Was haben die „Spanische Grippe“ und Corona-Anleihen gemeinsam? Viel. Sie wecken alte Ängste auf beiden Seiten: in Spanien und Deutschland. Es ist erst wenige Jahre her, dass es diskutiert wurde – das leidige Thema der europäischen Anleihen. Deutschland und viele andere nordeuropäische Länder wollen es nicht, Holland ganz vorne weg. Spanien sieht darin derzeit die letzte Rettung. Die EU berät darüber. Aber wo fängt Solidarität in EU-Europa an, wo hört sie auf? An der Frage scheiden sich derzeit die Geister. Die deutsche Regierung und auch viele deutsche Meinungsmacher klopfen sich derzeit selber auf die Schulter, wie toll das Land die Krise meistert. Immer wieder fallen Sätze wie: „Nun sehen wir, im Vergleich mit anderen Ländern, was für ein gutes Gesundheitssystem wir haben“. Zahlen von Tote und Infizierten werden verglichen, Deutschland scheint dabei besser abzuschneiden. Aber hat das mit dem Gesundheitssystem zu tun und müsste das Land dann nicht erst recht solidarisch sein?
Die Gefahr der Stereotypen
In den vergangenen Wochen kam es in den internationalen Medien zu einer regelrechten Schlacht von politischen und ärztlichen Kommentaren. Es erwachten alte Stereotype im Verhältnis zwischen Süd- und Nordeuropa, damit wurden auch alte Ängste geschürt. Die in Spanien „Leyenda negra“ und in Deutschland „Spanische Grippe“ genannte Influenza-Pandemie, welche zwischen 1918 und 1920 vermutlich rund 25 Mio. Menschen das Leben kostete, geistert wieder durch die Medien. Rechts- und linksextreme Kreise in Spanien halten Deutschland schon seit langem für den Schuldigen an den eigenen wirtschaftlichen Problemen. Die Deutschen hätten schon einmal versucht, dem Land mit der „Spanischen Grippe“, die eigentlich aus den USA kam, zu schädigen. Der Austeritäts-Kurs von Angela Merkel wird offen kritisiert. Die konservative spanische Zeitung ABC griff den heiklen geschichtlichen Vergleich Ende Februar auf, als der Sturm auf Spaniens Krankenhäuser noch ausstand.
Spaniens Gesundheitssystem ist vorbildlich
Im Zuge der Finanzkrise von 2011/2012 wurden jedoch Betten reduziert, und auch Maschinen und Personal. Dennoch hat das Land immer noch nach Japan die höchste Lebenserwartung der Welt. Das deutsche Gesundheitssystem ist im Vergleich dazu wirtschaftlich marode, viel zu teuer und ineffizient. Aber genau letzteres ist bei der jetzigen Krise ein enormer Vorteil, weil das dichtbesiedelte Deutschland viel mehr Krankenhäuser pro 100.000 Einwohner aufweist und auch wesentlich mehr Betten. Spanien kommt bei 46 Millionen Einwohnern gerade mal auf rund 160.000 Betten und rund 780 Krankenhäuser, die jetzt in der Krise aufgestockt werden, während Deutschland gemäβ Statista bei 83 Millionen auf fast 2.000 Spitäler kommt. Alberto Giménez von der Branchen-Stiftung „Economía y Salud“ in Madrid glaubt, dass „Spanien ein logistisches Problem hat, nicht ein fachliches“. Die Altenheime würden auch nicht zu Leichenhallen wie in manchen deutschen Zeitungen geschrieben oder im Fernsehen dargestellt wurde, aber sie sind in Infektionenherden wie Madrid wegen Unterbesetzung und fehlendem Schutzmaterial völlig überfordert, gesteht Fernandez-Cid ein: „Besuchseinschränkungen gab es schon seit Februar“.
Sánchez braucht die Corona-Anleihen, um innenpolitisch zu punkten. Hilfen von 200 Mrd. Euro reichen den heimischen Lobbys nicht. Wurde vorher noch gefürchtet, die Sozialdemokraten könnten die europäischen Defizit-Vorgaben nicht einhalten, wollen gerade die nationalkonservativen Parteien jetzt alle Hähne öffnen, um das Land zu retten. Währenddessen Italien Deutschland über die Medien wieder mit den Kriegsschulden droht, kommt in Spanien erneut das Bild der „harten und unerbittlichen Angela Merkel“ ins Spiel.
Während der Süden glaubt, dass die Deutschen ihre Märkte brauchen und deswegen auch von deren Wohlergehen abhängen, wirft der Norden ein, dass sie nicht immer für die Fehler anderer aufkommen könnten, die ihre Schulden nicht genug gesenkt hätten in den vergangenen Jahren. Juan Carlos Higueras, Ökonom von der EAE Business School, glaubt jedoch, dass Deutschland zu hart ist: „Diese Krise trifft alle wirtschaftlich gleichermaβen, alle sollten unter einem Schutzschirm stehen und das sollte Brüssel sein“.
Alte Stereotypen: Fiesta und Playa vs Disziplin und Fleiss
In der Diskussion um die europäischen Anleihen kommen wieder alte Klischees ins Spiel. Allerdings ist der Deutsche gar nicht so organisiert, wie es scheint, und der Spanier nicht so chaotisch. „Deutschland ist jedoch sicherlich eine europäische Referenz in Sachen Forschung, was jetzt ein Vorteil ist bei der Bewältigung der Krise“, sagt Peter Llewellyn-Davies, CEO der Apeiron Biologics, eine österreische Biotechfirma, die gerade an einem Wirkungsstoff gegen Covid-19 arbeitet. Das Tourismusland Spanien hat fälschlicherweise in den vergangenen 20 Jahren mehr in Infrastruktur als in Bildung und Forschung investiert, „weswegen das Land inzwischen die besten Autobahnen und Hochgeschwindigkeitszüge aufweist, aber nicht genug Labore“. Mit bereits 9.000 Toten sah sich Sánchez gezwungen, am Montag dieser Woche die Massnahmen noch einmal zu drosseln. Jetzt müssen wirklich alle zuhause bleiben, die nicht mehr zur Lebensversorgung notwendig sind.
Nach einer Umfrage in der katalanischen Zeitung La Vanguardia bleiben keine Zweifel, dass die Spanier Covid-19 für gefährlicher für die EU halten als den Brexit. Der Virus killt die EU, das glauben fast 96 Prozent der 32.000 Befragten und auch der spanische Gewerkschaftler Unai Sordo: „Wenn jetzt nicht solidarisch gehandelt wird in Europa, dann macht dieses Konstrukt keinen Sinn mehr“. Er setzt sich deswegen auch für eine schnelle Umsetzung einer EU-Arbeitslosenversicherung ein. Sollte es jemals zu der Emission von Corona-Anleihen kommen, dann nur mit starken Kontrollmechanismen, glaubt der spanische Ökonom Juan Carlos Higueras: „Das ist auch zu empfehlen, damit diese Anleihen nicht noch mehr Euro-Kritiker auf den Weg bringen“. Für Deutschland und Frankreich wird es in jedem Fall teurer, das ist auch ihm klar.