Wie schon beim Wähler der Grünen verabreden wir auch mit dem Wähler der Linken ein Telefongespräch, das wäre ihm lieber. Er könne dann freier erzählen, obwohl der Weg zueinander keine zehn Autominuten gebraucht hätte. Im Telefongespräch fällt auf, was wir schon in den Gesprächen zuvor beobachtet haben: Es wird kaum unterschieden zwischen EU- und Bundestagswahl. Ja, es scheint streckenweise sogar so, als würde man über eine Bundestagswahl sprechen. Der Europa-Bezug muss zwischendurch erinnert werden. Anonymität ist auch dem Wähler der Partei „Die Linke“ wichtig, ein öffentliches Bekenntnis diese Partei zu wählen, käme für ihn nicht in Frage, er vermutet da starke Vorbehalte der Anderen.
Dann kam lange nichts. Im Gegenteil: Der schleichende Prozess der Anpassung der Grünen an den Bonner und später Berliner Politikbetrieb war erschreckend und gipfelte in der Ungeheuerlichkeit, dass Fischer (Red.: Der damalige grüne Außenminister Joschka F.) einen Kriegseinsatz im Kosovo mit einem Auschwitz-Vergleich rechtfertigen wollte. Von da an waren die Grünen für mich Teil des Problems geworden.
Oskar Lafontaine ging damals den anderen Weg, er verweigerte sich. Dafür wurde er viel gescholten. Aber meinen Respekt hatte er. Und als seine WASG mit der PDS zu den Linken verschmolz, bekam er regelmäßig meine Stimme. Ich sah keine oppositionelle Alternative, die irgendetwas hätte bewirken können.
Warum überhaupt links? Nehmen wir die heutige politische Situation in Deutschland, dann fällt doch auf, dass wir seit Jahren dank erfolgreicher europäischer Wirtschaftspolitik vermeintlich so gut da stehen wie nie, dass sich aber erstmals in voller Wucht auch die dunkle Seite dieses zügellosen Neokapitalismus zeigte: Schauen Sie doch mal auf die Millionen Abgehängten in den Tafeln und anderswo.
Natürlich sehe ich auch die Probleme, die die Aufnahme von so vielen Flüchtlingen mitbringt. Aber ich orientiere mich da mehr an dieser Gruppe um Lafontaine und Wagenknecht, die alle anderen in der Partei zum Nachdenken bringen. Als Regulativ sind die Linken unerlässlich. Schwierig wird es, wenn weite Teile der Opposition ausfallen, wenn die Grünen und die FDP nur darum wetteifern, wer der nächste Juniorpartner der alten oder der neuen Merkel sein könnte. Die Linke hat das Glück, dass sie für die Union nicht in Frage kommen. Auch kein schlechter Grund, links die zu wählen.
Die AfD? Steht doch mit dem Rücken zur Wand. Ob die wollen oder nicht, die Ereignisse in Österreich werden Spuren hinterlassen. Schon alleine dadurch, dass von nun an jeder noch mehr die Lupe drüber hält. Jetzt wird immer auf Höcke und Gauland gezeigt, aber da sind doch mit diesem Niedersachsen (Red.: Armin-Paul Hampel) oder mit der von Storch noch weitere Kaliber, mit denen man nicht alleine in einem Raum eingesperrt sein möchte (lacht).
Für Europa wünsche ich mir – auch wenn das jetzt widersprüchlich klingt – eine selbstbewusstere politische Mitte aus Christdemokraten versus Sozialdemokraten. Die großen Volksparteien haben mit ihrer Kungelei Attraktivität verloren. Noch mehr, seit sie sich von den Grünen und von außerparlamentarischen Kräften am Gängelband herumführen lassen und deren Lied singen. Die Linken haben es jetzt viel schwerer, ihre natürliche Wächterfunktion auszuüben. Den Regierungsparteien ist es perfekt gelungen, den Blick der Opposition fast geschlossen auf die AfD zu lenken. Von sich weg. Seitdem dieses Gleichgewicht der Kräfte aus dem Lot ist, geht viele schief. Aber es wird noch schiefer gehen, wenn Deutschland den Gürtel enger schnallen muss. Ich wähle also links aus sehr gutem Grund.