Tichys Einblick
Ansprüche von Asylbewerbern in Leipzig

Wenn angebotene Wohnungen abgelehnt werden

Aufregung in Leipzig: Asylbewerber sollen hier vielfach ihnen angebotene Wohnungen abgelehnt haben, meldete unter anderem "Bild". Und das, obwohl einige von ihnen schon zwei Jahre in Sammelunterkünften der Stadt untergebracht sind. Eine genauere Recherche fördert weiterreichendes zutage.

Leipzig

imago Images/Westend61

In Leipzig leben derzeit knapp zweitausend Zugewanderte in Gemeinschaftsunterkünften, deren Bewohner – nicht zuletzt aus integrativen Gründen – längst in Wohnungen untergebracht worden sein sollten. Aber so richtig geht es damit nicht voran.

Warum das so schleppend geht, wollte der Leipziger Stadtrat schon im Januar 2019 von der stadteigenen Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) wissen. Die nämlich verfügt immerhin über mehr als 35.000 Wohnungen. Sie sollte das Problem also eigentlich lösen können, gehört sie mit ihrem Bestand doch zu den großen kommunalen Wohnungsgesellschaften in Deutschland.

Auf ihrer Webseite wirbt die LWB damit, dass sich unter ihrem Dach „Menschen unterschiedlicher Herkunft zuhause“ fühlen würden. Aber einige tun das offenbar weniger als andere oder gar nicht, wie jetzt bekannt wurde, nachdem die LWB dem Stadtrat auf dessen Anfrage berichtete.

TE fragte bei der Pressestelle der Stadt Leipzig nach, die an die Presseverantwortliche der LWB verwies. Dort wird zunächst mitgeteilt, dass die Bild-Zeitung unkorrekt von einer Genossenschaft schreibt, man wäre aber eine GmbH. Ansonsten Fragen bitte schriftlich. Machen wir.

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Zwischenzeitlich ein paar Gedanken zu Wohnungsbaugesellschaften. Beispielsweise der Rat der Stadt Osnabrück hat gerade erst im Sommer dieses Jahres einstimmig eine eigene Wohnungsbaugesellschaft (WIO, „Wohnen in Osnabrück“) gegründet. Dort sollen in den kommenden zehn Jahren eintausend Wohnungen für niedrige und mittlere Einkommen angeboten werden. Ziel ist es hier, 40 Prozent der neu gebauten Wohnungen zum sozialen Wohnungsbau zu zählen und für derzeit 5,80 Euro pro Quadratmeter zu vermieten. Osnabrück koppelt die Gesellschaft übrigens an die Stadtwerke, die dann, so berichtete der NDR, „die Bewohner mit Strom, Gas und Internet versorgen könnte.“ Das klingt spaßig, denn selbstredend sollte das für alle anderen Bewohner von Osnabrück doch ebenso gelten – verschenken werden es die Stadtwerke auch an ihre zukünftigen Schützlinge eher nicht, dafür sorgt schon das Sozialamt.

Was da in Osnabrück passiert, ist übrigens keine Seltenheit. Auch beispielsweise die Kieler Ratsversammlung gründete im Herbst mit großer Mehrheit von SPD, Grünen und FDP 2019 eine Wohnungsbaugesellschaft – und das übrigens etwa 20 Jahre nachdem rund 10.000 kommunale Wohnungen (KWG) verkauft worden waren. Der Oberbürgermeister nannte den damaligen Verkauf der kommunalen Wohnungen jetzt einen „historischen Fehler“, der nun behoben werde. Ähnlich geht es vielen Kommunen heute mit ihren privatisierten Energieversorgern. Eine Stadt soll es sogar geschafft haben, den Begriff „Stadtwerke“ an privat zu verhökern.

Aber zurück nach Leipzig zur LWB, da dauert es länger, der Fragenkatalog war ja umfangreich, aber die Kommunikationsabteilung bemüht sich sehr und sendet eine Vorabinformation mit einer Reihe von Verlinkungen in ein „Bürgerinformationssystem“ der Stadt. Das sei im Übrigen öffentlich verfügbar. Wer sich allerdings den kryptisch wirkenden Aufbau dieser Systeme einmal anschaut, der ahnt, wie wenig öffentlich so etwas tatsächlich ist. So hat die Pressestelle selbst ihre Schwierigkeiten, mindestens ein zugesandter Link endet im digitalen Nirvana.

Aber dann findet sich ein „regelmäßiger Bericht der LWB zum Listenverfahren gemäß Beschluss der Ratsversammlung“.

