Ein Twitter-Nutzer missversteht den Hashtag verzweifelter Einzelhändler, der Fitness-Branche und von Gastromomen absichtsvoll falsch. Er twittert zu #WirMachenAuf, er fände die Aktion gut, es würde ja auch Zeit, „dass wir die aus Moria endlich aufnehmen.“ Er meint die Aufnahme von Migranten aus dem Camp auf den griechischen Inseln.
Dieses Kapern eines Hashtags ist nur bedingt lustig, denn es gibt in Deutschland Hunderttausende von Selbstständigen, Angestellten, Studenten und weiteren Bürgern, die unmittelbar davon betroffen sind, dass Einzelhandel, Fitness-Einrichtungen und Gastronomie trotz oft weitreichender Hygienemaßnahmen geschlossen bleiben müssen. Diese gewichtige Gruppe nun auszuspielen gegen die Migranten auf Moria, kann man durchaus schäbig finden. Erst recht, wenn das hier als eine Art Faustpfand angesehen würde: Erst Moria, dann Laden auf bzw. Bier über den Tresen.
Wie sieht es aus mit Hygienekonzepten in Bussen, Straßenbahnen und Zügen? Wie oft sind da beispielsweise an den Zugängen zu den Großraumabteilen Desinfektionsmittel kontaktfrei verfügbar? Wie oft und wie gründlich werden die Sitze dort von Reinigungsfachpersonal desinfiziert? Und vor allem: Wer überprüft eigentlich die hinreichende Sicherheit der von den Fahrgästen und dem Personal getragenen Masken?
Es gibt Fragen genug, die es keineswegs rechtfertigen, die Hygienekonzepte des Einzelhandels, der Fitness-Branche und der Gastronomie einfach wegzuwischen. Zweifellos ist ein Restrisiko verhanden. Aber was wiegt schwerer? Dieses Restrisiko oder die ohne jeden Zweifel prekäre und immer prekärer werdende Situation derer, die finanziell vom Einzelhandel und der Gastronomie abhängen? Die versprochenen Novemberausfallgelder? Die sind noch immer nicht gezahlt. Sie sollen, so versprachen die Kanzlerin und die Länderregierungschefs nach ihrem jüngsten Treffen, nun endlich ab dem 10. Januar ausgezahlt werden. Kommen sie nicht bald, werden wohl viele Betroffenen Hartz IV beantragen müssen, mit allen damit verbundenen Folgen auch für ihre Selbstständigkeit. Die nämlich kann unter Hartz-IV-Bedingungen nicht einfach so weiter laufen. Aufstocken?
Die fast zeitgleich auch für Österreich und die Schweiz ausgerufene #WirMachenAuf- Protestaktion sind Verzweiflungstaten. Denn zunächst einmal lohnt sich so ein Aufmachen, sollte es nicht nur symbolisch, sondern auch monetär funktionieren, nur, wo insbesondere Gastronomen nicht nur Personal anfordern, sondern auch Lebensmittel vorhalten, Mittel für die Hygiene-Maßnahmen zukaufen müssen usw., um den Betrieb gewinnversprechend wiederzueröffnen. #WirMachenAuf erfordert also über das reine Türöffnen hinaus ein Investment. Das hatte schon Gastronomen davon abgehalten, an eine Weihnachtsplanung zu denken, als das Öffnen an Weihnachten 2020 noch als vage Option zur Diskussion stand.
Anstoß zur Aktion gab der Besitzer eines Kosmetiksstudios, die Betreiber eines Rosenheimer Sportgeschäftes zogen nach. Eine örtliche Zeitung formulierte, das Sportgeschäft wolle ab kommenden Montag den „Aufstand gegen Lockdown“ versuchen – „egal wie“.
Sein Vorhaben hatte der Ladenbesitzer, dem noch vier weitere Sportläden gehören, in einem offenen Brief an den Bayrischen Handelsverband verkündet. Die Aktion ging viral, fand viele Nachahmer, die sich ebenfalls anschließen wollten. Aber die hier schon eingangs erwähnte Aktivisten machten dem Rosenheimer einen Strich durch die Rechnung. Der von der Politik billigend in Kauf genommene bzw. aktiv beförderte Graben quer durch die Gesellschaft funktionierte: Der Rosenheimer zog seine Teilnahme an der Aktion zurück. Er wolle nicht mit Rechten zusammengehen, er sein kein Querdenker, erklärte er gegenüber den Medien, die das gerne und dankbar aufnahmen.
Den Querdenkern allerdings wurde jüngst sogar vom BKA bescheinigt, nicht rechts zu sein. Es sei nicht einmal erkennbar, dass sich daran in Zukunft etwas ändern könnte. Ist der Rosenheimer nun ein Opfer der Querdenker oder eher der Medien und der Politik, die die Erkenntnisse des BKA ignorieren? Zunächst einmal ist er Opfer der Corona-Maßnahmen.
Der Sportwarenhändler betont, er sei ein Befürworter einer offenen Diskussion. Gleichwohl lässt er sich aber vor den Karren jener spannen, die eben genau das nicht zulassen wollen. Der Mann allerdings verfügt über keine Lobby, ihm ist sein Rückzug daher kaum vorzuhalten – zumal ja noch nicht einmal restlos ausdebattiert ist, ob das Vorhaben an sich nicht bereits fragwürdig war. Aber dazu kam es nicht, viel einfacher war es, die bekannte Nazi-Diffamierungskarte zu ziehen und dem Mann und der Bewegung damit massiv Angst zu machen.
Michael Ballweg, der Gründer der Querdenker rief übrigens neulich per Presseerklärung die Regierung dazu auf, jetzt einen viel schärferen Lockdown zu machen, damit dieses Theater ein Ende hätte, lieber ein harter Lockdown mit Schrecken als ein weicher ohne Ende, oder so ähnlich, hatte er es formuliert. Ernst gemeint? Viele Anhänger werden sich diese Frage gestellt haben.
#WirMachenAuf könnte nun tatsächlich eine neue Bewegung sein, deren Potential gemessen an den Betroffenen mindestens so groß sein dürfte wie das der kontaminierten Querdenker, die für die Bundesregierung und die Alt-Medien in besseren Zeiten zu einer echten Herausforderung geworden waren.
Gemessen am raschen Erfolg der Querdenker werden die Diffamierungs-Maßnahmen über die von vom Staat quersubventionierten Nichtregierungsorganisationen und Sympathisanten gegen #WirMachenAuf verständlich. Man ist alarmiert und setzt so schnell wie möglich seine Fußsoldaten in Bewegung. Ab Montag also auch Antifa gegen geöffnete Sportläden? Der Rosenheimer Sportladenbesitzer ist Geschäftsmann, also geht er in Deckung.
#WirMachenAuf war übrigens von der Grundidee her bereits im Dezember ein Thema u.a. in den Niederlanden. Hier schlossen sich frustrierte Selbstständige – vornehmlich Gastronomen zusammen, um am 17. Januar den Lockdown in ihrem Land zu durchbrechen. Die Niederländsichen Gastronomen sind sich übrigens hinsichtlich der Infektionsketten relativ sicher: „Wir sind überzeugt, dass unsere Branche nicht das Problem ist.“