Tichys Einblick
Eiliger Gehorsam

EU zu Venezuela-Krise: Mit Chaos und Inkompetenz auf die Weltbühne

Die EU will auch in Südamerika mitmischen: Venezuela hat zurzeit zwei Präsidenten. Beide mit eher wackliger Legitimation. Blick auf das Chaos im sozialistisches Land - und was Brüssel und Heiko Maas so anrichten.

YURI CORTEZ,FEDERICO PARRA/AFP/Getty Images

Präsident Maduro und der Chavismus, oder der sogenannte bolivarische Sozialismus des 21. Jahrhunderts, haben Venezuela ins Elend gewirtschaftet. Obwohl das Land auf dem grössten Ölsee der Welt sitzt, ist es bis über beide Ohren verschuldet, kann Kredite nicht mehr bedienen, hat kein Geld für Importe von Lebenswichtigem wie Nahrung oder Medikamente. Über Jahre hinweg bedienten sich Mitglieder der Führungsschicht um Maduro und in der Armee in einer Art, die selbst im korrupten Lateinamerika neue Rekorde aufstellte. Es geht um Milliarden Dollar, Multimilliarden, die in den Taschen korrupter Führer verschwanden.

Im Mai letzten Jahres wurde Maduro erneut zum Präsidenten Venezuelas gewählt. Die zerstrittene Opposition forderte zum Wahlboykott auf. Die Legitimität dieser Wahl wird vor allem dadurch in Frage gestellt, dass bei den Parlamentswahlen von 2015 Maduro die Mehrheit im Senat verlor. Statt sich in einer Kohabitation, wie sie auch schon in Frankreich praktiziert wurde, zu arrangieren, liess Maduro durch das regierungshörig gemachte Verfassungsgericht schlichtweg alle Gesetzesbeschlüsse des Parlaments für ungültig erklären.

Weil das ja auch kein Dauerzustand sein konnte, ersetzte Maduro daraufhin das Parlament durch eine «verfassungsgebende Versammlung». Per Dekret, und in offensichtlich manipulierten Wahlen besetzten Regierungsanhänger 538 Sitze von 545, die im Sozialismus üblichen 99 Prozent. Diese Versammlung entzog daraufhin dem gewählten Parlament faktisch alle Befugnisse, schmiss es aus dem Parlamentsgebäude und verlangte Unterwerfung, die nicht erfolgte.

Seit August 2017 existiert dieser absurde Zustand, während das Land weiter in den Abgrund schlitterte; unmässige Bereicherung auf der anderen Seite, Hunger, unbehandelte Krankheiten und Massenflucht auf der anderen Seite. Allerdings, und das könnte sich als sein entscheidender Fehler erweisen, löste Maduro das Parlament nie auf und jagte auch die Parlamentarier nicht zum Teufel. Offensichtlich hatte Maduro nicht erwartet, dass kurz nach seiner offiziellen Amtseinführung als Dauerpräsident im Januar dieses Jahres eine überraschende Gegenreaktion erfolgte. Offensichtlich fühlte sich Maduro zu sicher, da viele Oppositionelle im Knast sitzen, die Möglichkeiten, sich Öffentlichkeit zu verschaffen, eher gering sind, ein kubanisch trainierter Überwachungsapparat herrscht und die Opposition traditionell zerstritten ist. Zudem befördert es nicht gerade aufmüpfige Aktionen, wenn die grosse Mehrheit der Bevölkerung in langen Schlangen anstehen, zu Hause darauf warten, dass alle drei Tage mal die Wasserversorgung in Caracas eingeschaltet wird oder die erratische Stromzufuhr ausnützen muss.

Aber wie ein Phönix aus der Asche erschien da Juan Guaidó, der neu gewählte Parlamentspräsident. In einer eher kühnen Interpretation der venezolanischen Verfassung erklärte er Maduro zum illegalen Präsidenten, daher sei dieses Amt nicht besetzt, daher sehe die Verfassung für diesen Fall vor, dass der Parlamentspräsident einspringt, was er hiermit tue. Offensichtlich war diese Aktion zumindest mit den USA koordiniert; denn nur Minuten später twitterte Donald Trump bereits, dass er Guaidó als legitimen Präsidenten anerkenne. Dem folgten viele lateinamerikanische Staaten, mit der Ausnahme von Mexiko, Nikaragua, Bolivien und Kuba. Während Venezuelas wichtigste Verbündete, China und Russland, Maduro ihre Unterstützung zusagten.

