Die Lage ist ernst, aber nicht dramatisch. In den letzten 36 Stunden regnete es über 400 Raketen vorwiegend auf den Süden Israels. Die Abschußrampen stehen im Gazastreifen, Heimat für zwei Millionen geplagte Araber, die seit 2007 von Terrororganisationen wie Hamas und Palestinian Islamic Jihad (PIJ) unterdrückt werden. Der Schaden hält sich in Grenzen. Getroffen wurde ein Auto, ein Omnibus und eine koshere Bäckerei. 60 Raketen sind von Israels Abwehr-System Iron Dome abgefangen worden, die meisten Geschosse landen ohnehin im Nirgendwo. Zu beklagen ist ein Toter in Ashkelon – wie zum Hohn – ein palästinensischer Arbeiter, der gerade dabei war, die getroffene Wohnung eines Israeli zu restaurieren. Er hinterlässt Frau und sechs Kinder.
Wer die Gründe für die neuerliche Eskalation verstehen will, muss in der Lage sein, sich von den gängigen Klischees über den Nahost-Konflikt zu lösen. Israel ist nicht die Ursache für die Auseinandersetzung, lediglich der Austragungsort. Niemand kann ernsthaft glauben, dass selbstgebastelte Mörser den modernen high-tech-Staat Israel mit der motiviertesten Verteidigungsarmee, dem besten Geheimdienst und einer boomenden Wirtschaft, inklusive Tourismus, ins Wackeln bringen kann. Es handelt sich allenfalls um unangenehm nervige Nadelstiche, die zwei Prozent der fast Neun-Millionen-Bevölkerung direkt zu spüren bekommen. Während die Raketen fliegen, findet in Tel Aviv ungestört eine der größten Homeland-Security-Messen (HLS&CYBER) statt, bei der sich die Welt inklusive Muslime aus der nahen und fernen Nachbarschaft die Klinke in die Hand geben, um an die in Israel kreierte, effiziente Verteidigungstechnologie von Morgen heranzukommen.
Ursache für den Raketen-Regen ist der andauernde Streit zwischen der PLO im Westjordanland und Hamas in Gaza. Seit Jahren versuchen beide erfolglos die Vorherrschaft für die palästinensische Causa an sich zu reissen und gaukeln der Welt ein Versöhnungsstück vor. Tatsache ist, dass PLO-Chef Mahmoud Abbas seit über einem Jahrzehnt Gaza nicht betreten hat. Vor wenigen Tagen erreichte aber ein Emissär aus Quatar mit einem Cash-Koffer das Elendsviertel Gaza. Inhalt: 15 Millionen Dollar als Anzahlung für ein 90-Millionen-Dollar-Geschenk der reichen Öl-Brüder. Damit werden die notwendigsten Löcher gestopft. Langfristige Hilfe schaut anders aus. Das besondere daran: der Geldbote ist über den Flughafen Ben-Gurion eingereist und wurde von Israelis zum Gaza-Grenzübergang Erez begleitet. Israel befindet sich in der Zwickmühle: Um die humanitäre Lage in der Enklave nicht außer Kontrolle geraten zu lassen, unterstützt der Judenstaat das Überleben der schuldlosen Leute, die von ihren Machthabern als Schutzschilde im Terrorkrieg gegen Israel missbraucht werden.
PLO-Chef Abbas fürchtet um seinen Palästinenser-Staat und um seine Einkünfte, wenn an ihm vorbei regelmäßig Millionenzahlungen nach Gaza fließen. Der Elendsstreifen mit einer 30km-Küste am Mittelmeer hat bessere natürliche Voraussetzungen zur Staatsgründung als das eingeschlossene Westjordanland, in dem inzwischen eine stetig wachsende 400.000 Israeli-Bevölkerung lebt. Wie will er seinen schein-diplomatischen Freunden von Venezuela über Brüssel bis Peking erklären, dass ihm das Heft der palästinensischen Causa immer mehr aus den Händen gleitet, er mit den Händen im Schoß zuschauen muss, wie Hamas/Gaza in den Mittelpunkt der Ereignisse rückt. Tatsache ist auch, dass der PLO-Chef von Israels Gnaden existiert. Die Regierung in Jerusalem achtet aus Eigeninteresse behutsam darauf, dass die Hamas-Zellen im Westjordanland nicht überhandnehmen oder gar die PLO besiegen wie 2007 in Gaza.
Der innerpalästinensische Streit trägt kuriose Früchte. Die PLO beschuldigt Hamas der Kollaboration mit Israel und USA mit dem Ziel, die Bevölkerung in Gaza gegen Hamas aufzuwiegeln. Hamas beweist seine Treue zum erklärten Ziel der Vernichtung Israels durch einen andauernden Raketenhagel.
Eine Lösung der Probleme wird seit 70 Jahren erfolglos gesucht. Es geht heute um eine Deeskalierung der Lage. Entweder durch einen Militärschlag Israels wie bereits dreimal in den letzten 11 Jahren durchgeführt. Den will Jerusalem vermeiden, auch deshalb, weil er nur vorübergehend Beruhigung bringt, Opfer kostet, teuer ist und das Ansehen bei den Europäern stört. Gehofft wird auf einen Waffenstillstand, hervorgerufen durch eine Allianz aus den reichen Ölstaaten und Ägypten, die Hamas und PLO genügend Geld geben und Gesichtswahrung ermöglichen. Langfristig müssen die Terroristen aus Gaza verbannt werden. Es gilt unverändert der Grundsatz: mit Terroristen gibt es keine Deals.