Tichys Einblick
Für persönliche Entscheidungsfreiheit

Warum die Abtreibungsgegner verlieren werden

In den USA wittern konservative Abtreibungsgegner Morgenluft. Ihre Minderheitsposition verliert allerdings weiter an Zustimmung in der Bevölkerung. Von Ann Furedi

IMAGO / NurPhoto

Die Abtreibungskriege in den USA haben sich global ausgeweitet. Ungarn hat vor kurzem eine Vorschrift eingeführt, wonach Frauen einen sogenannten fötalen Herzschlag abhören müssen, bevor sie eine Abtreibung vornehmen lassen können. Dies ist eine Maßnahme, die direkt aus dem amerikanischen „Pro-Life“-Drehbuch übernommen wurde.

Amerikas Rückschritt in der Abtreibungsfrage begann lange, bevor der Oberste Gerichtshof Anfang dieses Jahres das Urteil „Roe versus Wade“ aufhob. Als der Schutz der Abtreibung auf Bundesebene noch in Kraft war, griffen die Aktivisten zu anderen Maßnahmen, um den Zugang zur Abtreibung zu verhindern und zu unterminieren. Dazu gehören die sogenannten Gesetze zur informierten Zustimmung, die gerade in Ungarn eingeführt wurden und die eine obligatorische Ultraschalluntersuchung für jede Frau vorsehen, die einen Schwangerschaftsabbruch wünscht. Diese Gesetze wurden bereits in mehreren republikanischen Bundesstaaten verabschiedet und sind seit langem Teil einer konservativen Anti-Abtreibungs-Strategie in den USA.

Aus der Sicht der „Pro-Life“-Lobby haben diese Gesetze zur informierten Zustimmung einen gewissen Erfolg gehabt. Es überrascht nicht, dass einige Frauen ihre Abtreibung eher überdenken, wenn sie durch ein Ultraschallbild dazu gebracht werden, das embryonale Leben, das sie beenden, zu betrachten. Doch was der Anti-Abtreibungsbewegung nützt, muss konservativen Politikern nicht unbedingt nützen, nicht zuletzt, weil viele ihrer Wähler gegen eine Einschränkung der reproduktiven Entscheidungsfreiheit sind.

Roe vs Wade
US-Supreme Court kippt Abtreibungsrecht
In den USA merken die Republikaner, dass Abtreibungsbeschränkungen nicht immer die Unterstützung der Wähler finden. Und ebenso wenig führen republikanische Mehrheiten in den Bundesstaaten immer zu Abtreibungsbeschränkungen. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Ort überwiegend katholisch oder protestantisch ist – und unabhängig davon, ob es sich um die USA oder Irland handelt, was höchstwahrscheinlich auch für Ungarn gilt. Wenn Viktor Orbán sich von den Angriffen der Republikaner auf die Abtreibungsrechte inspirieren lassen will, wie er seine konservative Anhängerschaft zusammenhalten kann, tut er gut daran, jetzt wegzusehen.

Der Konflikt um die Abtreibung in den USA scheint die Republikaner Unterstützung zu kosten. Der Widerstand gegen die Einschränkung des Abtreibungsrechts ist weitaus größer, als sich die konservativen Republikaner vorgestellt haben. Und es scheint auch viel mehr Befürworter der Abtreibung zu geben, als sich die Abtreibungsbefürworter vorgestellt haben.

Jahrzehntelang galt es in den USA als ausgemacht, dass die Mehrheit des Obersten Gerichtshofs, die das Urteil Roe versus Wade aus dem Jahr 1973 trug, das Einzige war, was zwischen Frauen und der Abschaffung ihres Rechts auf Abtreibung stand. Als Donald Trump diese Mehrheit im Jahr 2020 durch die Ernennung von drei konservativen Richtern kippte, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Gericht entschied, dass die endgültige Entscheidung über Abtreibung den einzelnen Bundesstaaten zugewiesen werden würde – von denen viele bereits ‚Vorratsgesetze‘ erlassen hatten, um Kliniken zu schließen, sobald Roe versus Wade gekippt werden sollte.

