Ägypten hat seine Grenze zum Gazastreifen geöffnet, allerdings nur für einige wenige Verwundete und vor allem für 500 Ausländer, teils mit doppelten Staatsangehörigkeiten, die auf einer Liste der ägyptischen Behörden standen. Was die internationale Presse von BBC bis Aljazeera teilweise mit triumphierendem Gestus berichtet, ist in Wahrheit nur ein Tropfen – und keineswegs der Beginn einer Lösung des angeblichen Hauptproblems: Wohin sollen die arabischen Einwohner des Gazastreifens angesichts der israelischen Aufforderung, das Gebiet (zumindest seinen Norden) zu verlassen?
In griechischen Zeitungen wird schon darüber spekuliert, dass Israel unter anderem das Ägäis-Land als Aufnahmezentrum für die Gaza-Palästinenser auserkoren habe. Diese Gerüchte sind schon einige Tage alt und stammen von der israelischen Nachrichtenwebsite Calcalist. Geheimdienstministerin Gila Gamliel hätte demnach in einem internen Regierungsdokument die Umsiedlung der Bewohner des Gazastreifens empfohlen. Die erste Wahl wäre hier naheliegenderweise der Sinai.
Dazu sollen laut dem theoretischen Papier Zeltstädte auf der ägyptischen Halbinsel errichtet werden. Zugleich müsse eine neutrale Zone an der neuen Grenze zwischen Israel und Ägypten eingerichtet werden, die eine Rückkehr der Araber nach Gaza verhindert. Andere Optionen aus dem internen Papier für die Aufnahme von Gaza-Arabern sind Kanada, verschiedene nordafrikanische Länder oder europäische Länder wie Griechenland oder Spanien. Aber der berichtende Calcalist weist selbst auf den geringen Einfluss des Geheimdienstministeriums hin. Es handelt sich demnach nur um ein „winziges Büro“, dem kein Geheimdienst und keine Sicherheitsbehörde unterstellt seien. Von diesem Ministerium sind demnach nur Empfehlungen zu erwarten.
Al-Sisi hat Betonblöcke an die Grenze gestellt
Zweifel an der Festigkeit der ägyptischen Entscheidung gegen eine umfängliche Aufnahme von Gaza-Flüchtlingen gibt es dabei nicht. Als Hauptgrund für die ägyptische Ablehnung einer geplanten Umsiedlung oder auch einer fluchtartigen Einreise von Arabern aus Gaza gilt vor allem die Sorge um die innere Stabilität – daneben, wie schon anklang, die Sorge um eine Verwicklung in den Krieg. Und natürlich spielen auch wirtschaftliche Erwägungen eine Rolle: Kurz gesagt, Ägypten hätte kaum die Möglichkeit, mehr als zwei Millionen Palästinenser durchzufüttern, ohne dass sich das durch ein Loch im Staatshaushalt bemerkbar machen würde. Schon jetzt belasten angeblich mehr als 300.000 Flüchtlinge aus dem Sudan die Finanzen des Landes.
Nach außen behaupten ägyptische Vertreter freilich auch gerne, die Ansiedlung auf dem Sinai würde die Palästinenserfrage „begraben“ – also den Konflikt mit Israel endgültig beenden, was schon eher wie ein national-arabisches Argument klingt.
Immer wieder zeigt sich die politische Macht der Flüchtlinge, zuletzt in Sidon
Erst vor kurzem kam es im libanesischen „Flüchtlingslager“ Ain al-Hilweh bei Sidon zu schweren Gewaltausbrüchen mit dutzenden Toten und Verletzten. Hintergrund hier waren Kämpfe zwischen „extremistischen“ Kräften (Dschihadisten und Hamas) und der Fatah. Im nördlichen Teil der Sinai-Halbinsel sind zudem bereits einheimische Extremisten vertreten, mit denen die ägyptische Armee sich auch schon Kämpfe geliefert hat. Wenn nun Hamas-Anhänger mit eigenen Waffen dazukämen, dann ist klar, dass dies nicht zum Besten der ägyptischen Grenzregion wie auch Gesamt-Ägyptens wäre.
Die zögerliche Grenzöffnung vom 1. November ist ein Zugeständnis an den sich aufbauenden internationalen Druck, der ebenso aus dem „Wertewesten“ zu kommen scheint wie von der aktuellen Konfliktlinie her. Eine weitergehende Grenzöffnung dürfte aus den genannten politischen, sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Gründen nicht zu einer Option für Ägypten werden.