Tichys Einblick
Selbsthilfe ist überlegen

Afrika: Bitte keine Bevormundung

Ruandas Präsident Paul Kagame sagte 2018 in einem Interview mit der Zeitschrift Jeune Afrique: „Afrika braucht keine Babysitter. Je weniger sich die Welt um Afrika kümmert, umso besser geht es Afrika.“

imago Images

Der Verein „Aktion Tagwerk“ (Schirmherrin ist die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer) freut sich, dass bundesweit am 18. Juni „wieder hunderttausende Schüler, statt die Schulbank zu drücken, einen Tag lang jobben“. Der Verdienst soll Bildungsprojekten in sieben afrikanischen Ländern, darunter Ruanda zugutekommen. Den Schülern wird suggeriert, sich mit der Aktion während der Unterrichtszeit für etwas Edles und Gutes einzusetzen. Aber viele Schüler werden – soweit ich höre – gar nicht gefragt, ob sie mitmachen wollen. Diese Kinder unterliegen, mit der in unseren Schulen stark ausgeprägten Tendenz zur Konformität, dem Gruppenzwang. Mittels einer gönnerhaften Lyrik wird gebetsmühlenhaft die Armut Afrikas beschwört. Hinzu kommt, dass unsere Politiker uns einreden, dass wir reich seien und deshalb immer hilfsbereit sein sollen.

Nicht zur Kenntnis nehmen die Veranstalter, dass der ruandische Präsident Paul Kagame Mitte Juni 2018 in einem Interview mit der Zeitschrift Jeune Afrique sagte: „Afrika braucht keine Babysitter. Je weniger sich die Welt um Afrika kümmert, umso besser geht es Afrika.“ Er bezieht sich in dem Interview auf „Helfer“, die mit ihrem Paternalismus meinen, sie würden den Afrikanern helfen. Ruanda ist ein straff geführtes Land mit einer verlässlichen politischen Entwicklung, die die Armen nicht zurücklässt.

Die Gründerin und Geschäftsführende Vorsitzende von Aktion Tagwerk, Nora Weisbrod, möchte die Afrikaner „neue Wege lehren, ihre Felder zu bestellen“. Wer sich so verhält, weil er den Afrikanern nicht zutraut, dass Sie selbst wissen, wie sie ihre Felder bestellen können, verhält sich – zumindest tendenziell – rassistisch. Afrikaner, die ich kenne, spüren, dass über Wertschätzung mehr geredet als danach gehandelt wird.

Für effizientere Bewirtschaftungsmethoden gibt es genügend afrikanische Agrarwissenschaftler. In Nigeria entwickelt ein Unternehmen High-Tech-Hilfsmittel, die sich auch weniger kapitalstarke Bauern leisten können. In Malawi lernen Maisbauern die Vorteile des Rotationsfeldbaus wieder zu schätzen. Dort, wo afrikanische Kenntnisse vorhanden sind, sollten gutmeinende Deutsche den Ländern keine ausländische Expertise auferlegen. Auf dem Kontinent gibt es viele kluge, talentierte und ihr Land liebende Bürger, die sich heute mit der Rolle des Zuschauers abfinden müssen.

Mit diesem „Tag für Afrika“ wird das Image Afrikas verfestigt, dass die Afrikaner unfähig seien, sich selbst zu helfen. Mit dieser Kampagne werden „Afrika und Hilfsbedürftigkeit“ ohne jede Differenzierung gleichgesetzt und kommuniziert. Viele Afrikaner werfen uns vor, dass wir „Hilfe“ in der heutigen Form nicht deshalb leisten, weil wir von ihrer Wirksamkeit überzeugt sind, sondern weil es für uns der einfachste und billigste Weg sei, Engagement gegen Armut und Ungerechtigkeit in der Welt zu demonstrieren. Aber das Wichtigste: Es soll das Bewusstsein für Entwicklungshilfe und ein späteres Engagement als Helfer gefördert werden.

Selbst wenn Egotrips ins Elend nicht viel Schaden anrichten, sie dienen jedenfalls nicht den Menschen, denen sie doch helfen wollen. Wenn Jugendliche vom Rechner oder Smartphone weggelockt werden können, finde ich das positiv. Es ist vernünftig, wenn Abiturienten oder Studenten sich in der Welt umsehen, Erfahrungen mit ineffizienten Bürokratien und Korruption sammeln und damit im Alltag denselben Beschwernissen wie Afrikaner unterliegen. Nach der Rückkehr werden ein paar Illusionen beiseite geräumt sein, und es reift die Erkenntnis, dass öffentliche Dinge bei uns meist in geordneten Bahnen ablaufen. Aber ohne nennenswerte Lebens- und Berufserfahrung kann man keine Entwicklungshilfe leisten. Auch braucht man die unabdingbare Sensibilität für Menschen und Situationen in einem völlig fremden Umfeld. Das Bemühen, als Hobby-Helfer etwas Gutes für die Völkerverständigung tun zu wollen, reicht nicht. „Hilfsbedürftige mit Helferwillen“ hat ein EU-Delegierter in Benin einmal die bleichen jungen deutschen Mädchen und Burschen genannt, die dort „helfen“ wollen. Sie tragen gerne Hosen in Java-Batik-Muster, den „typisch afrikanischen“ Stoffen, oder haben das dünne Haar zu Rasta-Zöpfen gedreht, um ihre Solidarität zu zeigen. Mit Verlaub, viele Afrikanerinnen und Afrikaner finden solche Erscheinungsbilder lächerlich.

„Man muss den Afrikanern nicht helfen, weil sie ja ach so arm sind. Es würde schon reichen, wenn man sie in Ruhe lässt. Entwicklungshilfeorganisationen haben in vielen Fällen das freie Unternehmertum zerstört und Afrikaner zu Bettlern gemacht. Wer braucht schon 20-jährige Freiwillige, die beim Brunnengraben helfen? Haben die schon jemals einen Brunnen in ihrer Heimat gegraben? Die wissen nicht einmal, wie ein Brunnen ausschaut“, sagt Jean-Marie Téno, Filmemacher aus Kamerun.

Der Künstler und Schriftsteller Samson Kambalu aus Malawi rät afrikanischen Kindern, sich von Touristen und ihren Fotoapparaten fernzuhalten. „Sonst landet ihr noch auf dem Spendenaufruf irgendeiner Hilfsorganisation.“ Allerdings dürften die Kinder auf den Fotos keine Schuhe tragen, denn sonst könnten sie nicht als arm gelten.

„Die schwarze Haut ist armutsfotogen und wird intensiv von Hilfsorganisationen und der Entwicklungshilfeindustrie benutzt“, schreibt Lug Degla aus Benin in seinem Buch „Wenn Gäste bleiben“.

Die Schriftstellerin Yvonne Adhiambo Owuor aus Kenia nennet die „Entwicklungshelfer mit messianischem Funkeln in den Augen“: die „Love-Africa-Typen“.

Es ist beachtlich, wenn sich junge Menschen für positive Veränderungen einsetzen, aber sie müssen sich dann auch kritische Fragen stellen. Qualifiziert das Aufwachsen in Deutschland automatisch, um in Afrika „helfen“ zu können? Wo kann er oder sie als Abiturient und ohne Ausbildung und Erfahrung tätig werden? Was könnte ein ungelernter Einheimischer nicht auch leisten – und dabei etwas verdienen, um seine Familie zu ernähren?


Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

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