Wenn Pazifisten eine Bundeswehr dennoch für nötig erachten, dann wird’s komisch. Sich die Idee anzueignen, deutsche Soldaten könnten sich jemals davon lösen, Nachfolger der Wehrmacht zu sein, das wäre so, als würde man versuchen, die Evolution zu leugnen. Die Diskussionen zur Wiederbewaffnung hatten das schon 1955 deutlich gemacht. Nicht nur in der Debatte, sondern im rekrutierten Wehrmachtspersonal von der Spitze bis runter zum einfach Gefreiten.
Kein Notausgang aus der Geschichte
Die Linken-Politikerin Ulla Jelpke hat schon Recht, wenn sie kritisiert, die Bundeswehr sei eine Traditionssäule der Wehrmacht. Aber sie übersieht dabei die Unvermeidbarkeit. Es war schlicht kein anderes Personal zu finden. Hitler hatte keine Reservearmee übrig gelassen, die unbeschmutzt geblieben wäre. Mit dem Fahneneid war alles vorbei und Spätzünder Stauffenberg stand nicht mehr zur Verfügung.
Der Inspekteur der Luftwaffe von 1966 bis 1970 Johannes Steinhoff, für den Aufbau der Luftwaffe maßgeblich verantwortlich, war ein bekannter Jagdflieger mit 176 Abschüssen. Er trug in seinem Gesicht unübersehbar die Narben eines mißglückten Starts mit einem Jäger von Messerschmidt – ein grauenhaftes, schauerliches Bild, vermutlich zu schockierend für eine Ministerin die sich sonst um Flat-Screens kümmert. Und es ist doch gelebte und erlittene Geschichte, kein Einzelfall. Der Minister und Vizekanzler Mende trug sein Ritterkreuz bei offiziellen Anlässen. Bundeskanzler Schmidt und Bundespräsident Richard von Weizsäcker waren Offiziere der Wehrmacht. Helmut Schmidt war von 1939 bis 1945 Soldat. Dabei kämpfte er an der Ostfront in einer Panzerdivision, und war zuletzt an der Westfront als Oberleutnant und Batteriechef eingesetzt. Müssen wir uns seiner schämen? Jetzt wurde ein Bild von Helmut Schmidt in Uniform ausgerechnet an der nach ihm benannten Helmut-Schmidt-Universität abgehängt. „Nicht zwingend“ sei dies geschehen, eiert ein von-der-Leyen-Sprecher herum. Es ist eine Distanzierung im Stil der Ministerin: Halbgar und in der Sache dumm – und doch Ausdruck dieser seltsamen, von der Ministerin angeordneten Durchsuchung der Kasernen nach Wehrmachtsandenken. Sie wird viel finden. Es gibt keinen Notausgang der Geschichte. Werden demnächst auch Bücher verbrannt, aus der Helmut-Schmidt-Bibliothek, die der Ministerin und ihrem kindischen Umgang mit der Geschichte nicht behagen? Untergegangen ist, dass die Ministerin von „Säuberungen“ sprach, die sie in der Bundeswehr durchführen wolle. Das ist nicht Aufklärung, das ist die verräterische Sprache des Stalinismus. Und sie wird fündig werden, vor ihrer Haustür.
Fündig beim Wachbataillon
Das Wachbataillon präsentiert das Gewehr, und es ist der Mauser-Karabiner der Bundeswehr, der das Hakenkreuz erst 1995 vom Verschluss abgeschliffen wurde (aus Mendes und anderer Ritterkreuz von Anfang an entfernt). Die Bundeswehr schießt mit dem Standard-MG-45, von der Wehrmachtswaffe abgeleitet; nur eine „Nato-Feder“ wurde eingebaut; sie reduziert die Feuergeschwindigkeit von 1.500 auf 800 Schuss in der Minute. Hat für die Nato anders als für die Wehrmacht Munition sparen Vorrang?
Nun wäre es auch komisch, anzunehmen, man könne eine Bundeswehr aufbauen, die überhaupt keiner Traditionen verpflichtet ist. Es liegt leider im Wesen des Militärischen, das Heldenhafte mitzudenken, gar einzufordern. Militärische Ausbildung heißt Überwindung von Schmerzgrenzen. Dafür braucht es Orientierung, Vorbilder von Gestern. Irgendein Gandhi taugt dafür ganz sicher nicht. Und woher hätte man den nehmen sollen 1955? Gut, man kann sich immer neu orientieren. Aber auslöschen geht nicht. Aber orientieren an was? Es gab nach 1955 keine gerechten Kriege – wenn es sie überhaupt je gegeben hat – die neue Bundeswehr-Helden geboren hätten. Die späten Auslandseinsätze der Bundeswehr waren letztlich erweiterte Polizeieinsätze.
„Nie wieder Krieg!“ hieß eben nicht weiter: Dank einer starken Wehr, sondern: Ohne Militär. Erst ein Joschka Fischer ermöglichte den ersten Kriegseinsatz nach dem zweiten Weltkrieg. Und er argumentierte dabei an der Seite der damaligen US-amerikanischen Außenministerin mit Auschwitz. Nicht nur für viele Grüne war das nicht nur unanständig, sondern ein Sakrileg. Die Abkehr von einem den Grünen in die DNA geschriebenen Pazifismus im antifaschistischen Gewande. Mit dem Ergebnis eines ordinären Angriffskrieges.
Der Bürger in Uniform ist eine Fantasie. Der Journalist Jakob Augstein, der immer so verzweifelt auf der Suche ist nach der einen zündenden Debattenthese, erklärt zum aktuellen Bundeswehrskandal: „In der Bundeswehr darf kein Platz sein für perverse Sex-Nazis und Wehrmachtsromantiker.“ Komisch, denn eigentlich dürfte doch nirgends Platz sein für „perverse Sex-Nazis“.
