Sind Sie über 50 und waren Sie in diesen Tagen mal in Parks oder sonst wo im öffentlichen Raum unterwegs? Da begegnet Ihnen möglicherweise ein ganz anderes Bild, als es die Nachrichten mit dystopischen Aufnahmen von leeren Innenstädten erzählen: Fröhliche junge Leute, welche die ersten Vorfrühlingssonne genießen, schon den Grill angeschmissen und das Bier kistenweise dazu gekauft haben. Viele von ihnen noch dazu befreit von Zwängen, weil Schulen geschlossen oder weil sie vom Arbeitgeber ins Home-Office entlassen wurden, also der Kontrolle der Arbeitsleistung weitestgehend entzogen sind. Achten Sie beim Vorbeigehen bitte einmal auf die Blicke. Schauen die jungen Leute anders als sonst? Spüren sie schon diese neue Distanz? Fühlen Sie sich mit Blick auf das Corona-Virus auf einmal zur Alterspyramide der Gefährdeten zugehörig?
Noch vor wenigen Jahren wurde ein Clash der Kulturen prognostiziert und die Massenzuwanderung mehrheitlich muslimisch geprägter junger Männer hat ihren Anteil daran, diese Befürchtung näher in den Fokus zu rücken. Jetzt könnte dieser Konflikt von einem Clash der Generationen in den Hintergrund gerückt werden. Und zwar auf elementare Art und Weise, wenn es im Wortsinne eine Auseinandersetzung auf Leben und Tod ist: Hier die schon immunisierten jungen Menschen, die sich durch engen Kontakt nahezu ungefährdet gegenseitig anstecken, milde Krankheitsverläufe durchmachen und dann immunisiert gegen alles gefeit sind – und dort die Älteren, die Gefahr laufen, daran zu sterben, die darauf hoffen müssen, dass die Jungen nicht zu viele Alte in zu kurzer Zeit anstecken, damit die Instrumentemedizin nicht völlig zusammenbricht, wenn Beatmungsmaschinen fehlen, weil zu viele todkranke Alte auf einmal angeschlossen werden müssen.
War Aids ab den 1980er Jahren noch die Seuche der Jungen, ist Corona die der Alten – zwar längst nicht so tödlich, aber eben hochgradig infektiöser.
Jetzt könnte es in gewisser Weise eine Renaissance dieses Phänomens geben, nur dass die Protagonisten nicht selbst dem Tod geweiht sind wie die damaligen HIV-Infizierten, sondern nur anderen den Tod bringen – präziser: Älteren.
Wer sie explizit sucht, wird sie im Netz finden: Die Verschwörungstheorien, die besagen, dass diese jungen Immunisierten die ersten sein werden, die per fälschungssicherem und deshalb implantiertem Chip wieder Clubs, Bars, Konzerte und Festifals usw. besuchen dürfen quasi als Immunitätsschickeria.
Bis vor wenigen Jahren sah es so aus, als gäbe es keinen Generationenkonflikt mehr, also keine Konflikte zwischen alt und jung, die bis dahin zum festen Bestandteil der Zivilisationsgeschichte gehört hatten – als natürliche Emanzipationsbewegungen der jungen aus den Fittichen der Alten quer durch alle Kulturen.
Der Jugendkult hatte aus Alten ewig Junge gemacht und die Jungen waren im Gegenzug bereit, die Kultur der Alten teilweise zu adaptieren, statt die Mühen auf sich zu nehmen, sich radikal neu zu erfinden. Der Freitag titelte Anfang 2018 noch: „Es gibt keinen Generationenkonflikt“ und wehrte sich damit gegen Figuren wie Kevin Kühnert, der als Juso-Chef zum Angriff auf die seiner Ansicht nach überalterten SPD-Kader trompetet hatte.
Der Hashtag #diesejungenleute drückte die Sehnucht der Jüngeren nach einer umfassenden Selbstbeschreibung, also nach einem Konflikt mit den Älteren aus. Erstaunlich war hier lediglich die Herleitung der These im Freitag, wo es hieß, diese Alten und Jungen säßen quasi im selben Boot, weil doch die Altersarmut eine Verwandte der Generation Praktikum wäre. Beide Gruppen wären Opfer einer „Entsolidarisierung“ und eines „ökonomischen Drucks“, sie ständen quasi auf der selben Seite der „Klassenfrage“.
