“ oder „guten Tag“ gebraucht wird. Merkel, die Israel zum siebten Mal besucht, sagt als auslaufende deutsche Regierungschefin „auf Wiedersehen“. Khawla, die mit einer Delegation aus Israels neuem Partnerstaat im Arabischen (Persischen) Golf zum ersten Mal auf dem Ben-Gurion-Flughafen gelandet ist, grüßt Land und Leute.

Beide besuchen die nationale Holocaust-Gedenkstätte „Yad Vashem“. Merkel als Repräsentantin des Volkes der Täter. Khawla hört, sieht und fühlt zum ersten Mal, was dem Volk des neuen Partnerstaates zwischen 1933 und 1945 widerfahren ist. Man erwähnt ab und zu den Holocaust in den arabischen Golfstaaten, aber es macht einen Unterschied, mit den Nachkommen der Opfer zu reden, erzählt sie begleitenden Journalisten. Die Abraham Accords haben das möglich gemacht. Initiiert vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump, akzeptiert vom Ex-Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu, hat Israel vier neue Partner – VAE, Bahrein, Marokko und Sudan. Beide Politiker sind inzwischen Geschichte, aber ihr Vertragswerk blüht und gedeiht.

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Merkel legt in Yad Vashem zum siebten Mal einen Kranz nieder und senkt würdevoll ihr Haupt. Anschließend bekommt sie von Israels weltbekannter technischen Hochschule „Technion“ in Haifa die Ehrendoktorwürde verliehen. Die Worte des Lobes wollen schier kein Ende nehmen. Israel ist ein höfliches Land; hier weiß man, was sich gehört. Aber die Abraham Accords bleiben unerwähnt. Sonst hätten die Namen der Initiatoren hervorgehoben werden müssen. Und das wäre für den Gast aus Berlin bekanntermaßen eine Zumutung gewesen.

Es wurde viel gelächelt zwischen der Bundeskanzlerin und ihren Gastgebern in Jerusalem, aber für die beiden für Israel bedrohlichen Themen Iran und Palästina-Konflikt gibt es keine Verständigung. Merkel redet nach wie vor von der Zwei-Staaten-Lösung. Ministerpräsident Naftali Bennett nennt einen Palästinenser-Staat „sieben Minuten von meinem Wohnsitz entfernt“ einen Terrorstaat. Und während Merkel eine Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Teheran propagiert, wurde Israels Ministerpräsident überdeutlich: Die Welt wartet, Iran nutzt die Zeit und die Zentrifugen (für die Uran-Produktion, Anm. d. Red.) drehen sich (Bennett: „the world is waiting, and the Iranians are killing time, and the centrifuges are spinning”).

Kein Platz für Besuch der Klagemauer in Merkels Programm

Ein Treffen mit dem langjährigen Ministerpräsidenten und heutigen Oppositionsführer Netanyahu – eigentlich üblich zwischen demokratischen Staaten – entfällt. Aber sowohl Gast als auch Gastgeber passt das ins politische Konzept. Die Bundeskanzlerin hätte sich bedanken müssen, dass in der Regierungszeit Netanyahus Israel sechs U-Boote und vier Corvetten für mehrere Milliarden Euro bei Thyssen in Kiel bestellt und – wenn auch mit einem begründeten Preisnachlass – bezahlt hat. Damit hat Israel Arbeitsplätze in der kränkelnden Schiffsbau-Branche gesichert und gemeinsam mit deutschen Ingenieuren moderne Technologie entwickelt.

Im Gegensatz zu Merkel hat sich Khawla mit ihrer achtköpfigen Delegation in erkennbarer arabischer Kleidung in Jerusalem unters Volk gemischt. An der Westwand der 2000 Jahre alten Tempelmauer wurden die Gäste aus Bahrein von orthodoxen und säkularen Israeli herzlich begrüßt, umarmt und zu Selfies aufgefordert. Wir werden nie erfahren, ob die ausscheidende Bundeskanzlerin Ähnliches erlebt hätte. Ein Besuch an Israels heiligster Stätte fand keinen Platz in ihrem Programm. Die Tempelmauer liegt im Osten der Stadt. Palästinenser hätten das als Affront angesehen, und es wäre vielleicht zu Fernsehbildern gekommen, die man der ausscheidenden Bundeskanzlerin ersparen wollte.

Man blieb in Wort und Tat an der freundlichen Oberfläche, ging nur in die Tiefe, wenn es um die gemeinsame leidvolle Geschichte ging. Zukunft wurde detailliert angesprochen, wenn es um die Bekämpfung des Antisemitismus ging. Aber niemand fragte – zumindest nicht öffentlich –, wie Antisemitismus bekämpft werden kann und soll, wenn in der Regierungszeit Merkels ab 2015 zwei Millionen zum nicht unerheblichen Teil aggressive, Israel hassende Muslime unkontrolliert nach Deutschland eingereist sind. Das vorläufige Ergebnis: Syrer sind heute in Deutschland nach Polen und Türken die drittgrößte Minderheit.

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Darf deshalb in der Domstadt Köln der Muezzin rufen? Dürfen deshalb extremistische Muslime in Berlin zu „Alu Akbar-Juden-ins-Gas“-Geschrei öffentlich tanzen – und die Polizei schaut machtlos zu? Fakten, die in Jerusalem registriert sind, aber an diesem Sonntag geflissentlich verdrängt wurden.

Eine Aussage aus Merkels Vergangenheit war während ihres Abschiedsbesuchs in Jerusalem auch in die Zukunft gerichtet. Aber auf diese Zukunft hat sie keinen Einfluss mehr: „Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson.“ Niemand fragte, wie Deutschland diese Sicherheit überhaupt garantieren könnte. Die Wehrpflicht ist unter Merkels Ägide abgeschafft, die Bundeswehr befindet sich in einem erbärmlichen Zustand, Landesverteidigung ist zu einem inhaltsleeren Begriff gediehen, für die Masse der Jugend gar ein Unwort. Zum Glück benötigt Israel keine Soldaten aus Berlin, wie die letzten 73 Jahre eindrucksvoll beweisen.

Dann traf Merkel auch noch Unternehmer der erfolgreichen israelischen High-Tech-Branche und erfuhr dabei, dass in den ersten neun Monaten dieses Jahres 17,5 Milliarden US-Dollar weltweit in israelische Start-Ups geflossen sind. Und wie schaut es in Deutschland aus? Kasper Rorsted, Adidas-Vorstandsvorsitzender, hat diese Frage aktuell beantwortet: „Bei der Digitalisierung sind wir in Deutschland nirgendwo, das haben wir in der Pandemie gesehen. Viele Kinder haben keinen Unterricht bekommen. Bei der Bildung und Digitalisierung hat die Regierung Merkel über drei Perioden komplett versagt“ (NZZ 9.10.21).

Angela Merkel hat aber auch Humor. Als Bennett sein Kabinett vorstellte und die neue Acht-Parteien-Koalition von ganz Links bis Rechtsaußen lobte, erinnerte sich die Bundeskanzlerin, was sie in Berlin angerichtet hat und als Erbe hinterlässt: Im Vergleich mit Ihrer Regierung erscheint eine deutsche Koalitionsregierung ein Kinderspiel (“Compared with your government, a German coalition government seems a very simple matter”).


Godel Rosenberg war von 1978 bis 1988 Pressesprecher der CSU und Medienberater des CSU-Vorsitzenden, Ministerpräsident Franz Josef Strauß. Rosenberg ist Journalist, Buchautor und High-Tech-Unternehmer, lebt seit 1999 in Israel und besitzt beide Staatsangehörigkeiten.

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