Nein, der im Zweifel Linke hat sogar gedient, wo sich andere durch etliche Verhandlungen quälen mussten, um ihrem Pazifismus zu erklären und den um Monate längeren Zivildienst antreten zu dürfen. Für Augstein sind diese Kriegsdienstverweigerer, die eben keine „perversen Sex-Nazis” sein wollten, debattenuntauglich. Der Ziehsohn Rudolf Augsteins, der selbst in die Fußstapfen seines Wehrmachtsoffiziers-Vaters stieg, sprach nun sogar seinem SPON-Kolumnen-Kollegen Jan Fleischhauer die Kompetenz ab, sich überhaupt zu diesem Themenkreis zu äußern:
„Nun war Kollege Fleischhauer gar nicht bei der Bundeswehr. Vielleicht fehlt ihm darum ein bisschen die Empathie. Aber perverse Sexrituale und Nazischrott haben in der Bundeswehr nichts zu suchen. Und wer das kleinredet, dem ist die Truppe egal.“
Was da mitschwingt, ist natürlich ein Vorbundeswehr-Korpsgeist, wie ihn die Bundeswehr selbst nie hätte bilden können. Und dann ahnt man die Geschichten am Kamin der Augsteins, wenn der Vater dem Jungen, der das erste Mal in Ausgehuniform vor ihm steht, die alten Haudraufgeschichten von der Ostfront erzählt. Rudolf Augstein wurde während seiner Dienstzeit mit dem Eisernen Kreuz und dem silbernen Verwundetenabzeichen ausgezeichnet.
Die Welt neu zu erfinden, ganz ohne Geschichte?
Die deutsche Welt neu zu erfinden ist ja ein alter links-grüner Traum. Aber wie soll das gerade bei der Bundeswehr funktionieren? Unmöglich. Solange es noch ein Deutschland gibt, wird jede Waffe in der Hand eines deutschen Soldaten eine sein, die mit der Wehrmacht verbunden ist. Wie man sich da positioniert ist die Frage, nicht, wie man das am besten verleugnet. So geht doch Verantwortung. Sich nun auf die Widerständler innerhalb der Wehrmacht zu berufen? Der Versuch ist schon früher kläglich gescheitert. Oder wie es Rudolf Augstein erzählte: „Es bleibt eine unleugbare Tatsache, das auch Widerständler des Heeres gleichzeitig für Verbrechen verantwortlich waren.“
Ist möglicherweise soldatische Kriegsführung generell ein Verbrechen? Die Diskussion ist so alt wie der Soldatenstand selbst. Wesenmerkmal ist die Frage, ob Gewalt, ob Töten Töten verhindern kann. Sie wurde auch in Zivildienstverhandlungen gestellt: „Wenn Angreifer ihre Freundin vergewaltigen und umbringen wollen und Sie haben eine Waffe zur Hand, würden Sie schießen?“ Oder so ähnlich. Es gab etliche solcher Fragen. Die zivildienstkompatible Antwort hieß übrigens korrekterweise: „Ja, würde ich. Aber ich hätte anschließend schlimmste Gewissenkonflikte.“
Diese Zivildienstlern abverlangte Haltung soll nun Wesenmerkmal des neuen deutschen Soldaten sein. Aus dem Augsteinschen „perversen Sexnazi” soll nun ein gewissensbissiger Bürger in Uniform werden. Und Ursula von der Leyen soll die Landserbildchen aus den Pornoheften klauben. „Jetzt wird die Armee erst mal gefilzt. Buchstäblich, und zwar vom Arsch bis zur Sohle – wenn der Kasernenton erlaubt ist.“, fordert Augstein und spuckt dabei noch Krümel des trockenen Kommissbrotes in seine Kolumne.
Nein, die Bundeswehr hat keine irgendwie zu isolierende Tradition. Das lange Gedächtnis der deutschen Streitkräfte lässt sich nicht einfach auslöschen. Auch wenn es ein „Gedächtnis der Verbrechen“ ist, wie Augstein befindet. Gerade dann darf man es nicht auslöschen, denn damit würde man letztlich den Versuch unternehmen, Auschwitz auszulöschen.
Helmut Kohl wurde verspottet für sein Wort von „der Gnade der späten Geburt“, die ihn davor schütze, schuldig geworden zu sein wie von-der-Leyens Vater, der 1930 geboren ist. Ursula von der Leyen nimmt schamlos die Gnade der kompletten Unwissenheit für sich in Anspruch, die Gnade der besonders späten Geburt schützt sie vor jedem Gedanken und vor jeder Vernunft.
Gerade erst kritisierte Jakob Augstein Ursula von der Leyen vehement, weil sie Trumps Angriff im Fernsehen „richtig“ nannte.
Heute findet er Kritik an der Ministerin „absurd“ und Jan Fleischhauer soll quasi den Mund halten, wenn er nicht gedient hat. Nein, lieber Jakob Augstein, Ihnen fehlt offensichtlich jene Empathie, die sich Jan Fleischhauer als Zivildienstleistender in einem psychiatrischen Wohnheim aneignen konnte und musste, weil er nicht wie sie in der Tradition der Väter auf Stube den dicken Maxe machen wollte. Einen Maxe, für den Sie sich mal offiziell schämten und den sie nun als Heldengestalt aus der Kiste springen lassen wollen, als wäre nichts gewesen.
Und zum Schluß sollte man an den Anfang zurückgehen: Franco A., der Rechtsradikale in der Bundeswehr, hatte sich als Syrer ausgegeben und als Asylbewerber abkassiert. Aber dieser Skandal geht unter im Bildersturm einer Ministerin, die nur ihr eigenes Bild polieren will.