Tichys Einblick
Der AfD-Wähler

Zur EU-Wahl: Gespräch mit Wähler der AfD

Zur EU-Wahl spricht TE jeweils mit einem Wähler der im Bundestag aktuell vertretenen Parteien und mit einem Nichtwähler. Die Gesprächspartner wurden willkürlich ausgewählt und bleiben anonym. Die Gespräche wurden aufgezeichnet und das geschriebene Wort abgeglichen.

Symbolbild

Getty Images

52 Jahre alt, seit über dreißig Jahren im selben Industriebetrieb arbeitend, zwei Kinder. Nach zwei Beziehungen alleinlebend, „aber auf eine angenehme Weise mit dem Leben im Reinen“, wie er selbst über sich sagt, als TE ihn auf eine Autofahrt in den nahen Elm begleitet. Hier will er uns ein kleines Fachwerkhäuschen zeigen, dass er von seinen Großeltern mütterlicherseits geerbt hat und das er, wenn die Rente da ist, vielleicht bewohnen möchte.

Die CDU-Wählerin
Zur EU-Wahl: Gespräch mit Wählerin der CDU
Ob das nicht zu einsam sei, fragen wir, als wir am Waldrand an einem verwunschenen Häuschen angekommen sind. „Nein“; antwortet er, das wäre eben einer der wenigen Vorteile der gescheiterten Beziehungen: „man lernt ganz gut, mit sich selbst zufrieden zu sein. Auch weil man es ja muss.“

Wir setzen uns auf die Veranda, er serviert handgefilterten Kaffee.

„Ich gehe wählen. Ich spüre da aus meiner Erziehung eine innere Verpflichtung, mich zu beteiligen, auch wenn ich nicht das Gefühl habe, mit meiner Stimme irgendetwas bewirken oder verändern zu können. Zufrieden bin ich mit den Zuständen im Land schon lange nicht mehr. Bisher habe ich ja immer konservativ gewählt. Ganz früher gab es mal einen Ausreißer, damals wählte ich die Grünen. Naturverbunden dachte ich, die werden zwar nicht regieren, aber wenn sie mitregieren, das wäre vielleicht mal nicht schlecht.

Mit der zunehmenden Veränderung in der Gesellschaft habe ich aber schnell wieder Abstand davon genommen und wieder CDU gewählt. Bei der letzten Wahl habe ich mit beiden Stimmen AfD gewählt. Bauchschmerzen? Nein, hatte ich damit keine. Aber ich habe in der Wahlkabine schon mal nach rechts und links geschaut, ob mich jemand sieht. (lacht)

Warum ist ganz einfach: Es gilt ja doch als gesellschaftlich anrüchig, diese Partei zu wählen. Allerdings hatte ich das Gefühl, wenn ich der AfD meine Stimme gebe, wähle ich eigentlich weiterhin die CDU. Nur das diese CDU längst nicht mehr das vertritt, was sie nach meinen Gefühl jahrzehntelang vertrat. Das fing übrigens schon in den 1980ern mit der Zuwanderungspolitik an, als ich mich ausschließlich durch die Union vertreten sah und das heute nicht mehr tue.

Als Mitarbeiter eines Industriekonzerns fühlte ich mich auch wirtschaftspolitisch am besten von der CDU vertreten. Uns Mitarbeitern ging es immer dann am Besten, wenn auch der Konzern am meisten verdiente. Saßen die oben vor einem großen Kuchen, dann krümelte es auch kräftig auf den Werkhallenboden. (lacht)

Wenn sich seit Jahren sogar unsere Betriebsratsvertreter von ihrer Hauspartei SPD abwenden und heute sogar via Bild-Zeitung davon abraten die Sozialdemokraten zu wählen, so ist auch der positive Schrödereffekt längst verpufft und auch diese Partei unwählbar.

Seit ich vor dreißig Jahren als Industriefacharbeiter in der Fabrik angefangen hatte, begleiten mich natürlich auch viele Kollegen, die von älteren noch als „Gastarbeiter“ bezeichneten wurden, obwohl teilweise schon hier geboren. Die Andersartigkeit dieser Kollegen in religiöser und kultureller Hinsicht wirkte auf mich damals nicht bedrohlich, da ich durch die Kohl-CDU nie das Gefühl hatte, dass das ausufern und die Gesellschaft gegen unsere Willen verändern könnte. Seit Merkel an der Macht ist, ist das anders geworden.

Das Erstaunliche ist, sogar deutsche Kollegen, die mit der zweiten Generation Türken zur Schule gegangen sind, später mit ihren türkischen Mitschülern und Mitarbeitern und deren Frauen ihre Freizeit verbrachten, wundern sich heute über die Veränderungen, die mit der Migrationswelle ab 2015 auch die eigentlich längst integrierten türkischen Mitarbeiter erfasst hat: Die Ehefrauen der türkischen Freunde, die einst mit ihnen im Bikini im Stadtbad schwommen, tragen heute teilweise Kopftuch und versuchen einem Gespräch über die guten alten Zeiten aus dem Weg zu gehen. Manchmal grüßen sie schon gar nicht mehr.

Und die Männer im Betrieb gehen immer öfter während der Arbeitszeit ihrem innerbetrieblichen Recht nach Gebet nach, was nur die erste Generation noch sporadisch machte, die zweite gar nicht mehr und die dritte nun teilweise wieder.

In mir wächst das Gefühl, dass diese Gruppe nicht mehr bestrebt ist, sich zu integrieren, sondern sich nun stark genug fühlt, ihre eigene Kultur und ihre Art zu leben in unserem Land ausleben zu können ohne Rücksicht auf unsere Kultur. Das halten sie nicht mehr für nötig. Das ist auch ein Grund warum ich auf gar keinen Fall links oder grün wählen würde. Weil ich das Gefühl habe, dass diese Parteien eben genau das wollen: Eine neue Gesellschaft bauen ohne uns zu fragen, ob wir das überhaupt wollen.

Ich wähle AfD nicht, weil ich das Gefühl habe, dass diese Partei irgendetwas ändern könnte, auch gefallen mir deren Slogans nicht. „Heimat und Volk“ sind nicht die Schlagwörter, zu denen ich aufschaue, viel lieber wäre mir eine Partei mit Schlagwörtern, die unsere in siebzig Jahren gewachsenen Werten vertreten, Werte aus Humanität, Aufklärung, Frauenrechten. Es geht um Werte, nicht um Heimat und Volk. Das sind doch dröge Begriffe. Menschenskinder, mit Werten könnten sie viel besser Wähler ziehen, aber da sitzen wohl immer noch ein paar Torfköpfe vom ganz alten Schlag. (lacht)

Dennoch wähle ich AfD. Aber ich warte immer noch auf die Partei, die unabhängig von Volk- und Heimatbegriffen ihr Augenmerk auf den Verlust unserer weltweit einzigartigen Werte legt: Das ist übrigens meines Erachtens nach auch in den skandinavischen Ländern zu beobachten.

So gesehen bin ich dann doch wohl nur ein Protestwähler. Allerdings in der Hoffnung, dass aus dem Protest bei den etablierten Parteien die Angst vor Stimmenverlusten dazu führt, dass speziell meine ehemalige Partei, die CDU/CSU sich wieder darauf besinnt diese Rolle zu übernehmen.“


Morgen: Zur EU-Wahl: Gespräch mit Wähler der Grünen


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