Anfänglich sah die Welt nach dem Roe-Urteil aus, als sei ein Traum der Konservativen wahr geworden. Die – wie Trump sie mal nannte – „ekligen“ Abtreibungsbefürworterinnen könnten in die Schranken gewiesen werden, die Menschen wären gezwungen, das Leben im Mutterleib zu respektieren, und würden infolgedessen verantwortungsbewusster in ihrem Sexualverhalten werden. Das war zumindest die Hoffnung der Konservativen.

Die meisten Amerikaner teilen diesen Traum nicht. Es zeigt sich, dass selbst konservative Wähler nicht unbedingt ein Abtreibungsverbot wollen. Der Kreuzzug der Republikaner gegen die Abtreibung hat sich als Geschenk an die Demokraten erwiesen. Er hat sogar den tattrigen Joe Biden in einen Zufallshelden der Bewegung für reproduktive Wahlfreiheit verwandelt. Die extremen Anti-Abtreibungs-Republikaner könnten ihre Partei teuer zu stehen kommen.

Ein Teil des Problems für die Republikaner besteht darin, dass viele Konservative die Abtreibung als einen weiteren Auswuchs woker Identitätspolitik zu betrachten scheinen. Dies könnte unzutreffender kaum sein. In Wirklichkeit ist die Abtreibung ein medizinischer Eingriff und kein politisches Statement. Und sie wird oft sogar von denen benötigt, die sie ablehnen. Während die Einstellung der Amerikaner zur Abtreibung oft polarisiert und von religiöser und politischer Zugehörigkeit bestimmt zu sein scheint, ist die öffentliche Meinung in Wirklichkeit sehr viel differenzierter. Und dafür gibt es gute Gründe.

Während konservative Politiker die Abtreibung als Metapher für die Folgen von Familienzerfall und außerehelichem Sex betrachten, haben viele Amerikaner eine weitaus realistischere, weniger politisierte Sichtweise. Schließlich fällt es schwerer, Frauen, die abgetrieben haben, als unmoralisch hinzustellen, wenn man selbst jemanden kennt, der abgetrieben hat – vor allem, wenn es sich dabei um die eigene Schwester, die eigene Tochter, die eigene Mutter oder die eigene Freundin handelt. Tatsächlich legen Analysen nahe, dass im Durchschnitt eine von vier Frauen bis zu ihrem 45. Geburtstag abtreibt.

Die Veränderung der öffentlichen Meinung nach dem Ende von Roe versus Wade ist vielsagend. Gallup-Umfragen zeigen, dass der Anteil der Menschen, die der Meinung sind, dass Abtreibung unter allen Umständen illegal sein sollte, zwischen 2020 und 2022 um sieben Prozentpunkte auf nur noch 13 Prozent der Bevölkerung gesunken ist. Das heißt nicht, dass die Befragten Abtreibung für moralisch richtig halten oder dass sie sich dafür entscheiden würden. Sie sind vielmehr der Ansicht, dass dies eine Angelegenheit des Einzelnen und nicht des Staates ist.

In diesem Jahr hat auch die Zahl derjenigen zugenommen, die sich selbst als „Pro Choice“ bezeichnen. Während die republikanischen Abtreibungsgegner die Pläne zum Abtreibungsverbot feierten, stellte Gallup fest, dass die Zahl der Befragten, die sich als Befürworter der Entscheidungsfreiheit bezeichnen, von 49 Prozent im Jahr 2021 auf 55 Prozent in diesem Jahr gestiegen ist. Die Anzahl derjenigen, die sich als Gegner dieser Wahlfreiheit bezeichnen, fiel von 47 Prozent auf 39 Prozent. In dem Moment also, in dem Abtreibungsverbote zunehmen, verlieren sie ihre Zustimmung in der Öffentlichkeit.

