Die große Migrationskrise 2022 ist abgesagt. So könnte man die jüngsten Einlassungen Nancy Faesers im Bundestag zusammenfassen. Einen Punkt, den sie „nicht in Ordnung“ fand, sprach Faeser letzte Woche im Bundestag gleich zu Beginn ihrer Rede, gewandt an die Union an: „Sie sollten wirklich nicht mehr von größter Migrationskrise reden von dieser Stelle. Wir haben keine große Migrationskrise.“ Während der Rede von Andrea Lindholz – der Kameramann fing es ein – war Faeser merklich in Wallung geraten, zückte ihren Stift und schrieb den fatalen Satz an den Anfang ihrer Rede.
Sie ließ später noch das SPD-Versatzstück folgen: Frau Lindholz, immerhin Vorsitzende im Haushaltsausschuss, tue mit dieser Einordnung nichts anderes, als die Gesellschaft zu spalten und die AfD zu stärken. Deutlich spürte man das innere moralische Erbeben Faesers bei diesen Worten – warum? Vermutlich, weil die Ministerin bemerkt hatte, wie die Union sich zum ersten Mal in ihrer Oppositionsrolle gefunden hat und der Ampel etwas Substantielles entgegensetzen könnte.
Tatsächlich hatte Andrea Lindholz zuvor von der „größten Migrationskrise seit Bestehen der Bundesrepublik“ gesprochen, die Olaf Scholz zu ignorieren versuche. Also nicht die hauptsächlich von der Union verschuldete Krise von 2015 war die größte, sondern die des Jahres 2022, an der niemand so recht schuld sein will und die manch einer schlicht leugnet. Mit Nancy Faesers Erwiderung auf Lindholz’ Vorwurf hat auch Deutschland seine Pamela Rendi-Wagner, die noch vor kurzem sogar die Existenz irgendeiner Migrationskrise (klein oder groß) rundweg abstritt.
Österreich: Rendi-Wagner fordert mehr Kontrollen von Ungarn
Früher wäre an dieser Stelle der Vorwurf der Vogel-Strauß-Politik gefallen, die nichts mit den beiden Politikern zu tun hat, sondern mit dem größten Vogel der Welt, der seinen Kopf bei Gefahr angeblich in den Wüstensand steckt. Übrigens wechselt Rendi-Wagner gerade ihren Kurs. Gegenüber oe24.tv sagte sie ebenfalls letzte Woche: „Es kann nicht sein, dass sie alle in Österreich landen. Obwohl es eine Außengrenze gibt. In Ungarn wird nicht kontrolliert. Das europäische Asylsystem funktioniert nicht.“ Die SPÖ-Chefin scheint von Ungarn einen stärkeren Außengrenzschutz zu fordern. Das soll ihr mal jemand in der deutschen SPD nachmachen.
So könnte man die Erleichterung der Einbürgerung beschreiben angesichts der Tatsache, dass SPD und Grüne stark um die neue Wählerklientel werben und vielleicht sogar erfolgreich darin sein werden. Das Wahlverhalten mag heute so aussehen: Mehr als 60 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund wählen demnach Parteien links der Mitte, nämlich SPD, Grüne und Linke. Dabei liegen die wirtschaftspolitischen Prioritäten von Menschen mit Migrationshintergrund eher bei der Union als im linken Parteienspektrum, wenn man der Bundeszentrale für politische Bildung glaubt.
Zweifelhafter Schaukampf zwischen SPD, Grünen und FDP
Die Ampel verabschiedet sich gerade von den letzten Resten deutscher Staatlichkeit, was das Einwanderungsrecht angeht. Neues Streitobjekt in einem zweifelhaften Schaukampf zwischen SPD, Grünen und FDP: die erleichterte Einbürgerung. Die FDP fordert nun verstärkte Bemühungen bei der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber, von denen es derzeit gut 300.000 in Deutschland gibt. Aber dass es darüber zu einem „Abschiebungsbeauftragten“ kommen wird, wie ihn die FDP seit dem Winter fordert, ist unwahrscheinlich (Baerbock ist dagegen) und würde auch nichts an den Abschiebungsschwierigkeiten deutscher Länder ändern.
