Es war eine verhältnismäßig bescheidene Notiz in der Washington Post, die am 12. November eine Serie großer und prominenter Geschichten beendete: “The Washington Post”, heißt es dort, “unternahm am Freitag den ungewöhnlichen Schritt, große Teile von zwei ihrer Artikel, veröffentlicht im März 2017 und im Februar 2019, zu korrigieren und zu entfernen, die einen belarussisch-amerikanischen Geschäftsmann als Schlüsselquelle des ‚Steele Dossier‘ identifizieren, eine Sammlung von größtenteils unbestätigten Berichten, die behaupteten, die russische Regierung besitze kompromittierendes Material über den damaligen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump.”
WP-Herausgeberin Sally Buzbee erklärte, die Zeitung könne „nicht mehr an der Richtigkeit dieser Elemente der Story festhalten”.
Mit dieser ziemlich kryptischen Erklärung in eigener Sache beerdigte die Washington Post ein Narrativ, das gut vier Jahre lang Politik, Medien und Öffentlichkeit in den USA und darüber hinaus aufwühlte und eine der zentralen Anschuldigungen gegen Donald Trump bildete: die sogenannte „Russian Collusion“. Unter diesem Oberbegriff verbreiteten Medien und Politiker der Demokraten in immer neueren Varianten die Unterstellung, Trump befinde sich in der Hand der russischen Führung, die Erpressungsmaterial gegen ihn besitze. Der Präsident handle deshalb im russischen Auftrag gegen amerikanische Interessen. Der US-Präsident ein Sachwalter einer fremden Atommacht – diese Beschuldigung traf Trump wie kaum etwas anderes.
Die Verdächtigung stützte sich von Anfang an auf den sogenannten „Steele Report“, ein Dossier, das die Firma des früheren britischen Geheimdienstlers Christopher Steele 2016 im Auftrag des damaligen Wahlkampf-Unterstützerteams von Hillary Clinton fabriziert hatte. Den Wahlkampf 2016 beeinflusste der Report kaum – er entfaltete erst seine Wirkung während Trumps Präsidentschaft. Dann allerdings bildete er die Grundlage für Hunderte Medienbeiträge, die immer wieder die Erzählung von dem russischen Einfluss auf Trump variierten – obwohl der Report lediglich auf anonymen Quellen beruhte und darüber hinaus keine handfesten Belege auftauchten. Die Redaktionen der Washington Post und der New York Times erhielten 2018 den Pulitzer-Preis für ihre „tief auf Quellen gestützte und unerbittliche Berichterstattung“ über die „Russian Collusion“.
Die Flut der Berichte und der politische Druck der Demokraten führten zu einer offiziellen Untersuchung des FBI. Auch für viele deutsche Medien war es eigentlich kaum eine Frage, ob Russland Trump beeinflusst, sondern eher, wann er endlich darüber stürzen würde. „Die Affäre, die Trump nicht loslässt“, titelte etwa der Spiegel.
Dass Trump die Beschuldigungen wütend zurückwies und als „fake news“ bezeichnete, galt sowohl vielen Journalisten in den USA als auch in Deutschland als Bestätigung für ihre Richtigkeit. Als die umfangreiche Untersuchung des FBI keine Belege zutage förderte, hieß es von den Kommentatoren: Die Ermittler hätten aber auch nicht bewiesen, dass die Vorwürfe nicht stimmten.
Erst nach der Wahlniederlage Trumps kam etwas mehr Licht in den Ursprung des Steele-Reports. Mittlerweile erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Datenanalysten Igor Danchenko, der zum einen als eine der Hauptquellen des damaligen Dossiers gilt und zum anderen unter dem dringenden Verdacht steht, das FBI in entscheidenden Punkten belogen zu haben. So sagte er gegenüber den Ermittlern aus, er habe in der Sache keinen Kontakt mit führenden Wahlkampfhelfern der Demokraten gehabt. Den unterhielt er nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft doch: und zwar zu dem Politiker Charles Dolan Jr. Außerdem soll Danchenko eine für den Report wichtige Belastungsquelle kurzerhand erfunden haben.
Im Vergleich zu der gewaltigen Russian-Collusion-Berichterstattungswelle nahmen US-Medien nur wenig Notiz davon, dass die Washington Post nicht mehr an ihrer preisgekrönten Berichterstattung festhält. Die New York Times versuchte, den weitgehenden Zusammenbruch der Russland-Trump-Behauptungen als ganz allgemeine Mediengeschichte zu deuten, als ginge es nur um ein Missverständnis: „How Did So Much Of The Media Got The Steele Dossier So Wrong?“, fragt ein Kommentator der New York Times.
In Deutschland fand die Anklage gegen Danchenko bisher so gut wie keinen Widerhall. Die Berichterstattung von TE bildete eine Ausnahme in der Medienlandschaft. Auch von der Erklärung der Washington Post, große Teile der Geschichte seien nicht mehr haltbar, nahmen die allermeisten Blätter und Sender in Deutschland keine Notiz.
Der Prozess gegen Danchenko, der die Vorwürfe bestreitet, soll voraussichtlich im April 2022 stattfinden. Der britisch-amerikanische Journalist Andrew Sullivan schrieb in einem längeren Essay auf seiner Plattform The Daily Dish über das Russland-Trump-Narrativ und andere ähnlich gelagerte Fälle extrem einseitiger Berichterstattung: „Was es aber besorgniserregend macht, ist der Umstand, dass all diese falschen Narrative den Interessen der Linken und der Demokratischen Partei dienen. Und Berichtigungen, falls es dazu kommt, nehmen nur einen Bruchteil der ursprünglichen Falschbehauptungen ein. Es handelt sich nicht um irgendwelche randständigen Leute, die falsche Gerüchte twittern. Sondern um die etablierte Presse.”