Tichys Einblick
Taib versteckt sich vor den Taliban

„Die pro-demokratische Bewegung wurde einfach im Stich gelassen“ – afghanischer Journalist erzählt aus Kabul

Ahmad Jawad Taib ist Herausgeber einer islamkritischen Zeitung in Afghanistan. Nach der blitzschnellen Übernahme der Taliban sitzt er zur Stunde in einem Versteck in Kabul fest, wo ihn TE telefonisch erreichte. Wenn die Taliban ihn finden, werden sie ihn töten.

Afghanistan versinkt im Chaos. Der Flughafen Kabul wurde von den Taliban abgeriegelt. Der Bundeswehr-Flieger, der zwei Tage abflugbereit in Deutschland stehen blieb, erreichte Kabul am Montagmorgen zu spät. Hätte das Auswärtige Amt die Evakuierungsflüge nur wenige Stunden früher abheben lassen, wäre die Rettung zahlreicher Menschenleben möglich gewesen.

Stattdessen entsteht in Deutschland eine neue, merkwürdige Flüchtlingsdebatte, es ist schon wieder von Millionen Menschen die Rede, die nach Europa kommen könnten. In Afghanistan gab es ganz sicher keine Millionen Anti-Taliban-Kämpfer, die Mehrheit des Landes unterstützt die Scharia.

Als es allerdings darum ging, die einigen wenigen, tatsächlich individuell politisch Verfolgten, die echten Ortshelfer und Freunde des Westens aus Kabul zu retten, ging die große Flüchtlingskanzlerin zu einer Filmpremiere, die Verteidigungsministerin backte Flammkuchen. Jene, die sonst der Meinung sind, eine Grenzkontrolle als solche wäre schon ein Verstoß gegen die Menschenrechte, sahen keine größere Notwendigkeit darin, Menschen vor dem Taliban-Todeskommando zu retten.

Die Kanzlerin hat das Grundgesetz damit auf den Kopf gestellt: Deutschland nimmt nicht mehr die auf, die es wirklich verdienen, sondern die, die es nach Deutschland schaffen – und das sind im Zweifelsfall die eher weniger verfolgten.

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Diese humanitäre Katastrophe zeigt sich auch an der Geschichte von Ahmad Jawad Taib. Der afghanische Journalist versteckt sich aktuell vor den auf den Straßen patrouillierenden Taliban, TE erreichte ihn telefonisch in seinem Unterschlupf in Kabul. Taib ist – man muss leider sagen: war – Chefredakteur von Eteraz Monthly, einer monatlich in Kabul erscheinenden politischen Zeitung für „Meinungsfreiheit, Frauenrechte, Säkularismus, universelle Menschenrechte und Demokratie, im Kampf gegen die Unterdrückung, die Tyrannei und den Fundamentalismus in Afghanistan.“ Im Gespräch mit TE bezeichnet Taib die Zeitung als „konsequent Anti-Taliban“.

Vor wenigen Tagen erst wurde Taib von den Taliban angegriffen und verletzt. Taib erzählt uns: „Ich habe den Vorfall der Polizei gemeldet, aber sie können nichts für mich tun. Wegen der Gefahr, in der ich schwebe, habe ich bereits dreimal geheim den Wohnort gewechselt, aber jetzt, wo die Taliban in Kabul stehen, kann ich mein Versteck nicht sicher wechseln. Mein Leben und das meiner Frau und unserer drei Kinder ist in großer Gefahr.“

Taib unterstützte den westlichen Einsatz in Afghanistan in seinen Publikationen. Er wollte sein Land verändern, machte einen Bachelor- und Master-Abschluss in politischen Wissenschaften und riskierte viel für seinen publizistischen Kampf gegen die Scharia, die auch außerhalb der Taliban immense Unterstützung in der Bevölkerung erfährt. Die Zeitung erschien ausschließlich in persisch und richtete sich nicht an internationale Hilfsorganisationen, sondern an die afghanische Bevölkerung.

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Durch den planlosen westlichen Rückzug sitzt Taib jetzt im Kessel der afghanischen Hauptstadt fest. Afghanische, kritische Journalisten stehen ganz oben auf der Liste der Feinde der Taliban und werden wie „Kollaborateure“ behandelt.  Taib sagt uns a Telefon: „Die Streitkräfte sind quasi über Nacht gegangen und haben die pro-demokratische Bewegung einfach im Stich gelassen. Für uns gibt es hier keine Zukunft mehr, wenn die Taliban uns finden, werden sie uns töten“

Seine letzte Hoffnung: der Westen. Er schreibt uns seine Bitte an das Auswärtige Amt: „Wenn Sie die wirklich politisch Verfolgten Menschen nicht im Stich lassen wollen, dann sollten sie keine Zeit mehr verlieren. Die Lage ist wirklich ernst.“

Es ist nicht die einzige Geschichte dieser Art aus Kabul. Eine junge afghanische Reporterin meldet sich später bei uns, sie arbeitet für die Nachrichtenagentur Pajhwok Afghan News. Auf dem von uns zur Verifizierung angeforderten Passfoto trägt sie ihr Kopftuch offen, sie ist 21 Jahre alt. Sie arbeitete für ein kanadisches Bildungsprojekt, nahm an Fortbildungen aus Deutschland teil. Auch sie sitzt in Kabul fest, vor ihrem Haus wurde vergangene Nacht geschossen, sie schickt uns Bilder von Taliban-Pickups, die vor ihrem Haus parken. Sie bittet uns um Hilfe, doch vom Auswärtigen Amt erhält man nur automatisch generierte Antworten mit der Bitte um Geduld.

Asylentscheidungen hängen nicht von emotionalen Geschichten ab, sondern müssen auf Basis des Gesetzes erfolgen, so wie es immer hätte sein sollen. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht, alle anderen nicht.

Fakt ist, dass der Großteil der tatsächlich individuell politisch Verfolgten in Afghanistan festsitzt und gar nicht erst die Möglichkeit hat, um Asyl zu ersuchen. Diejenigen, die sonst so schnell dabei sind, jede Kritik an unkontrollierter Masseneinwanderung als Rassismus abzutun, interessieren sich für die Schicksale der wenigen, tatsächlichen Freunde des Westens in Afghanistan wenig. Diese Menschen haben auf die westlichen Regierungen vertraut. Und die haben sie zum Sterben zurückgelassen. Jetzt scheint ohnehin alles zu spät.


Wir haben alle – auch aus Sicherheitsgründen teils unveröffentlichten – Informationen, sowie Passdaten an das Auswärtige Amt weitergeleitet. 

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