Die Bundesrepublik Deutschland ist damit auf dem Rückzug, gestaltet immer weniger, was an ihren Grenzen vorgeht, wer ins Land hineingelassen und am Ende in das Staats- und Wahlvolk aufgenommen wird. Man könnte es eine Manipulation des Souveräns nennen, eine Operation am offenen Herzen der Demokratie. Und deshalb will Nancy Faeser und will die SPD und will die gesamte Ampelkoalition nicht, dass über diese „Krise“ gesprochen wird – schon gar nicht als „größte Migrationskrise“ seit soundsoviel Jahren.
Aufstand der Tätigen im Lande gegen die Ampelpläne
Das manipulative Element beklagt dabei auch der Sachverständige des Deutschen Landkreistages, Klaus Ritgen, in der Welt. Den neuen Entwurf zum Chancenaufenthaltsrecht nennt er „eine klare Absage an jede rechtliche Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung“, weil Chancen für diejenigen angeboten werden, die eigentlich schon seit Jahren ausreisepflichtig und in Deutschland nur „geduldet“ sind. Die Ampel behauptet also, sich für mehr Rückführungen ausreisepflichtiger Zuwanderer einzusetzen, und tut doch genau das Gegenteil.
Und so werden die Illusionen der Merkel-Ära weitergetragen – und sind doch zum Teil einem stetigen Zerfallsprozess ausgesetzt. Die erste Halbwertzeit ist erreicht. Dass sich abgelehnte Asylbewerber nicht abschieben lassen, ist unter der Ampel breit ins Bewusstsein der Regierenden eingesickert, quasi zur rot-grün-gelben Regierungsdoktrin geworden. Mit den nun begonnenen Gesetzesänderungen werde ein „Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik“ eingeleitet, sagen die Grünen dazu. Der war aber tatsächlich lange vor der Ampel eingeleitet worden von einer grünisierenden Bundeskanzlerin, die für weit offenstehende Grenzen stand.
Und bis heute will keine der tonangebenden Parteien offiziell von diesem Dogma („offene Grenzen, alles gut“) Abstand nehmen, obwohl es im Interesse einer jeden von ihnen läge – vielleicht mit Ausnahme der Grünen. Die Parteivorsitzende dieser Partei, Ricarda Lang, war es denn auch, die am direktesten den Zusammenhang zwischen gelockertem Einbürgerungsrecht und mehr Zuwanderung aufmachte und das offenbar als grüne „Wirtschaftskompetenz“ verstanden wissen wollte. Solche Töne hatte man 2015 schon einmal von Claudia Roth gehört und weiß, wohin sie geführt haben. Das sind aber alles nur Nebelkerzen. Eigentlich geht es auch den Grünen nur um die kulturelle Deutungshoheit im Lande.
Warum die Ampel eigentlich gegen ihre Migrationspolitik sein müsste
Die FDP müsste schon allein deshalb gegen die fortgesetzte illegale Zuwanderung via Asylantrag sein, weil damit keine Fach-, ja nicht einmal Arbeitskräfte ins Land kommen. Vielmehr sind die Arbeitslosenraten und die Unterbeschäftigung gerade bei den Top-Asyl-Herkunftsstaatlern enorm, teilweise weit über 50 Prozent. Auch insgesamt dürfte die Unterbeschäftigung von anerkannten Asylbewerbern weiterhin bei 60 Prozent liegen, auch wenn aktuelle Zahlen fehlen. Das heißt, 60 Prozent der Zuwanderer sind auch nach jahrelangem Aufenthalt (bald wird es ein Jahrzehnt sein) nicht in der Lage, sich selbst zu ernähren, und fallen den diversen öffentlichen Kassen zur Last.
Der Import der angeblich so dringend gesuchten qualifizierten Fachkräfte sähe ganz anders aus – wenn er in einem hochgradig spezialisierten Wirtschaftsland wie Deutschland, mit einer Vielzahl aussagekräftiger Abschlüsse, überhaupt möglich ist. Eine zweckmäßigere Ausbildung im Inland (weniger theoretische Studiengänge, mehr Ingenieure) und etwas Automatisierung dürften langfristig die einzige Möglichkeit zum Erhalt der Wirtschaftskraft, ja für das Funktionieren des Landes sein.