In meinem Buch „The Moral Case for Abortion“ gehe ich der Frage nach, warum das so sein könnte. Oft halten wir Abtreibung abstrakt für etwas Schlechtes, aber wenn wir mit dem Kontext konfrontiert werden, in dem eine Entscheidung getroffen wird, wird unser Urteil sanfter. Deshalb haben die Abtreibungsgegner so Unrecht, wenn sie Abtreibung als Anliegen radikaler Familiengegner und woker Kulturkrieger charakterisieren. In der echten Welt entscheiden sich Frauen nicht für eine Abtreibung, um eine politische Identität anzunehmen oder zu zeigen. Sie gehen in eine Abtreibungsklinik, weil sie persönlich einen medizinischen Eingriff benötigen. Das gilt für die Schwestern, Töchter und Freundinnen der Republikaner in den ‚roten‘ (republikanisch regierten) Bundesstaaten genauso wie für Bidens Anhängerinnen.

Richter beschimpft
Oberstes US-Gericht will wieder strengere Abtreibungsgesetze ermöglichen
Diese differenzierten Meinungen in der Abtreibungsfrage werden von konservativen, gegen Abtreibung eingestellten Landesregierungen völlig ignoriert. Zu Beginn dieses Jahres haben sich viele ‚rote‘ Bundesstaaten beeilt, das Recht auf Abtreibung so schnell wie möglich zurückzudrängen, und restriktive Gesetze eingeführt, die sie im Vorhinein vorbereitet hatten.

Innerhalb eines Monats nach der Entscheidung, Roe versus Wade zu kippen, hatten elf US-Bundesstaaten, die alle im Süden und Mittleren Westen liegen, ein vollständiges Verbot oder ein Verbot ab der sechsten Woche eingeführt. Die Härte, die dies für die Frauen in diesen Staaten bedeutet, ist außergewöhnlich. Im Vereinigten Königreich wurde es vor der Entkriminalisierung der Abtreibung in Nordirland im Jahr 2019 zu Recht als unerhört angesehen, dass Frauen, die eine Abtreibung benötigten, von Belfast nach Liverpool reisen mussten. Noch schlimmer ist die Situation für die sieben Millionen Frauen im reproduktionsfähigen Alter in Texas, das eine Fläche so groß wie Frankreich und Deutschland zusammen hat.

Die republikanische Post-Roe-Welt bestraft nicht die linken, feministischen SJWs. Sie bestraft die Ehefrauen, Töchter und Freundinnen, die von der Empfängnisverhütung im Stich gelassen wurden oder sich nicht in der Lage sehen, eine Familie zu ernähren, die sie nicht geplant hatten.

Der Lackmustest für die öffentliche Zustimmung zum republikanischen Angriff auf die Abtreibung werden natürlich Abstimmungen in den Bundesstaaten sein. Die erste Volksabstimmung nach dem Roe-Urteil zur Abtreibung hat der Anti-Abtreibungslobby einen schweren Schlag versetzt. Im August stimmte Kansas mit 59 Prozent für die Beibehaltung des Rechts auf Abtreibung. Kansas ist nicht gerade für seine progressive Haltung zur Abtreibung bekannt. Es war ein Votum, das es Präsident Biden ermöglichte, mit einer gewissen Berechtigung zu behaupten, dass „die Mehrheit der Amerikaner der Meinung ist, dass Frauen Zugang zur Abtreibung haben sollten und das Recht haben sollten, eigene Entscheidungen über ihre Gesundheitsversorgung zu treffen“.

Orbán sollte sich lieber an Italien orientieren als an den USA. Giorgia Meloni hat letzten Monat einen überwältigenden Wahlsieg errungen, indem sie sich für die Familien einsetzte, aber auch versprach, die Finger von den Abtreibungsgesetzen zu lassen – trotz ihres katholischen Glaubens. Meloni hat zugesagt, Abtreibung als Privatangelegenheit zu behandeln, was es Frauen und Ärzten ermöglicht, nach ihrem Gewissen zu handeln.

Für die meisten Menschen im Westen ist Abtreibung heute eine Angelegenheit, die man am besten Privatpersonen und Ärzten überlässt. Wer versucht, aus der Einschränkung der persönlichen Entscheidungsfreiheit politisches Kapital zu schlagen, könnte an der Wahlurne einen Preis dafür zahlen.


Ann Furedi ist Autorin von The Moral Case for Abortion: A Defence of Reproductive Choice. Der Beitrag ist im engl. Original bei Spiked erschienen.

Anzeige
Die mobile Version verlassen