Und die IG-Metall schrieb in ihrer Gewerkschaftszeitung 2018 unterstützend: „Generationenkrieg? Gibt es nicht.“
Die Zeit sah das Ende 2019 allerdings schon deutlich anders, als das Wochenblatt den „Generationenkonflikt“ ausrief und die New York Times auch von einem „Generationenkrieg“ sprach. Fast schon beschwörend sagte der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann gegenüber der Zeit, die Jungen hierzulande wollten doch Konflikte „konstruktiv aushandeln und diskutieren“. Das würde auch die deutsche Fridays-for-future-Bewegung zeigen, „die zwar der Eltern- und Großelterngeneration ins Gewissen redet und die kurzzeitige Politik vergangener Jahrzehnte anprangert, aber das bislang ohne Krawall“. Nun ist Hurrelmann selbst bald 80 Jahre alt – wir dürften es ihm also gar nicht verdenken, wenn der Sozialforscher hier auch ein stückweit persönlich involviert wäre.
Wer hat also Recht? Hat spätestens mit Greta Thunbergs Schuldzuweisung der Klimakatastrophe an die Eltern- und Großelterngeneration der Clash der Generationen begonnen? Könnte man denken. Aber möglicherweise ist auch das zu kurz gedacht, wenn im Hintergrund dieser vermeintlichen Jugendbewegung die Alten die Strippen ziehen oder wenn es die Parents-for-future sind, die doch letztlich von dieser ungestümen Jugendbewegtheit profitieren, wie es beispielsweise der Aufmerksamkeitsboom um den möglicherweise zukünftigen Bundeskanzler Robert Habeck (Grüner Babyboomer) so wunderbar vorführt.
Scheingefechte hin oder her: Die Corona-Pandemie könnte diese Debatten über einen Generationenkonflikt jetzt jäh beenden, wenn die Alten vor ihrer größten Herausforderung stehen, bald reihenweise von einem neuartigen Virus dahingerafft zu werden, während die Jungen eben jene Alten von morgen sind, die per Gnade der späten Geburt bereits immunisiert sein könnten (sicher ist das bisher nicht), wenn sie das Alter der Hochrisikogruppen erreichen.
Die von Greta Thunberg via Klimadebatte infizierte Auseinandersetzung der Babyboomer versus Millenials ist vom Corona-Virus überrollt und letztlich zum Konflikt um Leben und Tod geworden. Besonders interessant zu beobachten sind dabei jene, die altersmäßig an der Grenze stehen und nun meinen, sich zuordnen müssen nach dem Motto: Entweder bist du für uns oder gegen uns. Jung oder tot.
Meike Lobo, die Frau des Spiegel-Kolumnisten Sascha Lobo, zeigte zuletzt eindrucksvoll, wie das geht. Die gar nicht mehr ganz so junge Frau Lobo suchte per Twitter den Weg der maximalen Distanz zu den Alten, indem sie sich quasi bei den Immunisierten andiente: Bei Corona handele es sich doch um einen „der natürlichsten und für die Population gesündesten Vorgänge der Welt“: „Das Sterben alter Individuen“. Warum würde dieses Sterben plötzlich zur Ungeheuerlichkeit?
Meike Lobo muss sich also schnellstens immunisieren als Zeichen ewiger Jugend. Dafür spricht sie sich wieder über Twitter selbst Mut zu: „Sterbefortschritt liegt aktuell bei 67%. Nebenhöhlen eitrig, Kopf gespalten, Glieder mit Streckbankfeeling, aber Coronaangst will immer noch nicht aufkommen.“ Die Arme. Man ahnt, wie schmerzhaft es sein muss, noch zur Unerschrockenen-Schickeria dazugehören zu wollen. Zu jenen, die in den ersten Vorfrühlingssonnenstrahlen in knapper Sportbekleidung in öffentlichen Calisthenics-Parks ihre Viren ausschwitzen und ihre jungen Körper trainieren. Dazu passt dann eine aktulle Nachricht, eine vehemente Warnung der Robert-Koch-Instituts vor „Corona-Partys“.