Während offensichtlich innerhalb und ausserhalb Venezuelas vom jugendlichen und mutigen Auftritt Guaidós beeindruckt sind, weiss man nicht viel über seine politischen Überzeugungen oder Prinzipien. Der 35-Jährige ist Mitglied der Partei Voluntad Popular, die erst 2009 als Oppositionsbewegung zu Chávez gegründet wurde. Ihr Parteichef, Lepoldo López, sitzt seit 2016 eine 13-jährige Gefängnisstrafe ab; wegen «Anstiftung zu Gewalt und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung». Voluntad Popular ist seit 2014 Mitglied der Sozialistischen Internationale.

Alles in allem eine gefährliche Gemengelage. Inzwischen haben die USA Maduro an seinem empfindlichsten Körperteil gepackt: seinem Portemonnaie. Denn die USA – was alle Verschwörungstheorien, dass die Misere in Venezuela das Ergebnis einer imperialistischen Politik aus dem Norden sei, ins Reich der Fantasie verweist – sind der wichtigste Abnehmer für das einzige Exportprodukt Venezuelas, Erdöl. Das wollen sie auch weiterhin kaufen, aber die Bezahlung auf Sperrkonten umleiten, auf die Maduro nicht, Guaidó hingegen schon Zugriff hat. Die Frage ist, wie schnell das der Herrschaft Maduros den finanziellen Boden unter den Füssen wegzieht. Noch entscheidender ist, auf welche Seite sich das Militär schlägt. Guaidó umgarnt es geschickt mit einem umfassenden Amnestie-Angebot, Maduro zeigt sich markig an der Seite führender Militärs, die ihm ewige Treue schwören. Es ist in Lateinamerika geradezu Praxis, dass das Militär immer wieder putscht; nicht allzu selten von den USA unterstützt. Aber: Es putscht, um selber die Macht zu übernehmen. Noch niemals hat das Militär zwischen zwei Präsidenten die Fronten gewechselt.

Angesichts dieser komplizierten Situation gibt es intelligente und dumme Reaktionen, und dann gibt es die EU. Zunächst preschen einzelne Staaten vor, darunter natürlich auch Deutschland. Und verlangen von Maduro die Ankündigung von Neuwahlen, innerhalb von acht Tagen. Sonst würde Guaidó als legitimer Interims-Präsident anerkannt. Eine zumindest befremdliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates. Begründet wurde es damit, dass Maduro nicht über eine demokratische Legitimation als Präsident verfüge. Interessant, man wartet gespannt, bis die gleichen Länder ein ähnliches Ultimatum an China oder Russland stellen. Oder an Saudi-Arabien.

Aber es wäre nicht die EU, wenn sie das nicht noch schlimmer könnte. Das Europaparlament, also die Versammlung von Eunuchen, die nicht einmal Gesetze auf den Weg bringen können oder die Legislative wählen, will offensichtlich ein Zeichen setzen und anerkennt Guaidó bereits vor Ablauf des Ultimatums als Präsidenten Venezuelas. 439 Spesenritter, Pardon, Parlamentarier votierten dafür, 104 dagegen, und 88 konnten sich nicht entscheiden. Damit führt die EU mal wieder die übliche Kakophonie auf. Mehrere EU-Staaten wie Deutschland, Spanien, Frankreich stellen mal ein Ultimatum. Andere Saaten wie Griechenland, sozusagen ein gebranntes Kind, sind dagegen.

Abgesehen davon, dass Maduro nun nicht nur behaupten kann, dass Guaidó ein bezahlter Büttel im Dienst des Yanqui-Imperialismus sei, sondern dass die USA-hörige Kern-EU eilfertig den Imperialisten zur Seite eilt, hat sich die EU damit jede Chance verstolpert, allenfalls vermittelnd eingreifen zu können. Mexiko hat das viel intelligenter gemacht. Es nimmt vorläufig keine Stellung, sondern bietet seine Dienste als Vermittler an. Denn die Situation in Venezuela kann jederzeit explodieren. Den USA wäre ein Blutbad eher egal, die EU hat sich ins Abseits manövriert. Bleibt also die Frage, ob Maduro und seine Entourage das in Kauf nehmen wollen und ob das Militär zu Diensten wäre. Und was China und Russland bereit sind, zu unternehmen, um ihre Milliardenkredite an Venezuela zu schützen.
Also sind alle wichtigen Player der Welt im Spiel. Ausser der EU, die einmal mehr zeigt, dass sie nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch dysfunktional ist. Oder weniger höflich ausgedrückt: ein unfähiger Haufen, wankend und schwankend wie ihr oberster Repräsentant.

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