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Ein Listenverfahren angewandt für Wohnungsinteressenten mit Migrationshintergrund, mit einem Aufenthaltstitel ab einem Jahr und ohne eigenes Einkommen und weitere Personengruppen. Erwähnt wird dort von der LWB unter anderem, dass bei Wohnungsanfragen von der genannten Gruppe der Migranten – also nicht nur „Asylbewerber“ wie BILD schreibt – bei der Auswahl von Bewerbern mit Aufenthaltstitel länger als ein Jahr darauf geachtet werden würde, dass in diese Betrachtung auch die Zusammensetzung der Hausgemeinschaften mit einflösse. Erfahrungen vor Ort wären da hilfreich. Auch das fragen wir genauer nach.

Weiter gab es beispielsweise im vierten Quartal 2019 genau 132 Anfragen aus dieser Gruppe von denen 13 eine Wohnung bekommen bzw. das Angebot nicht abgelehnt hätten. In der Hauptsache nachgefragt wurden von dieser Klientel 1-Raum- bzw. 4-Raum-Wohnungen.

Und die LWB nennt dem Rat der Stadt Gründe für die Ablehnung der Wohnungen: Die Wohnung sei zu weit weg vom Stadtzentrum gelegen, bekäme man zu hören. Ebenso, dass die angebotenen Wohnungen den individuellen Ansprüchen nicht gerecht werden, die Wohnungen wären oft zu klein und der maximal vom Sozialamt bezahlte Wohnraum würde vom Angebot nicht abgedeckt werden.

Im ersten Quartal 2020 gab es dann 158 Anfragen gegenüber 6 Neuvermietungen.

Sind diese Bewerber wirklich zu anspruchsvoll? Den Eindruck jedenfalls vermittelt nicht nur der Artikel der Bild, die Faktenlage selbst bestätigt die Annahme.

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Ebenso erfährt man, dass in Leipzig Ende Juni 2.866 Personen lebten, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen und weitere 9.530 Personen „im Kontext von Fluchtmigration“ in Leipzig Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II erhielten. Weitere 538 Personen waren Ende Juni ebenfalls noch in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht.

Interessant hier am Rande, dass die größte Gruppe der „neuzugewiesenen Leistungsberechtigten“ in Leipzig 2020 aus Venezuela kam.

Zurück zum großen Ganzen: Alle Personen, für die die Stadt Leipzig per Zuweisung eine Unterbringungspflicht hat, werden von der Stadt in Gemeinschaftsunterkünften, Übergangswohnheimen oder Gewährleistungswohnungen (Einzelwohnungen der Stadt ohne eigenen Mietvertrag) untergebracht. Interessant hier, dass diese Gruppe als auf dem Papier Wohnungslose oft auch als Obdachlose mitgezählt werden.

Weiter heißt es, dass in Leipzig 1.124 Personen in einer Gewährleistungswohnung untergekommen sind. 644 davon sind Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Weitere 881 Personen dieser Gruppe lebten bereits in Wohnungen mit eigenem Mietvertrag.

Etwas mehr als die Hälfte der Leipziger Asylanten wohnt aktuell dezentral untergebracht, also außerhalb von Sammelunterkünften und selbstbestimmt in eigenen Wohnungen.

Bild berichtete, warum Asylbewerber Leipziger Wohnungen ablehnen. TE wollte von der Wohnungsgesellschaft der Stadt Leipzig (BWL) wissen, was es damit genauer auf sich hat. So wollten wir unter anderem wissen, ob die Asylbewerber eigeninitiativ fragen oder ob auch die Sozialämter für ihre Klientel bei der LWB vorsprechen.

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Interessant auch zu wissen, ob die Gesellschaft bei den Bewerbungen Schufa-Auskünfte verlangt. Haben wir nachgefragt. Das ist deshalb erheblich, weil sich relativ neu in Deutschland aufhaltende Zuwanderer diesen Eintrag in der Regel nicht haben (können), im Gegensatz zu deutschen Bewerbern, die häufig vor dieses Problem gestellt werden. Eine Frage war also, ob Deutsche hier eventuell auf besondere Weise von einem quasi städtischen Unternehmen benachteiligt werden.

Weiter wollten wir von der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) u.a. wissen: Haben Sie negative Erfahrungen gemacht mit der Wohnraumvermietung an ehemalige Unterkunftsbewohner? Gibt es Konflikte zwischen einheimischen und ausländischen Mietern – wenn ja, in welcher Form?

Fragen, welche die Kommunikationsabteilung erst noch durch die Fachabteilungen der LWB schicken möchte, aber eine Beantwortung so rasch wie möglich zugesagt hat. Wir liefern diese hier an dieser Stelle also nach, sobald diese bei uns eintreffen.

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