Der größte Koalitionspartner SPD wiederum dürfte eigentlich aus der ureigenen sozialen Programmatik heraus nicht für noch mehr Zuwanderung auftreten. Wobei man sich freilich fragt, inwieweit SPD noch etwas mit sozial zu tun hat, wo die vorgebliche „Klimakatastrophe“ im Nahen Osten oder Afrika als Argument für mehr Migration herangezogen wird und die Nöte der deutschen Bürger, nicht nur den sozial schwachen, aber auch von Sozialämtern und Lebensmitteltafeln keine Rolle spielen. Das ist der Weg in die grüne Ideologisierung, die man wohl nur auf zu viel Großstadtluft bei den Parteifunktionären zurückführen kann. Die SPD organisiert allerdings seit Jahren, das muss man sagen, sehr erfolgreich die Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme und ist daran natürlich auch pekuniär – durch professionelle „Flüchtlingshelfer“ wie die AWO – interessiert.
Niemand hat vor, die deutschen Grenzen zu überschreiten
Man hört von immer mehr Menschen, dass „niemand, wirklich niemand“ davon träume, nach Deutschland zu ziehen. Das behauptet zum Beispiel der Gründer einer GmbH namens „Immigrant spirit“, Chris Pyak, dieser Tage, vielmals geteilt, auf Twitter. Seine Argumente allerdings sind dürftig und schnell aufgelöst. Er beklagt, dass deutsche Stellenanzeigen nicht auf Englisch veröffentlicht werden, und weiß doch anscheinend nichts von international tätigen, folglich englischsprachigen Headhuntern. Außerdem müssten Ausländer, die nach Deutschland kommen, nicht dankbar sein und „nix beweisen“. Sie seien „überwiegend besser ausgebildet als der Durchschnitt der Bevölkerung“. Über welche Migranten Pyak spricht, macht er leider nicht deutlich, beklagt aber Rassismus gegen dunkelhäutige Inder mit Princeton-Abschluss.
Gegenfrage: Wird diese vorurteilsbehaftete Sichtweise auf Menschen aus anderen Kulturen schwächer oder wird sie im Gegenteil gestärkt durch die endlose Karawane illegaler Zuwanderer nach Deutschland? Hier begegnet eine typische Verwechslung von Ursache und Folge mit dem „rückständigen deutschen Nationalcharakter“ als malerischem Hintergrund der eigenen Argumentation.
Aus Pyaks Weltsicht folgt zwingend ein vereinfachtes Staatsbürgerschaftsrecht ebenso wie flächendeckende Antidiskriminierungsmaßnahmen, die Unternehmer dazu verpflichten, jeden einzelnen Bewerber anzunehmen, auch wenn man zum Beispiel gerne bei der Unternehmenssprache Deutsch bleiben würde.
Kritisieren lässt sich noch vieles mehr an diesem durch und durch grünen Politikansatz: So verbaut sich Deutschland natürlich auch durch seine Versuche in Öko- und normalem Sozialismus inklusive wuchernder Bürokratie und Staatsgläubigkeit in vielen Fällen die Einwanderung motivierter Menschen. Noch so ein FDP-Thema, für das sich anscheinend niemand in dieser Regierung zuständig fühlt. Stattdessen Selbstbestimmungsgesetz und Cannabis-Legalisierung.
Schließlich können sich auch die Wähler der Grünen überlegen, ob die von Baerbock & Co. betriebene Politik wirklich so phantastisch ist. Denn auch ihre kleine Welt der Bildungserlebnisse und des vorzüglichen Lebens in den ruhigen Vierteln und Vororten unserer Städte könnte am Ende unter einem aufgerüttelten und durchgeschüttelten Gemeinwesen leiden. Erste Spuren gibt es schon. Nicht in allen Kindergärten ist Deutsch die Muttersprache einer Mehrheit, was dann für viele die Flucht in den nächsten Hort, die folgende Kita bedeutet. Das kulturelle Sich-Einigeln im besten Deutschland aller Zeiten, mit nie versiegendem, ewig ausgebbarem Wohlstand könnte schneller vorbei sein, als es vielen seiner Sympathisanten lieb ist.